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Hans-Heinrich Vogt: Fortschritt ins Chaos? - Die Zukunft des Menschen. Albert Müller Verlag, Rüschlikon, 1970.

 

 

Seit Anfang der fünfziger Jahre beginnt das Unbehagen sich zu regen und wird man sich immer mehr bewusst, dass der Mensch eine planmässige Umweltzerstörung betreibt, die bald dem "Fortschritt ins Chaos" gleichkommt. Hans-Heinrich Vogt weist in seinem sehr einfach geschriebenen und äusserst informativen - obwohl wenig Neues bringenden und etwas ungeschickt aufgebauten - Buch eindrücklich nach, dass die Entwicklung heute so bedrohlich ist, weil das zulässige Mass, das die Natur noch bewältigen kann, bald überschritten sein wird.

 

Seit zweihundert Jahren werden zunehmend "Sünden an der Natur" begangen. Holzschlag, Vernichtung von Prärie und Savanne - infolge Pflügen und nachfolgender Erosion -, Monokulturen und Flusskorrektionen führten zur "Kultursteppe". "Die Kultur hat die Landschaft fast nie geadelt, sondern in den Schmutz gezogen."

Dass die industrielle Revolution ab etwa 1830 das Ihre beitrug, ist nicht zu übersehen. Heute vergiften Abfälle, Chemikalien und Erdöl Gewässer und Böden, und unter Luftverschmutzung und Lärm leiden nicht mehr nur die Städter.

 

Vogt will aber nicht in Fatalismus machen, vielmehr versucht er klar, "'Leitlinien' einer Entwicklung herauszuarbeiten, deren Wurzeln in der Vergangenheit liegen". Es geht damit um die "Sünden der Väter". Vielzitiert ist der Spruch, dass die menschliche Vernunft noch auf dem Steinzeitniveau stehe. Im einzelnen behandelt der Autor deshalb so verschiedene Themen wie Aufkommen und Bedeutung der Technik, chemische und biologische Schädlingsbekämpfung, Arzneimittel-, Nikotin- und Alkoholmissbrauch, Rauschgiftsucht; ferner: Ergebnisse der Paläoanthropologie, Verhaltensforschung und Psychologie, künstliche Befruchtung und Gehirnverpflanzung, radioaktive Strahlungsschäden und die ABC-Waffen.

 

Drei Punkte scheinen das düstere Bild aufzuhellen:

1. Die Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern könnte durch Industrialisierung - mit dem bekannten Sinken der Kinderzahl infolge höheren Lebensstandards - gebändigt werden. Jedoch fördern aus politischen Gründen gewisse "unvernünftige" Länder die Geburtenhäufigkeit (zum Beispiel China, die UdSSR und lateinamerikanische Staaten).

2. Die eng damit zusammenhängende Nahrungsmittelbeschattung könnte durch Ödlandkultivierung, Meerwasserentsalzung und Nahrung aus dem Meer verbessert werden. Viele Wege und Bereiche stehen hier offen.

3. Rohstoff- und Energiereserven sind genügend vorhanden. Aus diesen Gründen sehen die Futurologen bis zum Jahr 2030 "noch keine akute Gefahr einer Katastrophe".

 

Allerdings: "wenn" und „aber“.

 

Einerseits "muss man die Möglichkeit eventueller Kurzschlusshandlungen zugestehen: Auslösung atomarer Kriege durch einzelne Machthaber, Verseuchung der Erde durch Bakterienkriege".

Anderseits sind die Chancen, "dass die Menschheit alle Mittel, die ihr Technik und Forschung liefern, sinnvoll einsetzt", gering.

Weltgeschichte wie Verhaltensforschung an Tier und Mensch lassen wenig Hoffnung auf eine plötzliche Umkehr. Wenn die uralte Weisheit von "Mass und Mitte" bis heute wirkungslos blieb, weshalb sollte  sie jetzt plötzlich durchbrechen?

 

Der Autor kann uns also - entgegen seiner anfänglichen Absicht - keine frohe "Zukunft des Menschen" verheissen; zuviele unberechenbare Variablen sind in diesem schwarzen Spiel. Trotz dieses betrüblichen Schlusses - der auch am ungeschickten Aufbau des Buches liegt - ist die Lektüre empfehlenswert.

 

Es lohnt,  sich darüber Gedanken zu mache nicht obwohl, sondern gerade weil die Tatsachen alles andere als bequem oder tröstlich sind.

 

Erschienen in den Basler Nachrichten, 29. April 1970,

eventuell später  auch in der Neuen Berner Zeitung

 


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