Home Wer fordert ganzheitliches Denken?

 

Inhalt

1. Marxisten

2. Ökologen

3. Theosophen und ihre Abkömmlinge: Anthroposophen und New Age

4. Organizisten und Holisten

5. Universalisten und organische Denker

6. Kreativitätsforscher und -trainer

7. Systemorientierte Managementtheoretiker

8. Entscheidungstheoretiker

9. Friedens- und Konfliktforscher

10.Neokonservative

 

 

1. Marxisten

 

"In Fortsetzung der Einsichten Hegels in die Dialektik von Teil und Ganzem und bei gleichzeitiger Überwindung seines Idealismus schuf der dialektische Materialismus eine erstmals wirklich wissenschaftliche Ganzheitstheorie."

Marxistisch-Leninistisches Wörterbuch der Philosophie 1972 (zuerst 1964)

 

"Alle Erscheinungen sind Teile eines einheitlichen Ganzen."

Aus den Leitsätzen des dialektischen Materialismus, gemäss Ernst Kux, der 1961 die Grundwidersprüche der kommunistischen Lehre als einer totalitären Ideologie herausgearbeitet hat.

 

Das Ganze denken "ist identisch mit materialistischer Dialektik",

behauptet Manfred Buhr in der Vorbemerkung zu John Erpenbecks Buch "Das Ganze denken" (Ost-Berlin 1986), in dem trotz des Titels, vom Ganzen nie die Rede ist.

 

2. Ökologen

 

Nach einigen Vorläufern setzte die ökologische Forschung um 1850 ein. Lebensgemeinschaften - z. B. Wald, See, Boden - fasste man lange als Organismen auf.

Spätestens seit den 20er Jahren verstand man Ökologie als ganzheitliches Denken.

Für das Ganze aus Lebensgemeinschaft (Biozönose) und Umwelt schufen 1927 C. Elton den Begriff "ecosystem", K. Friederichs den Begriff "Holoön“. Die oberste Stufe der Betrachtung nannte A. Thienemann 1942 "holographisch".

 

3. Theosophen und ihre Abkömmlinge: Anthroposophen und New Age

 

Die 1875 von der Abenteurerin und Okkultistin Helena Petrowna Blavatsky gegründete Theosophische Gesellschaft hatte einen ungeheuren Einfluss auf das geistige Leben bestimmter Kreise. Sie machte vor 100 Jahren östliche Weisheit im Westen populär.

Die Theosophische Gesellschaft spaltete sich bald in zahlreiche Zweige auf, darunter Rosenkreuzer (AMORC), Templerorden (OTO) und Anthroposophie (Rudolf Steiner 1913).

Der neueste Abkömmling ist die "New Age"-Spiritualität, von den Beatniks in den 50er Jahren eingeleitet, in den 60er und 70er Jahren zu einer Alternativkultur geworden.

 

Kritisches zur Anthroposophie:

Jan Badewien: Anthroposophie. Eine kritische Darstellung. Konstanz 1985.

"Ganzheitlichkeit", Heft 21 von „Widersprüche“. Offenbach: Verlag 2000, Dezember 1986.

Christoph Strawe: Marxismus und Anthroposophie. Stuttgart 1986.

 

Zum Okkultismus:

Kurt E. Koch: Seelsorge und Okkultismus. 1953; 26. Aufl. 1985.

Christian Weis: Begnadet, besessen oder was sonst? Okkultismus und christlicher Glaube. Salzburg 1986.

Peter Brookesmith (Hrsg.): Von Hexen, Wahrsagern und Alchemisten. Kulte und Okkultes. Gütersloh: Prisma 1987 (Bildband).

 

Zu amerikanischen Sekten:

Dave Hunt: Götter, Gurus und geheimnisvolle Kräfte. Basel: Brunnen Verlag 1984 (engl.: „The Cult Explosion“, 1980).

The Encyclopedia of American Religions. 1987.

 

Zu New Age:

Elmar Gruber: Was ist New Age? Freiburg: Herder Taschenbuch Nr. 1369. 1987.

Josef Sudbrack: Neue Religiösität. Mainz: Topos-Taschenbuch Bd. 168, 1987.

Klaus Berger: New Age - Ausweg oder Irrweg. Asslar: Schulte + Gerth 1987.

Günter Myrell et al.: Neues Denken - Alte Geister. 1987.

Horst Bürkle (Hrsg.): New Age. Kritische Anfragen an eine verlockende Bewegung. Düsseldorf: Patmos 1988.

 

4. Organizisten und Holisten

 

Seit 1880 entstanden allenthalben ganzheitliche Strömungen, vor allem in der Naturphilosophie und Biologie (Organizismus, Vitalismus, kreative Evolution; ab 1926 Holismus) sowie in der Psychologie (Gestaltpsychologie und Ganzheitstheorie).

 

Eine recht breite und kritische Übersicht:

Denis C. Phillips: Holistic Thought in Social Science. Stanford, Calif.: Stanford University Press 1976; London: Macmillan 1976.

 

5. Universalisten und organische Denker

 

Ein Loblied auf den Universalismus singt ein Verehrer von Othmar Spann, Walter Becher, in seinem "Blick aufs Ganze" (1985).

Kritisch dagegen hat sich Klaus-Jörg Siegfried mit den Hintergründen und den politischen sowie moralischen Folgen auseinandergesetzt: "Universalismus und Faschismus", 1974.

Seit 1957 erscheint in Wien die "Zeitschrift für Ganzheitsforschung".

Einen einsamen Vorstoss unternahm Arthur Lisowsky in seiner Antrittsvorlesung an der Hochschule St. Gallen, als er 1932 über den "Sinn der organischen Wirtschaft" berichtete. Das ist heute noch lesenswert.

Seit 1960 vertritt der Theologe Walter Birnbaum ein "organisches Denken"; er sah es 1982 "als Weg in die Zukunft".

 

6. Kreativitätsforscher und -trainer

 

Einen ersten Kreativitätsfimmel gab es in den USA in den 20er Jahren. Die bis vor kurzem populären Kreativitätsmethoden Brainstorming, Morphologie und Synectics wurden in den 40er Jahren entwickelt. Von 1950-80 erschienen gegen 10'000 Untersuchungen zur Kreativität.

Ganzheitliche Ansätze zeigen sich in der Forderung nach einer wechselweisen Verknüpfung von divergentem und konvergentem Denken, also von Ausschweifen und Konzentrieren, ferner von Phantasie und Logik, Spiel und Ernst.

1980 wurde die Kreativitätsforschung von Rainer Marr und Gisela Ulmann als gescheitert betrachtet.

Später verkündete Paul Feyerabend an der ETH Zürich, Kreativität sei "leeres Gerede" (in der Sammlung "Wissenschaft als Kunst", 1984)

Analoges gilt für die parallel gelaufene Erforschung des „Problemlösens“

 

7. Systemorientierte Managementtheoretiker

 

Die Allgemeine Systemtheorie wurde 1945 vom Biologen Ludwig von Bertalanffy begründet. Sie verstand sich als neue Wissenschaft von der "Ganzheit". Gleichzeitig entstanden Kybernetik, Informationstheorie, Operations Research, usw.

Pionier des systemorientierten Managements an der Hochschule St. Gallen ist Hans Ulrich mit seinem Werk: "Die Unternehmung als produktives soziales System" (1968). Am Betriebswissenschaftlichen Institut (BWI) der ETH Zürich boten Alfred Büchel und Walter Daenzer seit 1971 Kurse in "Systems Engineering" (Leitfaden 1976/77) an.

In Deutschland wurde der Systemansatz seit den 60er Jahren von Erwin Grochla (Köln), Gert von Kortzfleisch (Mannheim) und Hans Blohm (Karlsruhe) in der Betriebswirtschaft gefördert.

 

In seiner Abschiedsvorlesung hielt Hans Ulrich 1985 ein "Plâdoyer für ganzheitliches Denken" (siehe: Technische Rundschau 49/85).

 

Kritisch zu den ganzheitlichen Ansprüchen äusserten sich:

Robert Lilienfeld: The Rise of Systems Theory. An Ideological Analysis. Diss. New School of Research 1975; New York: Wiley 1978; Nachdruck Malabar, Fla.: Krieger 1988, besonders Kap. 9.

Reinhard Meyers: Weltpolitik in Grundbegriffen. Bd. 1, Düsseldorf: Droste 1979, 179-196.

Reinhard Löw: Philosophie des Organischen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1980, Kapitel: „Organismus und Kybernetik“, 298-300.

Roland Vogt: Die Systemwissenschaften. Frankfurt: Haag und Herchen 1983, z. B. 33-42.

Johann-Peter Regelmann, Engelbert Schramm (Hrsg.): Wissenschaft der Wendezeit – Systemtheorie als Alternative. Frankfurt: Rita G. Fischer 1986.

 

Kritisch zu den Weltmodellen:

Peter Haas: Kritik der Weltmodelle. Philosophische Aspekte globaler Modellierungen. Diss. FU Berlin 1980; München: Minerva-Publikation 1980.

 

8. Entscheidungstheoretiker

 

Die Entscheidungstheorie entstand um 1950. Schon 1963 wiesen David Braybrooke und Charles E. Lindblom in "A Strategy of Decision" in 8 Punkten nach, dass das dazu notwendige "synoptische Denken" nicht möglich sei. Ähnlich äusserte sich später der Begründer der Weltmodelle des Club of Rome, Jay W. Forrester ("Counterintuitive Behavior of Social Systems", 1969/71).

 

In den 70er Jahren untersuchten die Forscher Daniel Kahneman und Amos A. Tversky, welche Fehleinschätzungen dem Menschen bei Entscheidungen unterlaufen. Der Sammelbericht erschien 1982: "Judgment under Uncertainity".

 

9. Friedens- und Konfliktforscher

 

1959 gründete Johan Galtung die „Abteilung Friedensforschung“ an der Universität Oslo. 1966 wurde daraus das „International Peace Research Institute, Oslo“ (PRIO). Das „Polemological Institut“ an der Universität Groningen wurde 1961 als unabhängige Forschungsabteilung eingerichtet, das „Stockholm International Peace Research Institut“ (SIPRI) als unabhängige Stiftung 1966.

Ein erste wichtige kleine Publikation war von Norman Z. Alcock: „The Bridge of Reason“ (1961; dt.: „Die Brücke der Vernunft“, Genf, 1962).

 

Um 1970 erlebte die Kriegs- und Friedensforschung einen publizistischen Höhenflug. Die ganzheitliche Betrachtung von Aggression, struktureller Gewalt, Rüstung und Terrorismus verlief jedoch Ende der 70er Jahre im Sande.

 

10. Neokonservative

 

Das Wiederaufleben des Konservativismus hat Jürgen Habermas mit scharfem Blick verfolgt (vgl.: "Die neue Unübersichtlichkeit", 1985). Der Neokonservativismus propagiert in der amerikanischen Variante eine Rückverlagerung der Probleme vom Staat auf den Markt, in der deutschen Variante eine Rückbesinnung auf den unverbildeten "common sense", die gesunde Tradition und die bindenden Kräfte der Religion.

Habermas behauptet, die "geistig-moralische moralische Erneuerung" meine eine Rückkehr hinter das 18. Jahrhundert.

 

Als neokonservativ kann man auch das wiedererwachte Suchen nach "Unternehmenskultur", ja Kultur überhaupt betrachten, aber auch die Hochstilisierung von Wettbewerbsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen. Das entspricht dem Sozialdarwinismus - "Überleben des Tüchtigeren" - im letzten [19.] Jahrhundert.

 

(Zusammengestellt August 1988)

 



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