Home    Die Neuen Wellen

New Waves in Europe and USA

 

Ein Querschnitt 1963 – Highlights around 1960

 

Siehe auch:               Komödie und Satire im polnischen Film (1963)

                                   Das amerikanische „Cinéma Vérité“ (1964)

                                   Gibt es einen neuen Schweizer Film? (1964)

 

 

 

Gute internationale Suchdienste für VHS und DVD:

http://www.coolshopping.com/

http://www.cduniverse.com/

http://www.amazon.com/

http://www.dvdlister.com

http://www.digitallyobsessed.com/

http://www.allocine.fr/

http://www.filmdb.de/

 

Eine gute Übersicht:

http://www.mediamanual.at

 

Zur französischen Nouvelle Vague:

Norbert Grob, Bernd Kiefer, Thomas Klein, Marcus Stiglegger (Hrsg.): Nouvelle Vague. Bender Verlag 2006:

http://www.bender-verlag.de/titel.php?pid=131

 

Aldo Tassone: Que reste-t-il de la Nauvelle Vague. Paris: Stock 2003.

 

Zum Cinéma Vérité:

Siehe mit Interviews und Details:   Das amerikanische „Cinéma Vérité“

 

Zum italienischen Film:

http://www.italianculture.net/deutsch/film.html

http://lib5.leeds.ac.uk/rlists/italian/ital3171.htm#prim

 

Zum englischen „free cinema“:

http://www.bfi.org.uk/features/freecinema/

 

Zum neuen deutschen Film:

http://www.deutsches-filmhaus.de/

 

Zum polnischen Film:

siehe        Komödie und Satire im polnischen Film

 

Zur New Yorker „Group“:

http://www.film-makerscoop.com/history.htm

 

 

Inhalt

Frankreich: „Novelle Vague“, „Cinéma vérité“, „film d’auteur“

Italien: „Irrationalität des Daseins“, Pessimismus

England: „Free Cinema“

Deutschland: „Der neue deutsche Film“

Polen: Gegen die Dogmatik

USA: „The Group“, „cinéreportage“

 

 

 

Frankreich: „Novelle Vague“, „Cinéma Vérité“, „film d’auteur“

 

In Frankreich machte sich im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg die Lebensschau der Verzweiflung, des Hasses und der Hässlichkeit im Film breit.

 

Henri-Georges Clouzot und Yves Allégret beherrschten diese Schilderung des Nihilismus in eindrücklicher formaler Distanziertheit, wenn auch mit einem leichten Unterton des Zynismus. Es war eine intellektuelle Neugierde für den einzelnen Menschen um seiner selbst, nicht um der sozialen Bedingtheit willen, getragen von der Überzeugung, dass der Film ein Produkt des Verstandes, nicht der Inspiration sei.

Demgegenüber besann sich der Aussenseiter Robert Bresson auf den Realismus in der Innerlichkeit, auf die Menschlichkeit im Geistigen und die Begnadung des Lebens. Er suchte ohne Bewegung, durch Stillehalten, Neben- und Gegeneinanderordnen von Bildern, geprägt in äusserster Askese der Form, Schriftzeichen für das Seelische zu malen. Diese Bestrebungen Bressons hatten eine derartige Ausstrahlung, dass sich junge Suchende mit veränderten Konzeptionen ebenfalls auf diese Bahn wagten.

 

Mit dem 1957 geprägten Begriff "Nouvelle Vague" fasst man diese meist weniger als 35 Jahre zählenden Filmschöpfer zusammen. Sie standen unter dem Patronat der "Cahiers du Cinéma", welche selbst ihre schärfsten Kritiker Claude Chabrol und François Truffaut beisteuerten. Künstlerische und kulturelle Interessen, sowie die Grundlinie des Anti-Illusionismus waren ihnen eigen. Sie besassen eine "moderne" Formbesessenheit und den spielerischen Zug, die Realität zu verfremden, um keine allgemeingültige Wirklichkeit vorzuspiegeln. Gegen die Welt der in Reichtum und Luxus selbstzufriedenen, bequem von Freiheit redenden, aber den sich daraus entstehenden Verpflichtungen ängstlich entziehenden Bürger nahmen sie Stellung.

 

Das Unbehagen in dieser Wohlstandsverwahrlosung einer übersättigten Gesellschaft legten sie als subjektives Bekenntnis in Filmen wie "A Bout de souffle" (Jean-Luc Godard) und der Schilderung des bedrängt Heranwachsenden in "Les Quatre cent coups" (Truffaut) nieder. Sie wollten nur sich selbst und sonst nichts ausdrücken, als eine Konfrontation von eigenem Ich mit der Welt, auf die Person eines "Helden" konzentriert, aber ohne Anspruch auf soziale Allgemeingültigkeit.

 

Man kann diese Schöpfungen von Individualisten, die sich keiner Gesellschaft mehr verpflichtet fühlen, auch als ein simples Registrieren von Tatsachen und Erlebnissen auf Grund einer "Caméra stylo" betrachten. Darüber hinaus sind sie aber durchwoben von tiefem Weltschmerz, gepaart mit Selbstbemitleidung und Ansätzen zu Pathetik. Aus Protest gegen die Überschätzung der Technik und des Geldes bannten Kameraleute wie Henri Decoin und Raoul Coutard die realen Dekors mit minimstem technischem Aufwand ins Bild. Die Regisseure improvisierten nach kurz hingeworfenem Plan, brachten ihre Gedanken in der Nacht vor dem Drehtag oder gar in den Studios zu Papier und liessen die Schauspieler einfach warten, wenn ihnen nichts einfiel.

 

Das Lager dieser jungen Kräfte scheidet sich in zwei Gruppen: diejenige der "Cahiers" mit

  • Truffaut (und seinem, dem allgemeinen Trend zum Intimen folgenden, verspielten "Jules et Jim"),
  • Godard (und seiner Studie über die Kontaktlosigkeit des heutigen Menschen in "Vivre sa vie"),
  • Chabrol (und der zwischen krassem Naturalismus und Romantik schwankenden Fabel des tragisch Scheiternden in "Le Beau Serge" sowie dem Erfolgsstreifen "Les Cousins") und
  • Philippe de Broca (mit seinen feinsinnigen Komödien).

 

Diese Filmschöpfer stehen den Freunden Alain Resnais’ gegenüber, seinem früheren Schnittmeister Henri Colpi und dem weiblichen Regisseur Agnès Varda ("Cléo de 5 à 7'). Resnais selbst, der während zehn Jahren seine Persönlichkeit und Montagefertigkeit in Kurzfilmen geübt hatte, führt mit der Technik der Assoziation in die Welt des Vergessens und der Erinnerung, zum Problem der Identität ("L'Année dernière à Marienbad"). Zuvor hatte er in "Hiroshima mon amour" eine Welt der Gnadenlosigkeit, des Chaos geschildert, welche den Liebenden nur einen kurzen Augenblick des Vergessens schenkt. Er zeigte den Zug des Menschen, das persönliche Glück zu suchen, wie schrecklich auch das allgemeine Unglück der Zeit, in diesem Fall die Atombombe, sein mag.

 

Resnais’ Suche nach Abstraktion, die er in veränderter Form mit Louis Malle ("Zazie dans le Métro") gemeinsam hat, ist dem Anliegen des Ethnographen Jean Rouch diametral entgegengesetzt. Weder künstlerisches Interesse am Film noch Vergeistigung eines positiv-existentiellen Weltbildes liegt diesem am Herzen, sondern das Inhaltmässige. In Form einer Analyse, von ungestellten Interviews gibt er mit seinem "Cinéma Vérité" ein Dokument der Zeit, im Sinn einer soziologischen Bestandesaufnahme ("Chronique d'un été"). Er zeigt das Leben in Ursprünglichkeit und Natürlichkeit, ohne Anspruch auf Kunst zu erheben, was aber nach Umänderung der handlungsarmen Gestaltung nach den Eigengesetzen der Filmkunst bald einmal legitim werden könnte.

 

Daneben gab es, wie überall, zahllose Mitläufer und Konjunkturritter, die in der Meinung, das Filmen als Handwerk zu beherrschen, ohne aber an einer Schule gewesen zu sein oder bei einem Altmeister assistiert zu haben, Hunderttausende von Franken aus Produzenten (vor allem dem verdienten Pierre Braunberger) herauslockten. Das Resultat war, dass 1962 von über 50 begonnenen Filmen 35 fertiggestellt wurden und davon nur zwanzig einen Verleiher fanden.

Sie hatten sich von den ersten finanziellen Grosserfolgen der "neuen" Filme, welche 1956 von Roger Vadim begonnen wurden, indem er in "Et dieu créa la femme" die zugkräftige Brigitte Bardot herausbrachte, blenden lassen. Sie wurden nicht gewahr, dass trotz der beinahe vollständigen Verdrängung der Altmeister und deren teilweisen riesigen Verlustgeschäften auch der "Nouvelle Vague" nicht nur lauter Glück beschieden war.

 

Man mag gegen diese dem Geiste Vigos nacheifernden und den formalen Spuren Renoirs folgenden Jüngern des "film d'auteur" ins Feld führen, was man will. Man kann sie als Zertrümmerer der Fassade bezeichnen, welche einen Einbruch in die Zwischenzonen der Realität, in die Empfindungs-, Vorstellungs- und Gedankenwelt bewerkstelligten und dies in lobenswerter Weise von aussen her oder in literarischer Überhöhung von innen her anstrebten.

Oder man kann ihnen vorwerfen, dass sie sich in blinder, subjektiver Selbstbemitleidung, artistischer Selbstmystifizierung, in überspanntem Manierismus, ohne inneren Halt und mit Unehrlichkeit erfüllt, auf esoterischen, sophistischen oder nur schockierenden Voraussetzungen breit machten.

Das Verdienst aber muss man ihnen zugestehen, dass sie sich in ihrem Experimentieren wirksam gegen eine künstlerische Erdrosselung gewehrt haben, sich später einer Intimität, dem spontan Natürlichen eines modernen Kammerspiels zuwandten und den Menschen in seinen starken und schwachen Seiten machtvoll gegenwärtig erscheinen liessen. Sie brachen mit der Konvention der geradlinigen Bilderzählung, der Illusionstechnik und trugen so als positive Bilanz eine Stilerneuerung von grosser Breitenwirkung in die Welt hinaus.

 

Die Themenwahl und die Art zu drehen wurden bald vom Ausland adaptiert, nach Ansicht der Franzosen aber ohne Berechtigung.

 

 

Italien: „Irrationalität des Daseins“, Pessimismus

 

In Italien hatte sich der Bruch mit der Schule des Neorealismus, die eigentlich gar nicht eines dogmatischen Charakters bezichtigt werden darf, schon früher in langsamer Entwicklung abgezeichnet. Das nüchterne Pathos der geschichtlich-politischen Analyse, der sozialen Gestaltung des Lebens in einer Chronik, dann in distanzierter dramatischer Erzählung, wurde zunächst von Federico Fellini abgewandelt. Er prägte einen persönlichen, religiösen Realismus, der in die künstlerische Mythologie führte.

 

Von Michelangelo Antonioni, dem verzweifelten Pessimisten, wurde die ganze Lebenssicht in die Aussichtslosigkeit einer Rettung gesteigert. Er schuf die lichtlose Metapher einer Welt, in welcher es keine Kommunikation zwischen Mann und Frau, zwischen Liebenden mehr gibt.

 

Diese "Irrationalität des Daseins", gleichermassen bei Fellini ("La dolce vita") und dem links stehenden Antonioni ("L'eclisse") vorherrschend, steht dem durch Revolte aufgelösten Pessimismus von Luchino Visconti ("Rocco e i suoi fratelli") gegenüber. In seiner von Sensibilität und Poesie durchdrungenen sozialen Analyse scheitert zwar die Auflehnung an Unzulänglichkeit und falscher Stellung in der Gegenwart, wird aber trotzdem von einem durch die marxistische Sicht getragenen Optimismus in die Zukunft geführt.

 

Für eine selbsttragende Aussenseiterproduktion ist die filmwirtschaftliche Struktur Italiens sehr ungünstig; so mussten sich Francesco Rosi ("Salvatore Giuliano"), Elio Petri („L'Assassino"), Valerio Zurlini ("Cronaca familiare") und andere denn damit begnügen, ihre antikonformistischen Talente der herkömmlichen Produktion zu unterstellen. Dies taten sie auf die Gefahr hin, auf teilweise ausgefahrene Geleise gedrängt zu werden, da ihnen selbstverständlich nicht dieselbe Freiheit wie den drei Grossen zugestanden wurde.

 

 

England: „Free Cinema“

 

In England waren schon seit Beginn der Fünfzigerjahre reformerische Bestrebungen unter dem Namen "Free Cinema" im Fluss. Ihre Führer waren Lindsay Anderson, Karel Reisz und andere schreibgewandte Kritiker der Filmzeitschrift "Sight and Sound", welche sich ihre Sporen im Kurzfilm abverdient hatten. Ihre Absicht war, die Lauheit der Öffentlichkeit dem Film gegenüber in ein Ernstnehmen einer Kunstgattung zu wandeln. Zudem wandten sie sich gegen die Risikoscheue der Londoner Gesellschaften, die Monopolisierung des Verleihs und gegen die Arbeitergewerkschaften mit ihren unzeitgemässen Verordnungen über die Anstellung des technischen Personals.

 

An die klassische englische Dokumentarfilmschule Griersons anknüpfend, übertrug Tony Richardson John Osbornes literarischen Begriff des "angry young man" auf die Leinwand. Bryan Forbes verband Geschmack und Geschäft in "The Angry Silence", während Jack Clayton den unbequemen "Room at the Top" herausbrachte.

Da sich die Rebellion nicht nur auf einen leeren Formalismus beschränkte, sondern sich in echter Verbundenheit mit den Problemen des Alltags zeigte, waren Werke wie

  • "Saturday Night and Sunday Morning" (Reisz),
  • "A Taste of Honey" (Richardson) und
  • "A Kind of Loving“ (John Schlesinger) möglich.

Der geringen Gestehungskosten wegen waren diese Werke erst noch kassensicher.

 

Der Zorn und die Auflehnung sind zwar in der "Look at Britain"-Bewegung im Schwinden begriffen, wenn auch äusserlich der straffe und bewegliche, realistische Stil beibehalten wurde. Was England aber fehlt, sind junge Kräfte in grosser Zahl, welche dieser Bewegung machtvollen Einfluss sichern und damit den Anschluss ans Festland zustande bringen könnten.

 

 

Deutschland: „Der neue deutsche Film“

 

Die Krise im deutschen Film hat ihren Ursprung im Jahre 1933, als schon viele Künstler nach Hollywood abgewandert waren und nun auch die letzten aus politischen Gründen emigrieren mussten. Über dieses schöpferische Vakuum, das die Naziherrschaft durch die Ausrottung der geistigen Elite auf allen Gebieten herbeigeführt hatte, täuschten auch die späteren Erneuerungsversuche eines Helmut Käutner oder Wolfgang Georg Staudte nicht hinweg. Ihre Auflehnung gegen den UFA-Stil à la Hollywood hatte keinen grossen Widerhall.

 

Man hielt sich weiter an die Flucht aus der Realität, die "tradition de la qualité", die Überbewertung der Stars, den Wahn zur Grösse und die Standardisierung der Produktion. Die Ursachen für das heutige Malaise schiebt man dem Mangel an Autoren zu. Im Verein mit der allgemein darniederliegenden Kultur Deutschlands spricht man von Abwesenheit jeglicher politischer Interessen, von Halbbildung, mangelndem Wagemut, Phantasielosigkeit und Bequemlichkeit, gepaart mit Routine.

 

Da taten sich 1961 zwei Dutzend junge Leute zusammen und erklärten den Anspruch auf die Schaffung des neuen deutschen Films: "Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen!" Es blieb aber bei Worten.

An die psychologische Analyse eines in unserer Zeit verirrten Menschen durch Dr. Ottomar Dominick in "Jonas" und die Versuche einer Bewältigung der Schuld im letzten Krieg durch den bewährten Bernhard Wicki und den jungen Ostdeutschen Konrad Wolf konnte man nicht anknüpfen. Die "Münchner Schule" mit Herbert Vesely und dem Kameramann Wolf Wirth befleissigte sich in extrem ästhetischen Spielereien einer "Zerlegung der Welt", und das Team Hans Rolf Strobel/ Heinrich Tichawsky fand bei der grösseren Schaffensfreiheit im Fernsehen mehr Befriedigung.

 

So wird die Behebung der Krise den Produzenten zubeordert, welchen nahegelegt wird, die Nachwuchsförderung mit Verständnis an die Hand zu nehmen. Erste Schritte hat in dieser Richtung der Berliner Unternehmer Artur Brauner unternommen, indem er junge Talente als Bewährungsproben Kurzspielfilme nach eigenen Vorlagen gestalten lässt. Jedermann kritisiert aber die von Verbandsfunktionären und dem Bundesinnenministerium in reaktionärem Beharren jonglierte Subventionierungs- und Prämierungspolitik. Denn in blinder Angst vor "anti-deutschen" oder gewagten, das heisst unbequemen Filmen, hatten diese die zum Teil beträchtlichen Unterstützungsgelder meist alten Routiniers zukommen lassen.

 

 

Polen: Gegen die Dogmatik

 

In den Ländern des Ostblocks hat die Kunst, Film wie die Literatur, nach dem Tode Stalins den Versuch unternommen, den engen Rahmen der Doktrin zu sprengen. Zwar musste man sich an die frühere Thematik halten, behandelte aber nicht die "Heldenhaftigkeit", sondern das Innenleben. Man nahm sich der Widersprüche und Irrwege in den Gedanken und im Suchen an, um dann (gezwungenermassen) doch zur ideologisch festgelegten Vorstellung des Guten und Wahren zu kommen.

 

Um vom Staate aus diese Art der Behandlung von Problemen auszurotten, erledigte man diese Filme kurzerhand mit dem Prädikat "unkünstlerisch". Denn nach Auffassung der Partei „soll Kunst die Zuschauer nicht mit unangenehmen Wahrheiten erschrecken, sondern ist gehalten, ihn in eine solche Ekstase zu versetzen, dass er darob die (bedrückende) Gegenwart vergisst".

Aus diesem Grund werden den jungen Kräften, welche sich in der relativ grosse Freiheiten geniessenden Volksdemokratie Polen (wie auch in Russland selbst) einige Jahre recht frei äussern konnten, strenge Massregelungen in Aussicht gestellt. Die Regisseure Tadeusz Konwicki, Jerzy Kawalerowicz, Roman Polanski, der frühverstorbene Andrzej Munk, neben Andrzej Wajda ("Kanal", "Asche und Diamanten") und dem Kurzfilmschaffenden Jan Lenica, hatten es nämlich gewagt, sich auf den Menschen zu besinnen, auf dessen persönliche, nicht durch sozialistische Dogmatik aufoktroyierte Anliegen.

 

Damit scheint es nun zu Ende zu gehen; was noch erlaubt ist, sind noch Verfilmungen von genehmen Romanen und Theaterstücken, Themen der Kriegsbewältigung und der üblichen Verherrlichung des Staates und der Lehre, traditionell geschulten Jungen zur liniengetreuen Bearbeitung zugestanden.

 

 

USA: „The Group“, „cinéreportage“

 

Ausser dem von der Photographie herkommenden Stanley Kubrick ("Paths of Glory“) gelang es in den USA vor 1960 niemandem, seine Filme ausserhalb der kommerziellen Produktion Hollywoods herauszubringen. Dieses huldigte nach einer internen Erneuerung unter Elia Kazan und der erfolgreichen Überwindung der Fernsehbedrohung in neuem Glanz seinem alten Materialismus. Die Traum-"Fabrik" hatte sich mit vollen Segeln wieder im Big-Show-Business, in den gewerkschaftlichen Abmachungen und düsteren Verflechtungen des Vertriebes festgefahren.

 

Eine erste "Outsider"-Gruppe hatte es bereits in seinen Bannkreis gezogen und fügsam gemacht (Robert Aldrich, Anthony Mann, Paddy Chayefsky).

In Anlehnung an deren Bestrebungen, das Leben der amerikanischen Durchschnittsbürger und den Verfall der geistigen Eliten aufzuzeichnen, bildete sich 1960 in New York eine experimentell-oppositionell ausgerichtete Gruppe unter Obhut der Zeitschrift "Film Culture". Ihr Leitbild war der spontane Film, "roh, unperfekt aber lebendig, in der Farbe des Blutes". In autobiographischen Zügen wollten sie das Leben von innen in absoluter Gegenwärtigkeit erfassen, aber weder auf Grund genauer Drehbücher noch mit Stars. Gegen die Einmischung von Produzenten und der Zensur, gegen das ungerechte Verleihersystem richteten sie ihre Angriffe, und sie propagierten Investierungen auf Grund von Partnerschaftsverträgen, um ein Drehen mit bescheidensten Mitteln zu gewährleisten. Auch für ein Festival an der Ostküste setzten sie sich ein.

 

Der einzige Haken an der ganzen Bewegung war, dass die revolutionären Werke schon vor der Gründung der "Group" entstanden waren.

  • In "Shadows" versuchte John Cassavetes, die Schauspieler sich in Improvisationen über ein kurz skizziertes Grundthema selbständig äussern zu lassen.
  • Sidney Meyers strebte in "The Savage Eye" an, ein Bild des "mondo cane" im Rahmen einer amerikanischen Grosstadt zu geben.
  • Der politisch etwas unbeholfene Kritiker Jonas Mekas unternahm in "Guns of the Trees" die Registrierung von Bereichen der Angst, in einem Gedicht ohne Story, auf filmischen Versen fussend; es war einer der kompromisslosesten Filme seit Zeiten.
  • Shirley Clark legte in "The Connection", analog Lionel Rogosin in "On the Bowery", Zeugnis ihrer schöpferischen Eigenständigkeit ab.
  • Schliesslich vermittelte der Amerikaschweizer Robert Frank einen Einblick in das Leben der "Beat"-Generation. Nach einem Bühnenstück ihres Anführers Jack Kerouac liess er sich mit "Pull My Daisy" über die Suche dieser jungen Leute nach Glückseligkeit aus. Die Beats sind nicht unbedingt Revolutionäre, sondern begnügen sich, ausserhalb der Gesellschaft bei Jazz, Mystik und Liebe einem beschaulichen Sektierertum zu frönen.

 

Den Filmschöpfern dieses Einzelgängertums war kein grosser Erfolg beschieden. Produzenten und Verleiher ignorierten sie, denn ihre kommerzielle Bedeutung war bei den Einsatzkosten von 20 000 bis 400 000 Franken äusserst gering. Auch das Publikum, in dessen Wandelbarkeit und Aufnahmefreudigkeit diese Filmschaffenden grosse Hoffnungen setzen, verhält sich ihnen gegenüber sehr ablehnend. Denn das Aus-der-Reihe-Tanzen, das Verharren in Anarchismus und das immerwährende Zeigen, wie schlecht die Welt doch ist, ohne jegliches Bemühen zur Erringung einer, wenn auch falschen oder vorübergehenden Lösung, stösst den Zuschauer ab. Da hilft auch das Einsetzen von unzweifelhaft hohen filmischen Fähigkeiten nichts.

 

Da verspricht das Vorgehen einer kleinen Schar Anhänger Jean Rouchs mehr Erfolg. Mit der "cinéreportage", dem gefilmten Journalismus, haben sich Richard Leacock und Robert Drew ("Yanki No!“) der exaktesten Wahrheit und Unmittelbarkeit verschrieben, indem sie mit einer elektronischen Uhr die völlig geräuschlos laufende Kamera mit der direkt aufnehmenden Tonapparatur synchronisieren. Auf Grund dieser vollständig geänderten Aufnahmebedingungen und mit mehreren Kameras gelingt es ihnen, auf leisen Spuren dem Leben zu folgen.

 

Es wäre durchaus möglich, dass dieser Aufnahmetechnik, verbunden mit einer heute noch nicht vorhandenen dramaturgischen und dramatischen Gestaltung des Geschehens, einmal die Zukunft gehören wird.

 

 

(in drei Teilen von 3.8.-31.8.1963 in der Zeitschrift „Film + Radio“ erschienen,

in einem Stück in „zürcher student“, 41. Jg. Nr. 5, November 1963, 11, 13;

Zwischentitel erst jetzt eingefügt)

 



Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch