HomeMorphologie als Werkzeug zur Ideenfindung beim Schreiben von Texten

 

Vortrag, 28.1.1988, leicht gekürzt

 

Siehe auch:       Produktideenfindung erfordert Projekt-Management

 

 

 

Lauter falsche Bilder und schlechtes Deutsch!

 

So etwas darf nicht vorkommen!

Dieses Inserat ist in den letzten Wochen immer wieder aufgetaucht. Ich habe unseren Sohn gefragt, was es darstellt. Er sagte: "Pyramiden." Ich fragte: "Was für Pyramiden?" Er antwortete: "Die Pyramiden von Gizeh." - "Wo stehen diese?" - "Irgendwo in der Wüste." - "Woraus besteht die Wüste?" - "Aus Sand." - "Also, wo stehen diese Pyramiden?" - "Aha", sagte da unser Sohn, "Die Pyramiden stehen auf Sand und die Schlagzeile lautet: "… auf festem Grund."

 

Diese Art zu fragen ist morphologisch.

Es geht dabei immer um Ganzheit. Die Ganzheit steht am Anfang der Arbeit, und am Ende der Arbeit muss eine Kontrolle auf Ganzheit erfolgen.

 

[Das Inserat verschwand bald nach diesem Vortrag …]

 

Morphologie als Ganzheitsbetrachtung bedeutet auch: suchen, was zusammenpasst. Ein weiteres Inserat dient als Beispiel. Ich zeigte es unserem Sohn und fragte ihn, wofür es werbe. Er sagte: "Für das Variantenskifahren." Ich entgegnete: "Falsch, es wirbt für ein 'Generalunternehmen für Informationsvermittlung, Verlage und Grafische Betriebe'". "Was ist das?" - "Eben", sagte ich, "das müsste man klar machen, also bildlich darstellen, nicht einen Skifahrer.

Und dann erst der Text! Lauter falsche Bilder und schlechtes Deutsch.

 

 

Meine Damen und Herren: Viele derartige Inserate sind hinausgeworfenes Geld! Keine Werbeagentur dürfte sich dafür hergeben. Fast jede Agentur hat ja einen Fachmann, der sich "Werbeberater" nennt.

Dahinter steckt die richtige Erkenntnis, dass eine Agentur nicht nur ein Auftragsempfänger sein möchte, sondern den Auftraggeber beraten möchte. Ein Auftrag ist kein eingleisiges Verhältnis, sondern ein zweiseitiges. Wenn der Auftraggeber sich nicht beraten lassen will, dann gibt man den Auftrag besser zurück. Wenn die Zusammenarbeit nicht im Dialog erfolgt, schaut im Endeffekt für beide Seiten - Auftraggeber und Agentur - nichts Erfreuliches heraus.

 

Morphologie: praktiziertes ganzheitliches Denken

 

Meine Damen und Herren, das ist Morphologie, "praktiziertes ganzheitliches Denken". Es fängt beim Verhältnis Auftraggeber-Agentur an, geht über einen ganzen Kreis von weiteren Stationen und endet noch nicht einmal bei der Kontrolle des Werbeerzeugnisses auf Ganzheit, denn: auch Erfolgskontrolle, Lernen aus Fehlern, Revision und Planung der Fortsetzung gehören dazu. Morphologie bedeutet auch: eine Sache zu Ende denken.

 

[Die Darstellung eines Ganzen kann unter anderem in Form einer Tabelle oder Matrix erfolgen.]

 

Morphologie findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern umfasst auch Banalitäten und allgemeine Weisheiten. Ja, Lebens- und Berufserfahrung sind ein unerlässliches Fundament für die Morphologie.

 

Ich fasse in drei wichtigen Punkten zusammen:

 

1. Morphologie heisst, stets das Ganze im Auge oder im Hinterkopf behalten.

2. Morphologie heisst, etwas von verschiedenen Seiten betrachten, auf immer neue Weise zusammenzustellen versuchen, aber so, dass es eine Ganzheit ergibt.

3. Morphologie heisst, Zusammenhänge aufspüren, sehen, untersuchen. Also etwa Einflussfaktoren und Auswirkungen beachten, Begrenzungen und Lücken erkennen.

 

Mit dem letzten Punkt habe ich meinen Vortrag angefangen. "Kontrolle auf Ganzheit" ist unabdingbar. Das gilt überall: im Privatleben, für ein Portefeuille an der Börse, für ein Unternehmen - und eben, auch für die Werbung.

 

Das Ganze gibt den Rahmen ab für den Texter.

Der Texter ist ein Mann, oder eine Frau, des Wortes. Die Kunst, mit Worten nachhaltig zu überzeugen, heisst Rhetorik. Diese Kunst, ist seit bald 2500 Jahren lernbar. Die Alten Griechen errichteten dafür die ersten Schulen. Die Alten Römer, allen voran Cicero, haben diese Kunst perfektioniert. Jeder Texter müsste die antike Rhetorik gut kennen, denn was damals schon bekannt war, ist erstens erstaunlich und zweitens heute noch gültig: Es würde sich lohnen, einen ganzen Abend dieser Rhetorik zu widmen.

 

[Hier folgt die Darstellung der Rhetorik und Mnemonik in den Worten von Teil XVII der Serie Werbe-Morpho-Logisches .]

 

Nun ist der Zuhörer ein nicht viel anderer Mensch als der Redner. Er hat ebenfalls ein Gedächtnis, das Bilder speichern kann. Also ist ein guter Redner einer, der im Zuhörer speicher- und erinnerbare Bilder zu erzeugen vermag. Das kann ohne reale Bilder, also Zeichnungen, Photos, Filme geschehen.

 

Die Macht des Wortes ist eine Bild-Macht

 

Wir wissen es alle: Die Macht des Wortes ist eine Bild-Macht. Auch in unserem visuellen Zeitalter hat der Texter immer noch eine Chance. Ja, je grösser die Bilderflut ist, die über uns hereinplätschert, desto grösser ist die Chance für den Texter.

Reale Bilder sind fordernd, einengend, mitunter blass und uninteressant. Ein bilderzeugender Text dagegen stösst im Adressaten dessen eigenes bilderzeugendes Vermögen an. Solche Bilder, die ein Rezipient selber mit-erzeugt hat, bleiben länger, besonders wenn sie mit Stimmungen und Gefühlen verbunden sind.

 

Viele Hinweise auf diese Chancen für Texter bieten beispielsweise Werner Kolbe-Riel und sein Schüler Gundolf Meyer-Hentschel in ihrem Buch: " Werbung. Steuerung des Konsumentenverhaltens" (1982) unter den Titeln "emotionale" und "informative Techniken".

In der zünftigen Wissenschaft gibt es heute sogar ein Spezialgebiet, das sich mit "Imagery" befasst. Man hat sogar gemessen, wieviel bilderzeugende Kraft einzelne Wörter haben und diese in umfangreichen Listen zusammengestellt. Sie sind aber für den Praktiker unbrauchbar; er muss weiterhin auf seine Erfahrungen und Vermutungen abstellen.

 

Der aktive Texter

 

Nun können wir Morphologie, Rhetorik und Mnemonik mit der Idee des aktiven Texters verbinden. Der aktive Texter ist das Gegenteil des Lohnschreibers oder Wortknechts, der im Lehnstuhl sitzt und auf Erleuchtung oder Eingebung wartet. Er ist vielmehr ein Suchender. Er sucht 1. nach Informationen und 2. nach Ideen.

 

Ferner hat er, wie viele andere Mitarbeiter einer Agentur, die Aufgabe, Aufträge in Gestalt umzusetzen. Das geschieht auf zwei Ebenen:

 

1. Der Text muss eine Gestalt erhalten, eine Ganzheit bilden.

2. Da der Text immer nur ein Teil des Werbeganzen ist, muss er auch dieses Ganze mitgestalten.

 

Diese Doppelfunktion kommt ja heute in der Berufsbezeichnung deutlich zum Ausdruck: Texter/ Konzeptionist. Wir werden bald sehen, warum es so wichtig ist, dass der Texter auch beim Werbeganzen mitreden muss.

 

Aufträge in Gestalt umzusetzen erfordert Kreativität. Die erste "Creative Explosion" fand vor 30 000 Jahren bei den Höhlenmenschen statt. Seither leitet Kreativität den Menschen durch die Weltgeschichte.

Es gibt unzählige Definitionen von und Untersuchungen zur Kreativität. Es ist nicht viel dabei herausgekommen.

Mir sind die 4 Grundbedingungen der Kreativität wichtig:

 

1. Das Spiel mit Möglichkeiten

2. Das Staunen und aus der Verwunderung heraus Fragen

3. Die Seriosität, d. h. Arbeit, Einsatz und Ausrichtung auf das Gute

4. Das Selbstvertrauen als selbstkritisches Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten. Dafür hat Fritz Zwicky die Formel geprägt: "Jeder ein Genie".

 

Die Gestalt des Textes muss wirken

 

Der letzte Punkt ist von besonderer Bedeutung für alle Menschen, auch für den Texter. Die selbstkritische Einschätzung seiner Tätigkeit und seiner Produkte zeigt ihm nämlich folgendes:

Texte werden meist gar nicht gelesen. Es gibt dafür zwei Gründe.

Der erste: Sie kennen vermutlich die Zahlen. Täglich stürzen 300-600 Werbebotschaften auf den Durchschnittsbürger ein. Davon werden 10-25 % wahrgenommen; und die durchschnittliche Beachtungszeit für eine Anzeige ist 0,5-0,9 Sekunden.

Der zweite Grund für Nichtbeachtung. Das Erscheinungsbild ist unattraktiv, und der Inhalt ist schwach. Ein solcher Text wird nicht gelesen.

 

Das heisst nicht, dass der Text keine Bedeutung hat. Er ist ein unentbehrlicher Bestandteil jedes Werbeganzen. Deshalb darf er auch nicht mit der linken Hand hingeworfen sein. Ich behaupte: Ein Werbetext muss so gut sein, dass er wirkt, auch wenn er nicht gelesen wird.

 

Was heisst das? Die Gestalt die ein Text äusserlich oder innerlich hat, muss und kann wirken, auch wenn der Blick nur kurz darüber hinweg huscht.

 

Das Beispiel Dannemann

 

Ich meine damit gar nicht die Extremfälle von Hintergrundtexten oder Fliesstexten oder Texten in einer bestimmten graphischen Form, sondern ich denke etwa an eine Anzeigenserie für Dannemann.

Wenn ich mich recht erinnere, bestand sie jeweils aus dem Ganzfoto einer Person, einem längeren Interview-Text und der Dannemann-Schachtel. Es war nun gar nicht nötig, das Interview zu lesen. Die Assoziation erfolgte schon vorher: "Aha, eine frische, unternehmungslustig dreinschauende Person. Sie muss offenbar so interessant sein, dass man sie für ein Interview würdig hielt. Offenbar rauchen interessante Menschen Dannemann."

Das kann die eine Wirkung sein. Sie schliesst einen anderen Vorgang nicht aus. Springt mein Blick über das Interview, kann er an einer guten Formulierung oder an einer Behauptung, die mich anspricht, hängen bleiben, und ich kann dadurch veranlasst werden, das ganze Interview zu lesen. In dem steht dann am Schluss, dass es ganz selbstverständlich für diese interessante Person ist, Dannemann zu rauchen.

 

Wird das Interview jedoch nicht gelesen, ist das auch nicht schlimm. Es handelt sich ja um eine ganze Serie von Anzeigen. Und es ist schon viel erreicht, wenn der Illustriertenleser jede Woche sagt: "Sieh da, schon wieder ein interessanter Mensch, der Dannemann raucht."

 

Nur schon dieses winzige Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass der Texter bei der Mitgestaltung des "Werbeganzen" ein Wort mitredet.

Dieses Werbeganze umfasst alles, von Text, Headline, Slogan, Logo über Stil, Bild, Layout und Typographie bis zur Streuung, Plazierung, Frequenz usw. Mitreden und Mitgestalten, auch gegen Widerstände, erfordert mehreres: Unter anderem das vorher erwähnte Selbstvertrauen, aber auch Kenntnisse und Ideen.

 

Morphologie als Ideenfindung

 

Zur Beschaffung und Darstellung von Kenntnissen wie zur Findung und Darstellung von Ideen sind morphologische Methoden hilfreich. Es gibt etwa ein Dutzend davon. Ihre Anwendung im einzelnen zu lernen erfordert einen Kurs, einen Lehrgang.

 

Ich halte hier bloss einen Vortrag. Und dieser soll mehr ein grundsätzliches Bild zeichnen, den weiten Rahmen abstecken, die Stossrichtung zeigen und eine Einstimmung in das morphologische Denken vermitteln. Denn Morphologie ist, wie sie unterdessen gemerkt haben, unendlich viel mehr als der sogenannte morphologische Kasten. Sie ist nicht nur ein Korb voll Methoden, sondern auch eine Betrachtungsweise, darüberhinaus aber auch eine Lebenshaltung, ja eine Weltanschauung.

 

Patentrezepte gibt es nicht. Das wissen wir, oder wir haben es erfahren müssen. Die  Morphologie gibt daher keine einfachen Rezepte.

Wie der Mensch und das Leben kompliziert ist, ist auch die Morphologie kompliziert. Aber sie versucht unablässig, Ordnung in die Vielfalt zu bringen.

 

Für die Gewinnung von Informationen und Ideen können wir einen umfassenden 4er-Raster zeichnen.

 

1. Genauso wie es Copy-Strategien sowie Werbemittel- und -träger-Strategien gibt, müsste jeder kreativ Tätige auch eine Strategie für die Gewinnung von Informationen und Ideen haben.
Meist bleibt sie unbewusst oder unreflektiert. Wer System hineinbringen will, kann sich morphologische Zusammenstellungen machen.
Es gibt auch hier 4er-Raster, z. B. für die Methoden.

 

2. Es kann sein, dass ein Texter Vorlieben für Theorien, Wissenschaft, Literaturgeschichte usw. hat. Dann sucht er immer wieder Ideen bei der Zeichen- und Kommunikationstheorie, bei der Sprachforschung und Literaturwissenschaft.
Auch Anthropologie, Psychologie, Soziologie und Ökonomie bieten vielfältige Anregungen.

 

Näher liegen dem Texter meist

 

3. das handwerkliche Feld

4. das werberelevante Ganze.

 

Das werberelevante Ganze kennen wir bereits. Wir ordnen es nun in einem 4er-Raster an. Wir können ja vier grosse Bereiche unterscheiden:

 

- die Angebotsseite

- die Abnehmerseite

- die Werbemittel und -träger

- und das Umfeld.

 

Ich habe zwei 4er-Raster gezeichnet. Der erste betrifft die Kenntnisse.

Was müsste dem Texter bekannt sein, oder worüber könnte er Informationen einholen? Das ist freilich ein Universalprogramm, ein Ideal. Aber als Skizze sollte man es im Hinterkopf haben. Erstens können einem beim sorgfältigen Beachten einzelner Punkte bereits Ideen kommen. Zweitens lassen sich solche Schemata fast wie Bilder speichern.

 

Der zweite 4er-Raster betrifft die Ideen selber. Der Texter braucht Ideen

- für die Darstellung des Angebots

- für das Packen der Adressaten

- für den Einsatz der Werbemittel und -träger

- für das Wellenreiten.

 

Man kann das auch blumiger ausdrücken: Der Texter muss

- sich in die Seele des Angebots einfühlen oder aus dem Angebot eine Persönlichkeit machen

- sich in die Seele des Adressaten einfühlen und ihn als Ganzheit sowie in seinen Teilen ansprechen

- das Wesen, die Möglichkeiten und Grenzen der Werbemittel und -träger erfassen

- und er muss ein Gespür dafür haben, was der Trend ist, was kommen könnte (denn die Einschaltung z. B. eines Werbespots oder einer Inseratenserie erfolgt oft mehrere Monate nach dem Konzept dafür).

 

Morphologie: schrittweise in die Tiefe gehen

 

Nun kann man, indem man alle 4 Bereiche gleichzeitig im Auge behält, schrittweise in die Tiefe gehen [im folgenden werden nur 3 Bereiche betrachtet].

 

  • Also beispielsweise beim Produkt selber Philosophie, Positionierung, Profilierung und Präsentation beachten.
     
  • Für die Anknüpfungspunkte auf der Adressatenseite habe ich eine Zusammenstellung gemacht. Ich vermeide dabei das Wort Bedürfnisse. Woran wir anknüpfen können, sind Strebungen, Bilder, Erwartungen und Ansprüche, Gefühle und Haltungen. Sie alle sind polar. Die Kunst des Werbers besteht darin, an den richtigen Pol der richtigen Polarität anzuknüpfen.
    Also: Soll ich bei Schuldgefühlen oder bei der Verdrossenheit ansetzen; lässt sich das Schuldgefühl der Hausfrau mit einem Frauenstereotyp, z. B. der Verschwenderin oder Karrierefrau verbinden? usw.
    Das morphologische Vorgehen kann nicht zeigen, an was genau der Texter anknüpfen kann oder muss - seine Kenntnisse und Begabungen muss er selber einsetzen. Aber Morphologie kann die Suche erleichtern, Richtungen zeigen, zu Ideen anregen.
     
  • Dasselbe gilt für das handwerkliche Feld. Morphologie bringt auf den ersten Blick nichts Neues. Die Methode des morphologischen Schemas besteht vorerst nur einmal in der möglichst umfassenden Sammlung dessen, was dem Fachmann schon bekannt ist.
    Morphologie verlangt ausser der Sammlung auch Ordnung. Die kann nach irgendeinem Schema, z. B. dem 4er-Raster oder dem morphologischen Kasten geschehen.
    Der 4er-Raster für den handwerklichen Bereich beruht auf der Unterscheidung von Informations- und Werbeelementen sowie Werbe-Botschaft und -Philosophie. Diese einzelnen Bereiche kann man wiederum als morphologische Kästen (z. B. Entdecken) oder Kombinations-Matrizen darstellen.

 

Klaus Linneweh hat in seinem ausgezeichneten Büchlein über "Kreatives Denken" (1981) einen morphologischen Kasten für die "Strategie einer Sparkassenwerbung" zusammengestellt. Man schreibt  einfach zu jedem Stichwort alles auf, was einem in den Sinn kommt.

 

Nun schreiben wir zu unseren Stichworten im Bereich der Werbe-Philosophie also zu Ziel, Prinzip, Stil, alles auf, was uns in den Sinn kommt. Das klingt banal, hat aber meist ungeahnte Effekte: Ideen kommen!

Man muss das auch nicht in einem Zug machen. Man kann die Sache liegen lassen und später ergänzen. Es fällt einem immer wieder etwas ein. Bewahrt man die Blätter auf, kann man sie bei einem neuen Auftrag als Anregung brauchen.

 

Das ist freilich noch nicht der Witz der Sache. Dieser besteht im Kombinieren. Dafür gibt es zwei Arten:

 

1. Alles mit allem.

2. zwei Stichworte gegeneinander.

 

Das erste Verfahren ist einfach. Das Ziel Bekanntheit kann ich vermutlich mit massivem Einsatz und einem erotischen Stil erreichen, das Ziel Image wohl weniger. Passanten kann ich wohl kaum mit antizyklischen akademischen Plakaten ansprechen, aber vielleicht mit Serien in futuristischem Stil.

 

Das zweite Verfahren besteht darin, dass man je zwei Stichworte in einer Matrix zusammenstellt. Also zum Beispiel Werbeelemente und Stile, Elemente und Werbemittel, Elemente und Botschaften.

Das gibt rasch ein, zwei Dutzend Matrizen. Welche soll dich ausarbeiten? Das hängt von der Vorgeschichte ab, also von Ihren persönlichen Erfahrungen einerseits, von der Definiertheit und vom Umfang des Auftrags anderseits.

Das bestätigt die alte Weisheit: Eine Methode ist nicht alles, sie ist ein blosses Hilfsmittel. Man muss immer das Ganze im Auge behalten: das werberelevante Ganze, das Werbeganze (also das Endprodukt) und das Textganze.

 

Ich greife zwei Beispiele heraus: Der Werber kann sich fragen: "Welche Botschaft kommt bei welcher Zielgruppe an?" Preisvorteile eher nicht bei Kleinkindern und Sigma-Typen, aber bei Senioren und Omega-Typen. Qualität kommt an bei Alpha- und Beta-Typen, aber weniger bei Sigma- und Omega-Typen. Oder ist es eventuell anders, könnte ein Versuch in die Gegenrichtung gewagt werden? Nachdenken ist erlaubt.

 

Beispiel: Fliesstext, Buchstaben und Bilder

 

Ein zweites Beispiel : Es zeigt die Gegenüberstellung von Werbeelementen und Werbeträgern (Erfinden). Ich suche nach Ideen und fahre spalten- und zeilenweise durch die Matrix und warte auf eine Eingebung:

1. Spalte: "Text". Beim Feld Text und TV klingelt etwas. Ich denke nicht an ein Treatment oder Drehbuch, sondern an sichtbaren Text. Gut: Es gibt Videotex. Das ist unerspriesslich. Ich fange an zu überlegen; Gibt es bildliche Texte? Tatsächlich. Ich habe die Fliesstexte schon erwähnt.

Ein frühes Beispiel ist aus dem 8. Jh. erhalten. Ich siniere weiter: Wie steht es mit Wörtern? Da gibt es viele Beispiele. Ich zeichnete einst einen Fisch, und ein paar Tage später erschien dieses Inserat, später dann ein anderes.

 

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Gilt das auch für Buchstaben? Bildliche Buchstaben? Aus dem Mittelalter sind wunderbare Initialen erhalten. Ein Holzschnitt-Alphabet stammt aus dem Jahr 1543, ein Menschen-Alphabet aus derselben Zeit. Noch vor zwei Jahren verschickte eine Druckerei ihren Kunden ein Figuren-Alphabet aus dem letzten Jahrhundert.

Mit solchen Figuren kann man auch Wörter schreiben, denken Sie an die VITA-Leibchen. Ein Meister dieser Schreibart war der Modezeichner Erté. Die schlechte Wiedergabe des farbigen Gemäldes gibt nur einen schwachen. Abglanz der fertigen Figuren. Aus dem Jahr 1930 stammt dieses Bühnenbild. Wer weiter assoziiert, der gelangt möglicherweise zu den experimentellen Balletten von Oskar Schlemmer aus der selben Zeit: Bewegte Menschen als Buchstaben auf der Bühne.

Vielleicht regt das an, ein Drehbuch für eine Marken-Präsentation auf diese Art als TV-Spot zu schreiben.

 

Weiter assoziierend komme ich auf Massenveranstaltungen in Sportstadien: Da gibt es Bilder, Namen und Slogans, die aus Menschenmengen gebildet werden. Das führt mich weiter zum Yoghurt in der Wiese. Man könnte ja auch einen Text in eine Wiese oder in ein Kornfeld "stanzen".

Oder in einem TV-Spot die Entstehung eines Textes zeigen, mit dem Setzkasten, mit der alten Linotype. Schreibmaschine und Telex in Aktion sind wohl schon abgegriffen. Oder vielleicht könnte man wieder einmal einen Versuch wagen, Kreativität als Kombination von Staunen und Spielen bedeutet immer auch: Versuchen.

 

Ich komme zum Schluss: Nach gehöriger Vorbereitung entlässt ein winziges Feld einer einzigen Matrix ein Füllhorn von Ideen, die ich weiterspinnen kann. Ich muss nur darauf achten, dass mein Beitrag zum Ganzen eine gute Gestalt erhält und dass das Endergebnis auf Ganzheit kontrolliert wird.

"Das Wahre ist das Ganze", sagen die Philosophen.

 



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