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3 Aufgaben der Philosophie

 

Die Aufgabe der Philosophie heute kann man in dreierlei sehen:

 

1. Sie zeigt, wie etwas und was überhaupt zu erkennen ist. Sie ist also die Lehre von Erkenntnis und Wissen; sie klärt damit auch die Grundlagen, Grundbegriffe und Methoden der Einzelwissenschaften.

 

2. Sie zeigt, wie die Welt und alles in ihr zu deuten ist. Sie ist also die Begründung und der Aufbau einer Weltanschauung, wobei sie die Ergebnisse der Einzelwissenschaften einzubauen versucht.

 

3. Als geschichtliche Disziplin zeigt die Philosophie, wie der Mensch im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende gedacht hat, welche Probleme er zu klären suchte und zu welchen Einsichten er dabei gelangte. Dabei zeigt sich, dass es nichts gibt, was nicht als Erklärung oder Lösung herhalten musste. Philosophiegeschichte eröffnet daher dem Interessierten eine Fülle von denkerischen Bemühungen des Menschen, über die man nur staunen kann.

 

Zusammenfassend: Philosophie kann zeigen, wie man über die Erkenntnis zum Wissen kommt; sie dient als Weltanschauung der Orientierung im Leben und Leiden; und sie entfaltet in historischer Sicht das ganze Panorama menschlichen Ringens mit wesentlichen Fragen.

 

3 Möglichkeiten des Verhältnisses Mensch-Welt

 

Zu den Grundproblemen der Philosophie gehört das Verhältnis von Mensch zu Welt, sei es im Erleben, Wahrnehmen oder Denken, im Sehen, Fühlen und Begreifen, im Glauben und Wissen.

 

Die Fülle der Lösungsvorschläge lässt sich in drei Gruppen gliedern, wobei zu beachten ist, dass die eben erwähnten Vorgänge als Begriffe ganz unterschiedlich aufgefasst werden können:

 

1. Der Mensch hat einen unmittelbaren Zugang zu der von ihm unabhängigen Welt.

            Die Welt kann sich mir im Glauben, im Gefühl oder in der Schau eröffnen.

 

2. Zwischen Mensch und "Wirklichkeit" stellen sich die Erscheinungen.

            Nur diese sind mir fassbar. Was dahinter steckt, kann verschieden ausgemalt werden, z. B. als Sein (Eleaten), Idee             (Platon), Gott (Neuplatonismus), Ding an sich (Kant) oder das Ewige (Fichte).

 

Nimmt man an, das hinter den Erscheinungen Stehende sei nur denkbar, dann gilt das Sichtbare und Zeitliche als Schattenbild (Platon, Plotin) oder blosser Schein (Eleaten).

Man kann aber auch annehmen, "Soviel Schein [d. h. Erscheinung], soviel Hinweisung auf Sein" (Herbart) oder dass sich das Sein "an ihm selbst zeigt" (Phänomenologie).

 

3. Der Mensch erzeugt (setzt) die Welt aus sich selber (Fichte), sie entsteht erst im Wahrnehmen (Berkeley) oder Vorstellen             (Schopenhauer) oder aber sie entfaltet sich nur im Menschen (Hegel).

 

So fremd einige dieser Auffassungen auf den ersten Blick anmuten mögen: Jede trifft etwas Richtiges am unauslotbaren Verhältnis Mensch-Welt.

Sogar für den Glauben, die Welt sei vollständig (mit der Vernunft) begreifbar (Rationalisten), nur eine schrittweise Annäherung an die Welt sei möglich (kritischer Realismus, Modellismus), nur im Glauben erschliesse sich die ganze Welt oder aber sie sei völlig unergründlich, lässt sich Verständnis aufbringen.

 

12 grundlegende Betrachtungsweisen ( -ismen)

 

Die Lösungen, zu denen das Denken gelangt, können also ausserordentlich verschieden sein. Versuche, dies in einem Überblick dazustellen, hat es immer wieder gegeben. Ferner hat man ähnlich denkende Philosophen zu Gruppen zusammengefasst. Ergebnis waren stets -ismen. Also Wortgebilde, vor denen uns schaudert.

 

Solche -ismen gibt es Dutzende.

Für eine Übersicht scheinen mir aber nur zwölf Hauptgruppen wichtig, je vier erkenntnistheoretische, ontologische und strukturelle.

[Dazu kommen in jedem der Bereiche drei weitere grundlegende Auffassungsweisen.]

 

4 Auffassungen bezüglich des Erkennens (Abb. 1; Teil 1)

 

Auf die Frage, wie wir die Welt erkennen können, gibt es drei Antworten: Empirismus, Rationalismus und Irrationalismus.

 

Am vertrautesten ist uns heute der Empirismus, der sagt, die einzige Quelle des Wissen sei die Erfahrung und der Weg dazu (= die Methode) Beobachtung und Experiment.

(Bacon, John Locke, J. St. Mill; Empiriokritizismus von R. Avenarius)

 

Im Gegensatz dazu verzichtet der Rationalismus weitgehend auf Erfahrung oder Forschung und versucht, alles aus dem Denken abzuleiten, und zwar nach dem Vorbild der Mathematik. Ziel dabei ist, zu einem System von Begriffen, Urteilen und Schlüssen zu gelangen, an deren Spitze ein oberster Grundsatz steht, z. B. "cogito ergo sum" (Descartes).

Der Rationalist meint, die Welt sei vollständig begreifbar, wenn man die dem Menschen eingeborenen Vernunftbegriffe "klar und deutlich" einsehe. Die Vernunft (ratio) wird damit zur Führerin und Richterin in allen Bereichen des Lebens gemacht.

Politisch hat sich das in der Aufklärung und in der Französischen Revolution ausgedrückt.

(Descartes, Spinoza, Chr. Wolff)

 

Während Empirismus und Rationalismus erst in der Neuzeit Fuss fassten, gab es schon früher eine ganze Reihe von irrationalen Strömungen:

- solche, die auf dem Glauben beruhten,

- solche, die auf dem Gefühl beruhen,

- solche, die auf der Skepsis beruhen.

 

Die meisten irrationalen Strömungen gehen davon aus, dass die Welt durch die Vernunft nicht oder nicht vollständig erfassbar ist, dass es also Begebenheiten gibt, welche das menschliche Erklärungsvermögen übersteigen (z. B. die Offenbarung oder Wunder), welche nur in der Intuition schaubar oder gefühlsmässig, im Erleben erfahrbar oder überhaupt unergründlich sind.

 

Der Agnostizismus ist die Lehre von der Unerkennbarkeit des wahren Seins - docta ignorantia, negative Theologie, transrational -, also auch von der Transzendenz des Göttlichen (deus absconditus).

 

Wiederum fasse ich zusammen: Der Empirismus geht von der Erfahrung aus, der Rationalismus vom Denken. Der Irrationalismus wie der Agnostizismus gehen vom Glauben oder vom Gefühl oder von der Überzeugung aus, dass wir gerade die wesentlichen Sachen nicht begreifen und erklären können.

 

Wer weiss, ob nicht alles zusammen erst das menschliche Erkennen und Wissen ausmacht?

 

[Drei weitere grundlegende Auffassungen sind Subjektivismus, Objektivismus und Relationalismus.]

 

4 Sichtweisen der "Wirklichkeit" (Abb. 1, Teil 2)

 

Vier weitere -ismen machen Angaben über das "Sein" oder darüber, aus was die Welt besteht.

 

Für den Materialismus besteht die ganze Wirklichkeit aus Materie. Daher sind Seele, Geist, Denken usw. nur Kräfte oder Bewegungen der Materie.

 

Für den Idealismus ist das, was wir sehen nur eine Scheinwelt oder Erscheinung, hinter der eine für uns entweder unerkennbare (Welt-an-sich) oder eine nur denkbare geistige Wirklichkeit steht.

Eine Variante davon ist der Akosmismus.

 

Während der Idealismus bestreitet, dass wir diese von uns unabhängige Wirklichkeit (oder subjektunabhängige Aussenwelt) erkennen können (Phänomenalismus), ist der Realismus der Überzeugung, dass uns das durch Empirie und Vernunft möglich ist. Zumindest sollte das, was wir durch unsere kritisch geläuterten Erfahrungen und bewährten gedanklichen Annahmen herausgefunden haben, der Wirklichkeit "an sich" ungefähr entsprechen.

Dieser Realismus kann als Grundanschauung der heutigen Wissenschaft angesehen werden.

 

[Zwei weitere grundlegende Auffassungsweisen sind die Aktualitätstheorien und die Substantialitätstheorien. In neuerer Zeit kam die Betrachtung der Funktion dazu.

Eine weitere Möglichkeit besteht in der Betrachtung von Entitäten als System, Modell oder Struktur.]

 

4 Vorverständnisse (Abb. 1, Teil 3)

 

Es ist ganz klar, dass mit diesen sieben schematisch skizzierten -ismen die Reichhaltigkeit der Philosophiegeschichte nur angetippt worden ist. Selbstverständlich gab es mannigfache Abwandlungen, Ausweitungen und Differenzierungen, aber auch Kombinationen.

 

Nun kann man sich fragen, was hinter den sieben genannten -ismen steckt.

Sie beruhen auf einem Vorverständnis von Gott, Welt und Mensch, das je nachdem als Monismus, Dualismus oder Pluralismus bezeichnet werden kann.

·                    Der Monismus strebt nach einer sogenannten "letzten Einheit", aus der sich alles entwickelt hat oder auf die sich alles
             Mannigfaltige zurückführen lässt.

·                    Der Dualismus lässt die Gegensätze als unaufhebbare bestehen,

·                    und der Pluralismus gar eine Vielheit von Weltprinzipien, Urelementen oder Urwesen.

 

C. S. Peirce unterscheidet zwischen Monaden, Dyaden und Polyaden.

 

Der Indifferentismus ist eine Variante des Monismus. Als Geisteshaltung zeigt er eine Gleichgültigkeit gegenüber bestimmten Dingen, Zuständen, Lehren oder Ereignissen. Er kann als Uninteressiertheit, vermeintliche Überlegenheit oder bewusster Verzicht auf eigene Stellungnahme auftreten.

 

[Andere Betrachtungsweisen sind Determinismus, Indeterminismus und Evolutionismus.]

 

Zuordnung der -ismen

 

Es wäre schön, wenn man die ersten acht den letzten drei -ismen eindeutig zuordnen könnten. Doch das ist gar nicht so leicht.

 

Mit einiger Vorsicht könnte man den Empirismus mit dem Pluralismus in Beziehung setzten, den Rationalismus mit dem Dualismus. Doch letzteres gilt nur für den Rationalisten Descartes. Die ebenfalls zum Rationalismus zählenden Spinoza und Leibniz sind eher Monisten, dafür vertritt der Idealist Kant ebenfalls einen strengen Dualismus.

Die späteren Idealisten, also Fichte, Schelling, Hegel, streben nach einem Monismus. Ebenfalls auf eine der vielen Formen des Monismus beruhen die meisten irrationalen Strömungen sowie Materialismus und Realismus.

 

Ein einzelner Philosoph: Fichte

 

Diese wenigen Hinweise zeigen, wie schwierig nur schon die Zusammenfassung von denkerischen Bemühungen zu Gruppen ist.

Wie viel schwieriger ist es dann erst, genau zu verstehen, was jeder einzelne Philosoph gedacht und gemeint hat. Und jeder verwendet erst noch seine eigenen Begriffe! Zudem hat mancher in seinem Leben eine Entwicklung durchgemacht.

 

Fichte ist in beiden Fällen keine Ausnahme.

 

Er ist gewiss ein Rationalist gewesen, der meinte, allein mit dem Denken liesse sich die Welt erfassen. Aber er spürte wohl, dass das nicht gelingt, und so begann er, sich dem Irrationalen zuzuwenden, er wurde Mystiker.

Gewiss gilt Fichte als einer der Hauptvertreter des Idealismus, doch er schrieb: "Nur was aus dem Leben kommt, vermag das Leben zu bilden; aber der Idealismus ist das wahre Gegenteil des Lebens." Ja noch schärfer: "Leben ist ganz eigentlich Nicht-Philosophieren; Philosophieren ist ganz eigentlich Nicht-Leben."

 

Fichte nannte sich selbst einen Akosmisten, da seine Philosophie "die Realität des Zeitlichen und Vergänglichen leugnet, um die des Ewigen und Unvergänglichen in seine ganze Würde einzusetzen".

 

Fichte gilt auch als Monist. Aber ich habe vorher gesagt, der Monismus strebt nach der letzten Einheit. Daher muss auch der Monist auf dem Weg dorthin durch Zweiheiten gehen, sich mit solchen auseinandersetzen; bei Fichte sind solche Zweiheiten Leben und Philosophie, Ich und Nicht-Ich, Freiheit und Beschränkung.

 

Ich glaube sogar, das ist unser aller Schicksal: Wir müssen immer von Zweiheiten ausgehen und möchten doch so gerne zu einer Einheit, zu einem harmonischen Ganzen gelangen. Wenn wir aber um uns schauen, sehen wir überall eine ungeheure Vielfalt, Pluralismus also.

Soweit ist auch Fichte gelangt, wenn er am Schluss seines Lebens schrieb:

 

"Nicht ist denn Gott, und Gott ist nichts denn Leben;

Wie gerne ach! wollt ich diesem hin mich geben.

Dein Ich ist Hülle; sterbe, was vernichtbar,

Und fortan lebt nur Gott in deinem Streben!"

 

Skizziert im Herbst 1983

 




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