Home Psychologie: Modelle

 

Notizen für ein Seminar am 15. November 1988

„Modelle für die Psychologie und in der Psychologie“

 

siehe für den 8. November 1988:

Psychologie: verschiedene Modelle und Ordnungsmodelle

 

Inhalt

Vier Thesen zu Modellen in der Geistesgeschichte

Vier Orientalisierungswellen

Psychologische Modelle

Der „psychische Apparat“ von Sigmund Freud aus dem Jahre 1895

Kybernetische Modelle

Inhalt statt Struktur

Psychologische Schichtmodelle

Beziehungen zur Umwelt

Das Modell des Konstruktivismus

 

 

 

Vier Thesen zu Modellen in der Geistesgeschichte

 

Das letzte Mal haben wir ein vergleichsweise einfaches Thema behandelt: Modelle allgemein (in der Psychologie) und Ordnungsmodelle für die Psychologie. Also Übersichten über den riesigen Bereich der Psychologie als Wissenschaft und als Bereich des menschlichen Lebens.

 

Heute möchte ich Modelle der oder in der Psychologie besprechen. Dabei gehe ich von 4 Thesen aus (Fig. 21):

1. Modelle fallen nicht vom Himmel. Das soll meine Hauptthese sein. Sie ist freilich sogleich zu relativieren. So wird z. B. die Bibel, die Offenbarung als göttliches Wort, als Inspiration von Predigern und Propheten aufgefasst. In der Bibel selbst gibt Gott z. B. Mose Modelle.
Seither hat es immer wieder Modelle vom Himmel gegeben, besonders bei religiös inspirierten Menschen. Eine spezielle Version ist durch die Theosophie bekannt geworden. Tibetanische Meister diktierten HPB (Helena Petrowna Blavatsky) oder AAB (Alice Ann Bailey) ganze Bücher. HPB brachte auch die Sache mit der Akasha-Chronik auf, einer Art Weltgedächtnis, das Auserwählte, z. B. Rudolf Steiner, anzapfen konnten.
Doch abgesehen davon, sind Modelle Erzeugnisse des Menschen, sagen wir mal, seines Geistes. Vielleicht sind auch die erwähnten religiösen oder spirituellen Modelle solche Erzeugnisse.

 

2. Modelle sind Produkte der menschlichen Geistesgeschichte. Mithin ist die Erforschung der Modelle ein Teil der Erforschung der Geistesgeschichte oder der Ideengeschichte oder der Kulturgeschichte. D. h. Modellgeschichte ist primär keine psychologische Angelegenheit. Allerdings, wenn wir den Motivationen nachforschen wollen, können wir auch ein psychologisches Thema daraus machen.

 

3. Die Geistesgeschichte verläuft in Wellen. (Auch das ist ein Modell) Zumindest seit den alten Griechen, also in den letzten 3000 Jahren können wir im Prinzip ein Wechselspiel von organischen und mechanischen Modellen feststellen. Dabei ist es nie so, dass die eine Art ganz verschwindet, es ist mehr eine jeweilige Verdrängung. Eine Seite gewinnt für kurze Zeit Oberhand und verweist die andere in den Untergrund.
So einfach ist das aber nicht. Denn eine dritte Art von Modellen spielt immer noch hinein, die spirituellen (Fig. 22).

 

4. Die Betrachtung der Geschichte der Psychologie oder von Modellen der Psychologie ist ein winziger Teil der Geistesgeschichte. Ein Verständnis der psychologischen Modelle ergibt sich nur auf dem Hintergrund der Geistesgeschichte.

 

 

Vier Orientalisierungswellen

 

Diese Geistesgeschichte ist faszinierend. Ich werde versuchen, sie ganz knapp zu skizzieren.

Ein Grund für die Wellenbewegungen liegt für das Abendland, also Europa, in dem, was ich Orientalisierungswellen nenne.

Eine erste hatten wir von 800-200 v. Chr., just zu der Zeit als auch der Rationalismus entstand. "Vom Mythos zum Logos" heisst der Weg. Vor 100 Jahren hat jemand diese Zeit als "Wendezeit" bezeichnet, Karl Jaspers sprach von "Achsenzeit".

 

Eine zweite Welle setzte bald darauf ein. Sie geht von ca. 100 v. Chr. bis 500 n. Chr. Hermetik, Alchemie, Gnosis, Kabbala, lauten etwa die Stichworte.

 

Von 500 bis 1000 war weitgehend Funkstille. Dann wurde es wieder interessant. Damals zeigten sich die Anfänge dessen, was uns heute noch bewegt:

• Auflösung des christlichen Kosmos

• Entdeckung des Subjekts, der Innerlichkeit

• Revolution von Handel, Geldwesen, Landwirtschaft

• Diskussion der Methoden, z. B. Dialektiker (Ketzer) gegen Dogmatiker

• Erkenntnistheoretische Neuansätze wie Nominalismus, Ordnungsmodelle, Evolutionstheorien, Untersuchung von Vorurteilen, mechanistisches Denken.

 

Ab etwa 1100 setzt die dritte Orientalisierungswelle ein. Anlass waren hauptsächlich die Rückeroberung der vom Islam besetzten Gebiete und die Kreuzzüge.

 

Um 1300 wurden die ersten mechanischen Uhren gebaut, die Brille und die Feuerwaffen entwickelt. Der Nominalismus und die kalkulatorische Denkweise brachen sich die Bahn.

 

Noch interessanter wird es ab 1500: Feinmechanik, Automatenbau, Maschinendenken, Wirtschaftsethik, Methodendiskussion; der Systembegriff taucht nach 1000 Jahren Pause wieder auf.

 

Um 1600 setzt ziemlich schlagartig die neuzeitliche Wissenschaft ein. Es war aber auch der Höhepunkt der Hexenverbrennungen. Vielleicht hat Francis Bacon sein Bild für die Naturforschung daher: „Wir wollen die Natur auf die Folterbank spannen, um ihr ihre Geheimnisse zu entlocken.“ Politisch: Absolutismus. Descartes: „Maîtres & possesseurs de la nature.“

 

Von nun an gewann das mechanistische Denken Oberhand. Inspiriert von der Automatentechnik entwarf Descartes das Maschinenbild für Tier und Mensch, Hobbes ein ähnliches für den Staat (ein „künstlicher Mensch“).

 

Nachdem Christian Huygens den Schiffschronometer konstruiert hatte (1675), konnte man fortan zwei Uhrentypen als Modelle und damit auch zwei Vorstellungen von Gott entwickeln.

1. Die Newton/ Clarksche Auffassung der alten, groben Handwerkeruhr, die des häufigen Eingriffs eines Aufsehers bedarf. Das zieht sich hin bis zum Altmeister der Ökonomie, Adam Smith, wo die "invisible hand" für die Harmonie des Ganzen sorgt. Die Liberalen glauben heute noch an dieses alte Uhrenmodell.

2. Die Leibnizsche Auffassung der vollkommen konstruierten Wissenschafteruhr ä la Huygens, die ohne Mitwirkung des vollkommenen Mechanikers von selbst abläuft. Man hat formuliert: Gott wird zum Ingenieur im Ruhestand. Das ist das Thema der Aufklärung. Am Schluss dieser Zeit meinte Laplace: Gott sei überhaupt nicht mehr nötig.

 

Gleichzeitig fand die vierte Orientalisierungswelle statt. Seit 1660 wurden Berichte von Abenteurern und Jesuitenmissionaren aus dem Fernen Osten bekannt. Die Aufklärung war chinabegeistert. Kaum hatte jedoch die Aufklärung Fuss gefasst, setzte, bald nach 1730 die Esoterik-Welle ein, die in direkter Linie bis heute, zum New Age, andauert.

 

Geistesgeschichte in solch grossen Zügen ist faszinierend. Wer sich damit befasst, stellt fest, was er alles nicht weiss und wieviel so neu nicht ist. Er stellt auch fest, wie viele Erklärungsmodelle Jahrtausende überdauern. Z. B. zu Platons Zeiten wurde über Hysterie diskutiert, heute halten manche die Besorgnis über die Umweltzerstörung immer noch für blosse Hysterie. Oder: Krankheit verstand man schon vor Urzeiten als Strafe für einen abweichenden Lebenswandel. Manche tun dasselbe bei Aids. Oder die These von der Verschwörung. Sie taucht seit den Gnostikern immer wieder auf, betraf dann häufig die Juden, in der Aufklärung die Freimaurer, heute das New Age. Oder die Vorstellung vom Teufel. 46 % der Italiener sollen heute "noch" an den Teufel glauben.

 

Das sind Modelle. Und Modelle haben eine Wirkung!

 

Ein einmaliges Ereignis in der Weltgeschichte ist die Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft in Europa. Die meisten Erklärungen dafür sind einseitig. Genauso wie für die Deutung oder Erklärung des menschlichen Erlebens und Verhaltens ein Faktor nie ausreicht – auch die „Sehnsucht nach dem Teufel“ müssten wir erklären -, . braucht es auch für die Entstehung der Wissenschaft die Beachtung einer langen Vorgeschichte und mehrerer möglicher Faktoren oder Gründe.

Wenn man alle Aspekte zusammenfasst, kommt man zu folgendem 4er Schema.

• Man kann interne und externe Gründe unterscheiden (Fig. 23a).

• Die externen Gründe können gesellschaftlich, ökonomisch,  politisch oder geistig, ideologisch sein.

• Man kann eine lineare, additive Entwicklung oder eine wellenhafte annehmen.

• Dass viele gegenseitige Abhängigkeiten und Einwirkungen bestehen, ist klar.

 

 

Psychologische Modelle

 

Darauf sei hier nicht näher eingegangen, denn wir wollen jetzt endlich zu den psychologischen Modellen kommen.

Nehmen wir an, es gebe Hunderte davon. [Charles Hampden-Turner: Maps of the Mind. 1981; dt.: Modelle des Menschen. Weinheim: Beltz 1982, kartoniert 1986, erneut 1993, 1996 beschreibt 60.]

Wir müssen sie also wieder ordnen. Das bisher Erwähnte gibt uns dafür Ordnungsmerkmale (siehe: Ordnungsmodell für psychologische Modelle). Wir können die psychologischen Modelle einteilen nach ihrem vorwiegend spirituellen, organischen oder mechanischen Charakter sowie nach der Blickrichtung: was wird als Verursachung der Vorgänge angesehen, eher Inneres oder eher Äusseres.

 

Betrachten wir zuerst die Verursachung. Mit interner Verursachung meine ich, dass wir das Objekt, das modelliert wird, eher isoliert betrachten und schauen, wie und woraus es aufgebaut ist oder was für Kräfte am Werk sind. Da gibt es einen ganzen Haufen von Teilen, Elementen oder Faktoren. Ich gebe nur Stichworte.

 

Wir können aber auch vom "Innenleben" unseres Objektes eher absehen und Einflüsse von Aussen betrachten. Da gibt es ebenfalls eine ganze Menge, vom Regenwetter und Nitraten im Kopfsalat über die Erziehung bis zum Teufel. Erstaunlich.

 

Und nun kann ich versuchen, mir bekannte Modelle in dieses Schema einzuordnen. Zwei Eckpunkte scheinen vielleicht noch plausibel: z. B. Goethes "Bekenntnisse einer schönen Seele" (1773) oder Flauberts "Madame Bovary" (1857) in der einen Ecke und John B. Watsons Behaviorismus in der andern. Doch sonst, vermute ich, macht sich bei Ihnen Stirnrunzeln bemerkbar. Die kritische Psychologie soll ein mechanisches Modell mit Augenmerk auf äussere Verursachung bieten? Oder die gestaltpsychologischen Modelle sollen spirituelle Modelle mit Blickrichtung auf das Innere des "Objekts" bieten?

 

Da muss sich ein Unbehagen einstellen. Das ist recht so:

1. Es zeigt sich, dass man Modelle einer Wissenschaft schwer in eine Ordnung bringen kann,

2. kann es Anstösse geben, andere Zuordnungen oder gar Ordnungsmodelle zu versuchen. Tun Sie das mal. Überlegen Sie sich, wenn Sie einem psychologischen Modell begegnen, wie und womit sie es kategorisieren könnten.

 

Weshalb ist das Ordnen von Modellen so schwierig? Ich sehe den Grund in unserer Ungenauigkeit des Denkens und Redens. Wir wissen nämlich gar nicht, wovon die Modelle der Psychologie Modelle sind. Also: Worauf beziehen sich die psychologischen Modelle?

 

Ich habe einige mögliche Angaben in vier Gruppen zusammengefasst (Fig. 23b).

Ich halte das für ein wichtiges Schema. Es zwingt uns zu überlegen, was wir in der psychologischen Forschung überhaupt im Auge haben. Oder umgekehrt, es hilft uns, psychologische Literatur etwas kritischer zu betrachten, zu fragen: Wovon ist überhaupt die Rede, ist etwas nur interessant oder auch relevant?

 

 

Der „psychische Apparat“ von Sigmund Freud aus dem Jahre 1895

 

Ich habe hier z. B. eines der neuesten Bücher über Modellierung (1987). Der Beruf des Autors ist nicht angegeben, er arbeitet im Bereich der Aerospace Engineering Sciences. Er hat 1200 Bücher resp. Aufsätze zusammengetragen. Die letzten 200 Seiten bestehen aus Computerprogrammen. Zwei Zeichnungen von Modellen gehen über blosse Modelle von Nervenzellen oder Netzwerken hinaus. (101 - siehe Fig. 24 - und 180).

Der Autor sagt selbst, dies befriedige wenig. Interessant werde es erst "where mind meets brain". Er widmet dem Thema ein ganzes Kapitel. Doch wie sieht es aus? Ich habe in den letzten 30 Jahren noch nie so ein Kapitel gesehen: 8 Zeilen Text, der Rest Literaturangaben (Fig. 25).

Was soll ich als Psychologe damit anfangen?

 

Völlig aus dem Rahmen fallend wird das Modell von Sigmund Freud erwähnt, das bald 100 Jahre alt ist. (Die Jahreszahl 1893 ist unkorrekt; das Modell stammt von 1895, publiziert wurde es 1950.)

 

Nach all dem vielen, das ich bis hierher erzählt habe, ist das jetzt zum ersten Mal ein (beinahe) konkretes psychologisches Modell. So konkret ist es freilich nicht, und die Freudianer schätzen es so wenig, dass sie es nicht in die Imago-Gesamtausgabe aufgenommen haben. Eine recht gute Beschreibung gibt Richard Wollheim. Eine Zeichnung gibt es von Freud selber. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wo ich sie gesehen habe, daher nehme ich diejenige von  Wollheim (Fig. 26).

 

[Richard Wollheim: Sigmund Freud. London: Collins 1971;
dt.: Sigmund Freud.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1972, 47.]

 

Das Modell stellt den psychischen Apparat dar und ist recht einfach. Durch das neuronale Netz fliesst Energie Q. Freud postuliert drei verschiedenen Arten Neuronen, daher gibt es drei Systeme. φ-Neuronen sind durchlässig und führen äussere Reize nach dem -Reflexbogen-Prinzip ab. ψ-Neuronen dagegen enthalten Kontaktschranken, welche die Energie bremsen. Die ω-Neuronen schliesslich bilden das 3. System, das Bewusstsein, das, nach dem Lust-Unlust-Prinzip, die andern Abläufe regelt. Dabei führen die ω -Neuronen keine Energie Q, sondern bloss Qualität, eben: Lust und Unlust; Ergebnis sind Wünsche oder Befürchtungen.

 

Auf weiteres gehe ich nicht ein. Wichtig scheint mir dreierlei:

1. Wollheim betont zu recht, Freud habe nicht die Seele einer Maschine gleichgesetzt, sondern ein "mechanisches Modell zur Darstellung und Erklärung der psychischen Funktionen benutzt".
Das war damals vor allem in Kreisen der Physiker grosse Mode. Es gab sogar kurz vorher, 1892, in Nürnberg eine ganze Ausstellung von apparativen Konstruktionen solcher Modelle. Eines der ersten soll der grosse Maxwell selber gebaut haben.

 

2. Auch die Rede von Systemen war damals hoch im Schwange. So hat etwa der Philosoph Richard Avenarius, der seit 1877 in Zürich lehrte, nicht nur das Ökonomieprinzip mitbegründet, das bei Freud eine grosse Rolle spielt, sondern auch eine komplizierte Theorie kognitiver "Systeme" (mit diesem Begriff) ausgetüftelt.
Dabei zeigt sich freilich schon dasselbe wie bei Freud und heute erst recht: Wenn wir nicht genau wissen, wovon wir reden, bezeichnen wir es einfach als System. Ich nenne das einen semantischen Trick. Es gibt in der Psychologiegeschichte noch viele andere: So wurden aus Vermögen Funktionen, aus Abläufen Operationen, aus Fähigkeiten Dispositionen. Und wenn einem gar nichts mehr einfällt, dann spricht man von Variablen.
Damit kann man wunderbare Gebilde herstellen.

 

3. Das Freudsche Modell ist genaugenommen kein mechanisches, sondern ein hydrodynamisches. Ich habe erwähnt, dass um 1600 die mechanistische Welle ausbrach. Über Descartes finden Sie viele interessante Angaben in der rororo-Bildmonographie von Rainer Specht (1966). Schon der junge Descartes wollte selber Automaten bauen. Die Wasserbaukünste der Zeit haben ihn inspiriert zu seinem hydraulischen Modell des Menschen. Es gibt mehrere Zeichnungen davon (z. B. Fig. 27).

 

[Rainer Specht: René Descartes in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1966, 114 (rororo bildmonographie, Nr. 117).]

 

Die Hydraulik spukte bis in jüngster Zeit als Modell herum. Noch der grosse Testpsychologe Raymond B. Cattell soll 1957 ein hydraulisches Modell (in "Personality and Motivation", 894) vorgestellt haben.

Dass Konrad Lorenz für seine Instinkttheorie auf ein hydraulisches Modell abstützte, dürfte bekannt sein

[siehe z. B.: Günter Vogel et al.: dtv-Atlas zur Biologie. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, Bd. 1, 1967, 384 - Fig. 28a].

Noch in den 70er Jahren musste es in einer "Einführung in das Studium der Psychologie" als einzige Illustration eines Modells herhalten (Fig. 28b).

 

[Uwe Laucken, August Schick: Einführung in das Studium der Psychologie. Stuttgart: Klett 1971, 36; 7. Aufl. 1996;
Zeichnung und Erläuterung nach Konrad Lorenz: Die Entwicklung der vergleichenden Verhaltensforschung in den letzten 12 Jahren. Zool. Anz., 1953, 17. Suppl., 36-58, spez. 39f.]

 

Für das klassisch gewordene Modell von Sigmund Freud, basierend auf den drei Instanzen Es, Ich und Über-Ich (1923) gibt es mehrere Darstellungen, siehe  Fig. 26a, Fig. 26b und Fig. 26c.

[Fig. 26a: Heiner Legewie, Wolfram Ehlers: Knaurs moderne Psychologie. München: Droemer Knaur 1972, 112, als Knaur TB 1986; neue Ausgabe 1992;
Hinweis auf Sigmund Freud: Das Ich und das Es. Leipzig: Internationaler Psychoanalytischer Verlag 1923; Neuausgabe: Das Ich und das Es und andere metapsychologische Schriften. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1978;

Fig. 26b: Heinz Dirks: Psychologie. Eine moderne Seelenkunde. Gütersloh: Bertelsmann 1960, 120; mehrere Aufl. bis 1972.

Fig. 26c: Charles Hampden-Turner: Maps of the Mind. 1981;
dt.: Modelle des Menschen. Weinheim: Beltz 1982, kartoniert 1986, 41; erneut 1993, 1996.]

 

 

Kybernetische Modelle

 

Nun, seit dem Zweiten Weltkrieg ist Kybernetik Trumpf. Also versucht man es mit kybernetischen Modellen. Dasjenige von W. Ross Ashby (Fig. 29) zeigt Ihnen, wie die Sache in der Kybernetik angepackt wird: Es gibt Inputs und Outputs. Es stammt aus dem Jahr 1952.

[William Ross Ashby: Design for a brain. London: Chapman & Hall, New York: Wiley 1952, 95; erneut (die letzten 2/3 komplett neu geschrieben) 1960, 102; zahlreiche Reprints bis 1978.]

 

Wie schon zu Zeiten Descartes und dann wieder bei Maxwell beliess man es aber nicht bei Zeichnungen, sondern man versuchte die neuen Vorstellungen auch technisch zu realisieren. Das waren die elektrischen Mäuse oder Schildkröten (Fig. 30).

[Jasia Reichardt: Robots: Facts, Fiction + Prediction. London: Thames and Hudson 1978, 155.]

 

Anfang der 60er Jahre ging es auch in Deutschland los. Karl Steinbuch fing 1961 an (Fig. 31).

[Karl Steinbuch: Automat und Mensch. Berlin: Springer 1961;
ab 1963 erweitert mit dem Untertitel: Kybernetische Tatsachen und Hypothesen;
ab. 4. Aufl. 1971 mit dem Untertitel: Auf dem Weg zu einer kybernetischen Anthropologie; hier Zeichnung 209.]

 

Lange Zeit hielt sich das Modell von Helmar Frank (1962). Er nannte es "Organogramm für den Informationswechsel im Menschen" (Fig. 32). Er hat Steinbuchs Modell um 1800 gedreht und verfeinert. Bemerkenswert ist die "Enge des Bewusstseins". 1011 bit/sec. strömen auf uns ein; etwa 16 bit/sec können wir bewusst verarbeiten.

[Hans Sachsse: Einführung in die Kybernetik. Braunschweig: Vieweg 1971; überarbeitet als rororo-Taschenbuch Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1974, 233;
ebenfalls in Wilhelm Hehlmann: Wörterbuch der Psychologie. Stuttgart: Kröner, 5. Aufl. 1968, 246; 12. Aufl. 1974, 228;
Zeichnung aus Helmar Frank (Hrsg.): Kybernetik. Brücke zwischen den Wissenschaften. Frankfurt am Main: Umschau-Verlag 1962; 5. stark überarbeitete Aufl. 1965, 269.]

Eine andere Darstellung desselben Sachverhalts bietet Fig. 32a.

[Heiner Legewie, Wolfram Ehlers: Knaurs moderne Psychologie. München: Droemer Knaur 1972, 66, als Knaur TB 1986; neue Ausgabe 1992;
Hinweis auf Wolf Keidel – vermutlich W. D. Keidel: Codierung, Signalleitung und Decodierung in der Sinnesphysiologie. In: Aufnahme und Verarbeitung von Nachrichten durch Organismen. Stuttgart: Hirzel 1961, 28-48.]

 

1964 kam Herbert Stachowiak mit seinem Kybiak (= Kybernetik + Stachowiak – Fig. 33a).

[Herbert Stachowiak: Allgemeine Modelltheorie. Berlin: Springer 1973, 73;
Hinweise auf
Herbert Stachowiak: Ein kybernetisches Motivationsmodell. In H. Frank (Ed.): Lehrmaschinen in kybernetischer und pädagogischer Sicht. Bd. 2, 1964, 119-134, spez. 130;
Herbert Stachowiak: Denken und Erkennen im kybernetischen Modell. Wien: Springer 1965, 2. ed. 1969, spez. 14  (Fig. 33b) und 45; Reprint 1975.]

 

Der Phantasie in der Darstellung von Modellen sind keine Grenzen gesetzt. Eine Mischung zwischen Descartes und Kybernetik ist etwa die folgende Darstellung aus einem Lehrbuch der Biokybernetik (1972). Aus der Hydraulik kommt das Wasserbecken für das Verhalten. Denn Verhalten ist hier eine "Staugrösse".

 

Man kann die Sache auch mit Flussdiagrammen darstellen. Ein frühes Beispiel zeigt Fig. 34a) - dazu eine Art Regelkreismodell (Fig. 34b).

[Gerhard Schaefer: Kybernetik und Biologie. Stuttgart: Metzler 1972, 155, 159.]

 

Aus dem "Handwörterbuch der Psychologie" stammt Fig. 34c (1980).

[Roland Asanger, Gerd Wenninger (Hrsg.): Handwörterbuch der Psychologie. Weinheim: Beltz 1980; 3. Aufl. 1983, Stichwort Gedächtnis, 155; 4. Aufl. 1988.]

 

Einer der interessantesten und neuesten Versuche stammt von Julius Kuhl, 1983. In seinem Buch "Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle" verknüpfte er als erster die in den 1970er Jahren populäre Handlungstheorie mit der Motivationstheorie. Das ist nur das Übersichtsmodell (Fig. 35). Das ganze Modell umfasst mehrere Seiten.

Der Start ist links unten.

[Julius Kuhl: Motivation, Konflikt und Handlungskontrolle. Berlin: Springer 1983.]

 

 

Inhalt statt Struktur

 

Das ist eine Gruppe von Darstellungsmöglichkeiten. Wir könnten nun auch sagen: Es kommt in der Psychologie weniger auf die Struktur des psychischen Apparates an als auf die Inhalte.

Dem lässt sich auf zweierlei Art nachkommen.

1. Wir füllen psychologische Erkenntnisse in ein kybernetisches Schema. Das werden Sie in diesem Seminar tun.

2. Wir gehen von Inhalten aus. Das haben die alten Griechen schon getan. Von Platon ist Ihnen vielleicht das schöne Modell des Pferdegespanns bekannt. Ein Wagenlenker (die Vernunft) versucht zwei ungleiche Pferde zu bändigen: ein braves (den Mut), und ein ungestümes (die Begierde).

 

Platon hat viele andere Bilder verwendet und diese auch zu Analogien zusammengestellt: Körper-Seele-Staat. Häufig ergab sich daraus eine Stufung oder Schichtung:

·                    das Triebhafte unten,

·                    die Besonnenheit in der Mitte,

·                    Einsicht, Vernunft oben.

Bei seinem Schüler Aristoteles ist das schon ein ausgetüfteltes System. Mit einiger Sorgfalt lassen sich über ein Dutzend sogenannter Seelenvermögen in eine Hierarchie bringen. Zuoberst ist der unsterbliche Geist.

 

 

Psychologische Schichtmodelle

 

Diese Schichtmodelle durchziehen die ganze Geistesgeschichte. Nach der Jahrhundertwende wurden sie richtiggehend populär. Es gibt sicher 50 davon. Jeder Autor hat eigene Bezeichnungen geprägt. Am beliebtesten waren zwei oder drei Schichten (Fig. 36).

 

Auch C. G. Jungs Analytische Psychologie kann man als Schichtmodell auffassen. Die Gralshüterin, Jolande Jacobi, hat folgende Zeichnungen angefertigt: Das totalpsychische System (Fig. 37a) und eine Art psychischer Stammbaum (Fig. 37b).

[Jolande Jacobi: Die Psychologie von C. G. Jung. Zürich: Rascher 1940, 45 und 47; 4. Aufl. 1959, 47 und 49;
später Olten: Walter 1972; Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag 1977; zahlreiche Aufl. bis 2003.]

 

Auch beim Schichtmodell sind zahlreiche Varianten möglich (Fig. 38)

[Gustav Morf: Einführung in die Psychologie. Basel: Reinhardt 1956, 3. Aufl. 1964, 21-22; 5. Aufl. 1970.]

bis hin zum Zwiebelmodell. Da hat man dann einen Wesenskern und periphere Schichten, z. B. bei Albert Wellek (Fig. 39).

[Albert Wellek: Psychologie. Bern: Francke 1963 (Dalp-Taschenbücher, Nr. 372D; 2. Aufl. 1965, 80; 3. Aufl. als UTB Nr. 5, 1971;
Hinweis auf Albert Wellek: Die Polarität im Aufbau des Charakters. System der Charakterkunde. Bern: Francke 1950; 3. Aufl. 1966.]

 

Auch wenn man die Überschrift "Ganzheit" verwendet, muss die Darstellung nicht auch den selben Eindruck machen. Wiederum Wellek (Fig. 40).

[Wilhelm Hehlmann: Wörterbuch der Psychologie. Stuttgart: Kröner 1959, 147; 5. Aufl. 1968, 173; 12. Aufl. 1974, 160;
Hinweis auf Albert Wellek: Das Problem des seelischen Seins. Die Strukturtheorie Felix Krügers. Leipzig: Barth 1941; 2. Aufl. Meisenheim: Hain 1953.]

 

Bei Philipp Lersch sieht die Sache gar wie ein Heiligenbild aus (Fig. 40a).

[Wilhelm Hehlmann: Wörterbuch der Psychologie. Stuttgart: Kröner 1959, 338; 5. Aufl. 1968, 407; 12. Aufl. 1974, 376: „Aufbau der Person“ nach Ph. Lersch;
Hinweis auf Philipp Lersch: Der Aufbau des Charakters. Leipzig: Barth 1938; ab. 4. Aufl.: Aufbau der Person. 1951; 11. Aufl. 1970.]

 

Es ist eigentlich erschütternd, dass bei allen diesen Modellen die Aussenwelt kaum vorkommt, es sei denn als Reizquelle und Empfänger von Outputs.

 

 

Beziehungen zur Umwelt

 

Sogar im Konstruktivismus wird nicht behauptet, der Mensch lebe allein. Bisher sah es aber so aus, als ob.

Zum Abschluss möchte ich daher noch einige Lösungen vorstellen, wie man sich dem Problem der Umweltbeziehungen zu nähern versuchte.

 

Das banalste Schema stammt aus einem populär gehaltenen Psychologiebuch (Fig. 41).

[Heinz Dirks: Psychologie. Eine moderne Seelenkunde. Gütersloh: Bertelsmann 1960, 149; mehrere Aufl. bis 1972.]

 

Das Individuum steht im Schnittpunkt unterschiedlichster Gruppen. Kurt Lewin hat in seiner topologischen Psychologie die Sache zu präzisieren versucht.

Die Ellipse stellt den Lebensraum des Menschen, des Individuums dar. Der Lebensraum gliedert sich auf in die Regionen der Person und das, worin sie sich bewegt, das psychologische Milieu. Draussen ist die äussere Umgebung des Lebensraums (Fig. 42).

[Jean Delay, Pierre Pichot: Abrégé de Psychologie. Paris: Masson 1962; mehrere Aufl. bis 1990;
dt.: Medizinische Psychologie. Stuttgart: Thieme 1966, 308; 6. Aufl. 1980;
Hinweis auf
Kurt Lewin: Principles of Topological Psychology. New York: McGraw-Hill 1936; mehrere Aufl. bis 1969;
dt.: Grundzüge der topologischen Psychologie. Bern: Huber 1969.]

 

Davon gab es im Mittelalter schönere Darstellungen. Es sind die Mikrokosmos-Makrokosmos-Modelle. Die schönsten stammen von der Mystikerin Hildegard von Bingen (um 1170Fig. 43).

[Annemarie Freemantle: Zeitalter des Glaubens. Time Life International (Nederland) 1966, 1976, 61 (aus d. Engl. 1965);
Illustration aus dem Liber divinorum operum, Visionen der Hlg. Hildegard von Bingen, deutsch, frühes13. Jh., MS. 1942, folio 27 links, Biblioteca Governativa, Lucca (Emmett Bright).]

320 Jahre vor Leonardo hat sie den Manpower-Mann gezeichnet. (Die Idee stammt vom römischen Architekten Vitruvius, ca. 23 v. Chr.)

 

Von da ist es ein weiter Weg bis zu den Zeichnungen, die Peter R. Hofstätter in seiner "Sozialpsychologie" anbietet. Es ist ausserordentlich individualistisch (Fig. 44).

[Peter R. Hofstätter: Einführung in die Sozialpsychologie. Stuttgart: Humboldt-Verlag 1954; 2. Aufl. Stuttgart: Kröner 1959; 5. Aufl. 1973, 16.]

 

Wolfgang Metzger dagegen hat, zumindest dem Begriff nach, Mikro- und und Makrokosmos wieder eingeführt. Das sieht dann so aus (Fig. 45).

[Wilhelm Hehlmann: Wörterbuch der Psychologie. Stuttgart: Kröner 1959, 377; 5. Aufl. 1968, 457; 12. Aufl. 1974, 422: „Psychophysisches Niveau (nach Metzger)“;
Hinweis auf Wolfgang Metzger: Psychologie. Die Entwicklung ihrer Grundannahmen seit der Einführung des Experiments. Dresden: Steinkopff 1941, 2. Aufl. 1954, 5. Aufl. 1975; 6. Aufl. Wien: Krammer 2001.]

 

Für die forschenden Psychologen bietet das zuwenig. Deshalb halten sich z. B. Arbeitspsychologen an solche Schemata (Fig. 46).

 

All dies ist völlig unbelastet von Behauptungen des Konstruktivismus.

 

 

Das Modell des Konstruktivismus

 

Um den Bogen zu schliessen und gleichzeitig mein Sightseeing der Modelle abzuschliessen, zeige ich Ihnen, wie denn etwa das Modell des Konstruktivismus aussehen könnte.

Das Bild stammt von einem berühmten Alchemisten[ Robert Fludd, 1619] . Diese sind offenbar schon immer an der Front der geistigen Forschung marschiert. Die Kopie ist schlecht (Fig. 47a  - farbig: Fig. 47b).

[Paul de Loye: Histoire de la Psychologie. Lausanne: Editions Rencontre/ Genf: Editio-Service 1966;
dt.: Geschichte der Psychologie: Lausanne: Editions Rencontre 1967; farbige Umschlagseiten vorne und hinten.]

 

Ich muss sie daher kurz erläutern. Offenbar sind sowohl der Mundus sensibilis, der Mundus imaginabilis wie auch der Mundus Intellectualis mit Gott (Deus) und Engeln (Angelos) Konstruktionen unseres Geistes oder unserer Seele.

Und nicht zu vergessen im Hintergrund der Custos, der Wächter, das Gewissen, das uns vor un-verantwortlichen Äusserungen wie sie die Konstruktivisten heute tun, abraten sollte. Nämlich vor Bemerkungen wie derjenigen über Chile: Thats another story.

 


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