Home Wie alt ist New Age?

 

Zu den Büchern

Marilyn Ferguson: The Aquarian Conspiracy. Personal and Social Transformations in the 1980's. Los Angeles: J. P. Tarcher 1980; erneut 1987; London: Routledge & Kegan Paul 1981; Nachdrucke London: Granada 1982, 1983; London: Paladin 1988;
dt.: Die Sanfte Verschwörung.
Persönliche und gesellschaftliche Transformation im Zeitalter des Wassermanns. Basel: Sphinx-Verlag/ München: Knaur 1982; mehrere Aufl. bis 1989.

Fritjof Capra: The Turning Point. Science, society and the rising culture. 1982;
dt.: Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild. 1983; zahlreiche Aufl. bis 2004.

 

Siehe auch: Esoterik seit 1700

 

 

Die Bezeichnung "New Age" dient für zweierlei:

1. für die Hippie-Bewegung der 60er und 70er Jahre,

2. für Alternativler und Forscher, "die sich von gewissen Grundkonzeptionen westlichen Denkens losgesagt" haben und eine "sanfte Verschwörung" (Marilyn Ferguson) oder "aufsteigende Kultur" (Fritjof Capra) bilden.

Die dahintersteckende Weltsicht ist jahrtausendealt. Mit Sekten oder Okkultismus hat es aber nichts zu tun.

 

Das Hauptproblem beim Thema "New Age" besteht darin, dass Marilyn Ferguson und Fritjof Capra hierzulande - d. h. in den deutschsprachigen Ländern - als New-Age-Gurus angesehen werden. In ihren je 500seitigen Büchern berichten Frau Ferguson aber von der "Wassermann-Verschwörung" (1980), Capra von der "aufsteigenden Kultur" (1982). Die sog. New-Age-Spiritualität wird nur ein- oder zweimal beiläufig erwähnt. In Capras 350seitigem Rückblick auf seine Erlebnisse und Begegnungen in den 60er und 70er Jahren ("Das neue Denken" 1987) kommt der Begriff New Age überhaupt nicht vor.

 

1982-85: New Age kommt nach Europa

 

1982

 

Man kann es beiden Autoren ankreiden, dass sie sich nicht energisch genug wehrten, als sie mit Unterstützung der Medien und Verleger als New Age-Gurus auf Tourneen gingen. Frau Ferguson stellte ihr Buch "The Aquarian Conspiracy" (1980), das 1982 in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Die sanfte Verschwörung" erschien, Ende April 1982 in Pressekonferenzen und Vorträgen in Hamburg, Wien und in der Schweiz vor, begleitet von Sphinx-Verleger Dieter A. Hagenbach (Basel).

Das riesige Sammelsurium von neuen Denkansätzen und Thesen, Therapie-, Erziehungs- und Lebensformen galt als "Handbuch des New Age". Auf Einladung des Pressesprechers der PTT, Robert Neun, sprach sie in Grangeneuve und Zürich. Dr. Werner Kämpfen, Verwaltungsratspräsident der PTT, bekannte, dass ihn schon die ersten Seiten des Buches, das er gerade in die Hand bekommen hatte, fasziniert hätten. Das Buch sei wegweisend und eröffne "Dimensionen einer gegenwärtigen Zukunft".

 

Im September 1982 fand ein Weltkongress der Schamanen in Alpbach statt, im Oktober eine internationale Konferenz in Findhorn.

 

1983

 

1983 kam das Anfang des Vorjahres in New York erschienene analoge Buch von Fritjof Capra, "The Turning Point", auf Deutsch als "Wendezeit" heraus und erlebte gleich sechs Auflagen.

Ende August 1983 fand in Davos der "Weltkongress der Transpersonalen Psychologie über Wege zur Rettung der Welt" - genauer Titel: "Individuelle Wandlung und universelle Verantwortlichkeit" - statt. Unter den 1000 Teilnehmern aus über 30 Ländern befanden sich neben amerikanischen Meditationslehrern und Psycho-Forschern auch der Dalai Lama und Krishnamurti sowie der Entdecker des LSD, der Schweizer Albert Hofmann.

Zahlreiche Persönlichkeiten - darunter der Dalai Lama, der 80jährige, in Kaschmir geborene Yoga-Weise Pandit Gopi Krishna und der Amerikaner Richard Baker-Roshi, Abt des Zen-Centers in San Francisco - begaben sich eine Woche später in das österreichische Bergdorf Alpbach, wo ein ebenfalls einwöchiger Kongress über "Andere Wirklichkeiten" stattfand. Hier diskutierten etwa 350 Teilnehmer mit den Physikern Fritjof Capra und David Bohm, den Biologen Rupert Sheldrake und Francisco Varela und vielen andern über "die neue Konvergenz von Naturwissenschaften und spirituellen Traditionen" und hörten Oberton-Musik des Sängers Roberto Laneri. (Der Tagungsband wurde im nächsten Jahr von Rainer Kakuska herausgegeben.)

Im Oktober 1983 schliesslich fand auch in München ein Kongress über "spirituelle Transformation" statt. Ebenfalls im Herbst fanden die ersten "Psi-Tage" in den Hallen der Schweizer Mustermesse in Basel statt.

Am 10. Oktober 1983 berichtete Michael Haller unter dem Titel "Wir steigen in den Himmel auf" im "Spiegel" über die "Transpersonalisten" in Kalifornien, die sich als Vorreiter eines globalen Gesellschaftsprogramms des "New Age" verstanden.

 

1984

 

Der Durchbruch in eine breitere Öffentlichkeit erfolgte 1984: Gerd Gerken stellte "New Age" im Juli in der Zeitschrift "Management-Wissen" vor. Zwei grosse deutsche Taschenbuchverlage eröffneten New-Age-Reihen. Gerd Geisler, Chefredaktor der grenzwissenschaftlich-esoterischen Monatszeitschrift "esotera", stellte 20 Beiträge, die in den vergangenen fünf Jahren in seiner Zeitschrift erschienen waren, unter den Titel "New Age - Zeugnisse der Zeitenwende" zusammen.

Auf Kreta hatten sich im Februar "New Age-Begeisterte" getroffen und unter anderem das Werk des Satanisten Aleister Crowley wiederentdeckt; im Herbst fanden "Esoterische Tage" in Siegen statt, in Zürich ein "New Age-Symposium" mit Marilyn Ferguson und Albert Hofmann. Marilyn Ferguson trat auch am 1. Transpersonalen Kongress in München auf.

Von der Filmschauspielerin und Tänzerin Shirley MacLaine erschien fast gleichzeitig in Englisch und Deutsch ihr Bericht "Zwischenleben" (zwei Jahre später folgte "Tanz im Licht").

 

1985

 

1985 meldeten sich die ersten Gegner zu Wort. Sie wurden hauptsächlich von theologischer Seite angeführt und hatten eine wahre Flut von Publikationen - Artikel und Taschenbücher - zur Folge.

Der erste kritische Bericht von Hans-Jürgen Ruppert fragte: "New Age - Endzeit oder Wendezeit?" Der umstrittene Schweizer Wirtschaftskritiker Hans A. Pestalozzi warnte in flammenden Worten vor der "sanften Verblödung"; sein Pamphlet richtete sich "gegen falsche New Age-Heilslehren und ihre Überbringer", von denen er am Zürcher Symposium schrecklich frustriert worden war.

Im Jahr darauf erschien die deutsche Übersetzung des kritischen Berichts von Constance Cumbey - "The Hidden Dangers of the Rainbow" (1983) - unter dem Titel: "Die sanfte Verführung."

 

Die "Neue Zürcher Zeitung" nahm von redaktioneller Warte aus die "optimistischen Kulturkritiker" der neuen Verschwörung aufs Korn. Regula Heusser widmete ihnen ihre Seite Zeitfragen am 16. März 1985. Der Bericht über "uralte Weisheiten im modischen Kleid des 'New Age'" präzisierte allerdings weder Inhalte noch Namen. Dafür wird Frau Ferguson gewürdigt:

  • "Die in flottem Wortfluss aufbereiteten Berichte (im Buch "Die sanfte Verschwörung") über wissenschaftliche Entdeckungen, durchsetzt mit Anekdotischem aus dem Leben prominenter amerikanischer Forscher und mit Abstechern in die europäische wie asiatische Geistesgeschichte, sind eine kurzweilige Lektre, die immer dann ein distanziertes Innehalten gebietet, wenn die Autorin zu ihren eigenen Schlüssen kommt. Hört man sie erst dozieren ..., so verdünnen sich konkrete Informationen, bleiben vorwiegend Beschwörungsformeln und Anleitungen zu positivem Denken."

 

  • "Die amerikanische Faszination für alles Irrationale, für Mystik und für magisches Wissen scheint zumindest im Kreise der neuen Verschwörer ebenso verbreitet wie oberflächlich zu sein. Vor lauter Schwärmen für das wertvolle Wissen um esoterische Zusammenhänge bleibt kaum die Musse, selber zu solchem vorzustossen. Und das Erarbeiten von etablierten Erkenntnissen, so sehr man diese für die grosse Vision in dieser oder jener Weise benutzt, erübrigt sich vollends."

 

Eine Ehrenrettung versuchte demgegenüber Susanne Schaup. Sie besuchte noch existierende New Age-Gemeinschaften in den USA und schilderte sie unter dem Titel: "Wo Leben wieder menschlich wird. An der Schwelle des New Age - Alternatives Leben in Amerika".

 

1985 und 1986: "New-Age-Festival"

 

Im Mai 1985 fand ein "European Humanity Gathering" in Findhorn statt. Es nahmen Delegierte aus 29 Ländern teil.

Am New-Age-Festival der Wissenschaften, Kulturen und Religionen, das 1985 in Interlaken stattfand, versuchte man in einer "planetarischen Regenbogen-Zeremonie" eine grosse Kerze als Licht der Urreligion anzuzünden, von der acht "Kräfte" ihren Schein hernehmen sollten.

Die zweiten New-Age-Tage, die unter dem Motto "Der nächste Schritt" im August 1986 stattfinden sollten, mussten wegen mangelnder Teilnahme abgesagt werden. Der Organisator, Dieter Hagenbach, Inhaber des Sphinx-Verlages in Basel, vermutete als Grund:

  • "Die Leute sind verunsichert und fühlen sich auch völlig angelogen von den Wissenschaftlern genauso wie von den Politikern, und das hat nicht dazu geführt, dass sie nun von sich aus den nächsten Schritt machen wollen, sondern dass sie sich zurückziehen ... Die Leute sind eher ängstlicher geworden, sie haben sich mehr zurückgezogen und versuchen, dort jetzt noch die letztlich verbliebene heile Welt für sich zu behalten."

 

Falsche Ausweitung des "New Age"-Begriffs auf Ferguson und Capra

 

In den Jahren 1982-85 fand also hierzulande eine wenig beachtete, aber bedeutsame Begriffsverschiebung statt:

  • Was vorher bloss eine Bezeichnung für die hauptsächlich von Hippies, Zen-, Yoga- und Sufi-Zentren in Kalifornien gepflegte "Spiritualität" war, wurde ganz pauschal ausgeweitet auf all das, was Frau Ferguson unter "sanfter Verschwörung", Capra unter "aufsteigender Kultur" zusammenfassten.

 

Das "alte" New Age war damals bereits vorbei. Das spürte auch der Radiomitarbeiter Hanspeter Gschwend, der über seine weitgehend erfolglose Spurensuche in Kalifornien am 8. Dezember 1984 im "Tages-Anzeiger Magazin" berichtete.

 

Reichlich spät, nämlich erst 1987, hat sich Capra selber zu Klarstellungen herabgelassen: In einem Interview mit Roger Schawinski für "Radio 24" wünschte er, man möge "New Age" nur für die Hippie-Bewegung der 60er und 70er Jahre gebrauchen. An einer Tagung in München präzisierte er: "Als vitale Bewegung gibt es also die New Age-Bewegung in Kalifornien schon seit fast zehn Jahren nicht mehr."

 

Anlass für diesen plötzlichen Präzisierungseifer Capras mag dreierlei gewesen sein:

 

1. die beängstigende Kommerzialisierung von "New Age" durch Buch- und Musikverlage, Seminarveranstalter und Managementberater,

2. die vehemente Abwehr seiner Ideen durch kirchliche Kreise unter dem Schlagwort "New Age", was diese in die Nähe von Sekten einerseits, Okkultismus anderseits rückte,

3. die Enttäuschung darüber, dass niemand von seinem Konzept der "aufsteigenden Kultur" sprach.

 

Nun kann man gegen populäre Etiketten äusserst schwer ankämpfen.

Zudem haben Frau Ferguson und Capra der Begriffsverschiebung selber Vorschub geleistet, und zwar durch die Bezeichnungen "Paradigmenwechsel", "Spiritualität" und "Mystik".

 

Paradigmenwechsel in den Naturwissenschaften, weniger im Geistigen oder Seelischen

 

Paradigma war bei den alten Griechen die Bezeichnung für das, was wir heute Urbild, Muster, Modell nennen (z. B. 2. Mose 25,9).

Der von der theoretischen Physik abgesprungene Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn bezeichnete damit um 1960 etwas, was man populär "die herrschende Meinung" nennt. Genauer: Es sind allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen, "die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten Modelle und Lösungen liefern". Solche eine Zeitlang für "normal" gehaltenen Anschauungen können sich wandeln: Die Welt wird anders gesehen, andere Probleme rücken ins Blickfeld, die alten Lösungen werden nicht mehr akzeptiert. Kurz: Das Weltbild macht eine "Revolution" durch. Nachher sind die Menschen "r eine andere Welt empfänglich".

 

In der Geschichte der Naturwissenschaften lassen sich solche Revolutionen am besten nachweisen: Die Namen Kopernikus, Galilei, Newton, Einstein, Bohr und Heisenberg sind jedem bekannt.

Schwieriger ist es mit der geistigen und seelischen Entwicklung der Menschheit. Entweder handelt es sich um schleichende Entwicklungen - z. B. Kapitalismus, Industrialisierung, Naturzerstörung, Computerisierung - oder die Revolutionen - z. B. "vom Mythos zum Logos" (um 500 v. Chr.), das Christentum, die Aufklärung (18. Jh.) - bleiben auf halber Strecke stecken oder werden bald vergessen. Später werden sie als Moden wieder belebt.

Deshalb ist ein historisches Bewusstsein nötig. Aber genau dies fehlt den New Age-Gurus.

 

Die Geschichte lehrt:

1. dass es alternative, reformistische oder esoterische Gruppierungen schon immer gab,

2. dass die Inhalte der östlichen Weisheit aus derselben Zeit stammen als die alten Griechen ihre Mysterien und Philosophien entwickelten (800 - 200 v. Chr.).

 

Kyniker, Gnostiker, Rosenkreuzer, Erweckungsprediger

 

Hippies im Altertum? Den "Kynikern" - z. B. Diogenes im Fass - wurde völlige Bedürfnislosigkeit und Schamlosigkeit, d. h. "völlige Nichtbeachtung aller Konventionen" nachgesagt. Sie wirkten auch als Seelsorger, Lebensberater und Reformer. Zur Zeit Christi wimmelte es von Bettlerphilosophen, "die mit struppigem langem Bart, schmutzigem Mantel, Ranzen und Knotenstock das Reich durchwanderten".

 

Der Zürcher Pfarrer Oswald Eggenberger, der Jesuit Josef Sudbrack (in "Neue Religiosität", 1987) und der Schamanenforscher Elmar Gruber (in "Was ist New Age?", 1987) führen New Age auf die Gegenbewegung zum Urchristentum, die Gnosis, zurück. Seit damals haben immer wieder Abweichler, Ketzer, Sekten und Reformbewegungen den Kirchen und Herrschenden zu schaffen gemacht.

 

Bald nach 1600 versuchten die Rosenkreuzer eine "Generalreformation der Welt". Es ging ihnen um die Heilung der Welt von ihren Schäden, und zwar durch "innere Umkehr", Fortschreiten im Erkenntnisvermögen und sozial engagierte Wissenschaft. Im Werk "Chymische Hochzeit" ging es gar um die Erschaffung des Menschen durch sich selbst. Ergebnis dieser Bemühungen war genau das, was die New Ager heute kritisieren: die neuzeitliche Wissenschaft.

 

An die christlichen Erweckungsbewegungen seit den Baptisten (1633), Quäkern (1652) und Pietisten (1670) sowie an die mehrfachen "Great Awakenings" in Nordamerika erinnert der Schluss von Marilyn Fergusons Buch: "Das Erwachen bringt seine eigenen Bestimmungen mit sich ... Du bist nicht nur du. Du bist ein Same, ein stilles Versprechen. Du bist die Verschwörung."

 

Begeisterung für chinesische und indische Philosophie

 

Schon Leibniz war von der chinesischen Philosophie begeistert. Er versuchte um 1700 einen kulturellen Austausch zwischen China und Europa in Gang zu bringen.

Das Interesse an Gartenkunst und Porzellan - "Chinoiserien" - prägte die Aufklärungszeit. Christian Wolff richtete in Halle ein "collegium orientale" ein; Voltaire sah in Konfuzius einen Vorläufer seiner eigenen Ideen.

 

Um 1800 rückte die indische Kultur ins Blickfeld: Schopenhauer pries die Upanischaden, Friedrich Schlegel begründete die Indologie, Goethe verlieh seiner Sehnsucht im "west-östlichen Divan" Ausdruck. Um 1860 propagierte P. B. Randolph sexuelle Magie und tantristische Riten in den USA.

Die 1875 von der Abenteurerin und Okkultistin Helena Petrowna Blavatsky gegründete Theosophische Gesellschaft machte östliche Weisheit im Westen populär. Zweiggesellschaften und Splittergruppen - z. B. Templerorden (OTO), neue Rosenkreuzer (AMORC), Anthroposophie - breiteten sich überall aus. Die engste Mitarbeiterin von H. P. B., Annie Besant, adoptierte Kirshnamurti, ihre Rivalin Alice Ann Bailey liess sich von einem tibetischen "Meister" Bücher diktieren.

 

"Old Age" mit wissenschaftlichem Anstrich

 

War also das New Age der Hippies ein neues Paradigma? Mitnichten.

Klaus Berger meint in seiner Studie: "New Age - Ausweg oder Irrweg", 1987:

 

  • "Das New Age ist deshalb eher ein 'Old Age', wenn auch für viele als solches nicht erkennbar. Im Zeitalter der Massenmedien und der allgemein verbreiteten Lebensangst lassen sich diese Gedanken nur besser verbreiten. Unterstützt durch die angeblich wissenschaftlichen Aussagen über Systeme und Ganzheit, bekommen sie einen neuen Anstrich und wirken für viele Betrachter glaubwürdig und seriös."

 

Mit dem letzten Satz ist der Beitrag von Frau Ferguson und Capra angesprochen. Sie gingen ja in ihren Sammelwerken weit über das Hippie-New-Age hinaus. Die Zusätze bestehen hauptsächlich in:

  • ganzheitliche Gesundheit resp. Medizin
  • Gehirn-, Psycho- und Drogenforschung
  • neue System- und Evolutionstheorie in Physik und Biologie
  • alternative Ökonomie und Technologie
  • Transformations- und Netzwerk-Paradigma für die Politik (nur bei Ferguson)
  • "transpersonale Erziehung", "ganzheitliches Wissen" und "Transformation der Lehrer" (nur bei Ferguson).

 

Spirituell = mystisch = östliche Weisheit?

 

Die meisten dieser Gebiete waren tatsächlich von östlicher Weisheit inspiriert. Und nun konnte die Verwirrung einsetzen.

Schon in seinem ersten Buch, "The Tao of Physics" (1975), hatte Capra die religiösen und philosophischen Traditionen des Hinduismus, Buddhismus und Taoismus (samt dem "I Ging") als mystisch aufgefasst und behauptet, "dass die östliche Mystik einen stimmigen, schönen Rahmen für die modernsten Theorien unserer physikalischen Welt liefert".

 

Marilyn Ferguson widmete ein ganzes Kapitel ihrer "sanften Verschwörung" dem "spirituellen Abenteuer" für jeden einzelnen. Diese "Verschiebung vom intellektuellen Konzept zum direkten Wissen" nennt sie ganz pauschal Mystik, wobei sie als Garanten dafür neben dem Hirnforscher Karl H. Pribram auch Capra erwähnt. Dieser wiederum rückte in seiner Wendezeit (1982) neben der modernen Physik auch die Gehirnforschung in die Nähe der Mystik und bezeichnete die "Systemschau des Lebens" als spirituell.

 

Gegen solche Gleichsetzungen und Behauptungen kann man protestieren: Schon Hinduismus ist nicht Buddhismus, Taoismus nicht "I Ging". Was wir seit Jakob Böhme (1600) "mystisch" nennen, ist nicht dasselbe wie persische, indische und chinesische Erfahrungen.

Fraglich bleibt überhaupt, ob wir östliche Lehren und Berichte überhaupt verstehen können. Jedenfalls lautet jede Übersetzung anders, die Texte sind oft ungesichert, und Sanskrit oder Chinesisch können die wenigsten.

 

Wenn man allerdings auf Fergusons und Capras Gleichsetzung spirituell = mystisch = östliche Weisheit abstellen will und wenn solche Spiritualität hauptsächlich von New-Age-Gemeinschaften gepflegt wurde, dann kann man tatsächlich auch die "sanfte Verschwörung" oder die "aufsteigende Kultur" mit dem Etikett "New Age" versehen.

 

Dann aber taucht auch die bange Frage auf: Helfen uns uralte Paradigmen, also jahrtausendealte Weltsichten, Lebenshaltungen und Praktiken bei der Lösung unserer ungezählten brennenden Gegenwartsprobleme?

 

(Zusammengestellt im Sommer 1988)

 



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