Home "Die Situation der Gegenwart ist voll von Gefahren"

 

Eine neue "Vierteljahresschrift für skeptisches Denken":

„Scheidewege", Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main, 1971

 

 

'Unser zeitliches, räumliches Verweilen ist endlich und hat seine Grenze. Zeitlichkeit und Räumlichkeit sind uns zugeordnet und der Anschein besteht, dass die Zeit den Vorrang hat. Es mag sein, dass dieser Anschein täuscht, den täuscht, der keine Zeit hat und sich keine Zeit lassen kann. Dass dem Zeitgenossen die Zeit mangelt, dass sie ihm zusetzt, ihn bedrängt und ruhelos macht, liegt nicht an der Zeit, sondern an ihm, liegt an der Ruhelosigkeit, Geschäftigkeit und Eile, mit der er seine Zeit von vornherein vermisst, verrechnet und verbraucht. Im Vermessen der Zeit ist schon mitgesetzt, dass sie vermisst wird. Gut ist es, Zeit zu haben, sich Zeit lassen zu können. Wer seine Zeit hat, nicht nur die Zeit anderer, ist gut daran. Keine Zeit haben, das ist die Bedingung aller Armut.

 

Ist es so, dass nicht die Zeit flieht, sondern der Mensch, dass er auf der Flucht ist, und dass die schnellsten Mittel ihm dazu am tauglichsten scheinen? Dass er seine Zeit kürzt, indem er in den Raum ausweicht? Entzieht sich ihm nicht eben dadurch die Räumlichkeit des Raumes, in der er beheimatet ist? Kann er Raum gewinnen, wenn ihm die Zeit mangelt? Oder verliert er ihn?

 

… Der Titel 'Scheidewege', der für diese Zeitschrift gewählt wurde, sagt zweierlei. Er sagt, dass unsere Zeit sich auf eine Weise verschliesst und öffnet, in der das Abschiednehmen tiefer greift als in mancher anderen Zeit, so tief, dass es nicht schmerzlos sein kann. Wir werden uns nicht nur erleichtert oder gleichgültig von dem abwenden, das wir hinter uns lassen, wir werden den Schmerz des Abschiedes und der Trennung in jeder Faser spüren. Und auch von ihm werden wir uns verabschieden müssen. Es mag sein, dass das, was auf uns zukommt, uns so fremd vorkommt, dass wir es nicht erkennen, uns in ihm nicht erkennen. Das Zukünftige ist nicht unser Machwerk. Wer daran glaubt, dass alles gemacht werden kann, der überhebt sich, und je allgemeiner diese Überheblichkeit ist, desto härter und unbarmherziger kann sie geahndet werden.

 

Ohne Vertrauen öffnet sich kein Weg. Ob er gangbar ist, gangbar weitergeht, bedarf der Prüfung. Einen Beitrag zu dieser Prüfung zu geben, ist die Aufgabe dieser Zeitschrift.“

 

Wir gehen auf ziele zu, die uns vererbt sind

 

Gleich das Vorwort der ersten Nummer dieser vierteljährlich mit je etwa 100 Seiten Umfang herauskommenden Zeitschrift des Verlages Vittorio Klostermann in Frankfurt am Main ist in besinnlicher Gestimmtheit gehalten, Genauso leise und überlegt geht es im "Programm" dieser von Friedrich Georg Jünger (Überlingen, Bodensee) und Max Himmelheber (Baiersbronn) herausgegebenen und von Franz Vonessen (Freiburg im Breisgau) redigierten "Scheidewege" weiter:

"Unsere heutige Zeit ist gering an Standfestigkeit, aber reich an Bewegung. Sie will nicht den Stand, geschweige denn 'Stillstand', sondern das Fortkommen. Demnach ist sie mit vielen Wegen vertraut. Dennoch trifft sie nur selten - immer seltener möchte man sagen .- auf Scheidewege; denn sie lebt aus Entscheidungen, die längst gefällt worden sind. Wir folgen Wegen, die andere, Ältere, vor uns Lebende, festgelegt haben, gehen auf Ziele zu, die uns vererbt sind" (4).

 

Ob die Wege gangbar sind, ist zu prüfen. Dafür bedarf es der Skepsis, des Hintanhalten der Entscheidung im vorurteilslosen und genauen "Zusehen". Es zeigt uns:

"Die Situation der Gegenwart ist nicht herrlich und aussichtsreich, sondern voll von Gefahren … Es ist unfasslich zu sehen, wie der reine Höhenflug der Gründer der Neuzeit verwandelt, wie die Renaissance des Geistes mit Bösem, Dunklem, Gefährlichem durchsetzt worden ist" (6, 7).

 

"Fortschritt" mit Hilfe der Technik ist das moralische Argument, mit den man die Technik rechtfertigt. Man begründet also mit dem für gut und notwendig erachteten Produkt die Maschine. Doch die Maschinen wachsen wie die Häupter der Hydra - und verdunkeln den Himmel.

"… es ist finster geworden, und die Probleme beginnen, unseren schön geplanten Zukunftsweg zu verwachsen" (8-9).

Konkrete Skepsis muss nun das laue und bequeme Selbstverständnis der heutigen Zeit aufsuchen, feststellen und prüfen, um die selbstgefälligen Irrtümer und Verzerrungen, die es enthält, zu durchschauen. Selbsterkenntnis soll möglich werden, doch das ist eine ewige Aufgabe, keine Lösung ist garantiert.

"Sie entsteht nur als ein Mosaik von Enttäuschungen, die wirklich ent-täuschend sind und sich darum als nützlich, ja als sinnvoll erweisen" (9).

 

Der Kapitalist ist nicht Eigentümer

 

Im Sinne dieses "Programms" untersucht Friedrich Georg Jünger "Eigentum und Kapital": "Eigentum ist ein Recht gegenüber anderen Eigentümern, ist ein rechtlich umfriedeter, begrenzter, geschlossener Herrschaftsbereich" (12) über Sachen. In einem solchen kann Eigentum nicht Kapital werden, denn dieses ist nicht an die Person gebunden, in ihm wird die Bindung des Eigentums an die Person aufgehoben. Der Herrschaftsbereich geht - wie das römische und alle andern Rechte zeigen - dem Eigentum voraus, Ist Eigentum etwas Vorrechtliches, dann sind seine Rechtsbestimmungen etwas Hinzugefügtes; sie begründen das -Eigentum nicht.

Die Fähigkeit zur vorrechtlichen Aneignung .gründet im Eigenen der Person. Ohne Person - die in Art und Gattung nicht aufgeht - gibt es weder Eigenes noch Eigentum.

"Ohne Eigentum lässt sich die Person denken, nicht ohne Eigenes. Sklaven, Leibeigene, Kinder haben kein Eigentum, sind aber Personen" (17).

Über Eigentum kann man unbeschränkt verfügen; man kann sich seiner auch entledigen. Sein Eigenes aber kann man nicht wegwerfen, es sei denn man legte Hand an sich, an die Person. Das Weggeworfene kann von einem andern sich angeeignet werden; es geht nie verloren, seine Zugehörigkeit. zum Herrschaftsbereich der Person kann nicht vernichtet werden. Wird dieser Bereich angefochten, eingeschränkt, gemindert oder gar aufgelöst, der Person also entfremdet, wird das Eigentum Kapital.

 

Zwischen Eigentum und Kapital besteht ein harter Gegensatz.

"Kapitalbildung, die dem Einsatz von Kraftmaschinen folgt, ist ohne Enteignung von Eigentümern nicht denkbar" (24).

Kapital kann ohne Substanzauflösung nicht bestehen, Kapital "ist nichts anderes als Kraft, und Kraft ist der Motor des Kapitals" (24). Bisher wurde übersehen, dass also der Kapitalist nicht Eigentümer ist, denn er hat nicht nur andern Eigentum entzogen, sondern die Eigentums-Ordnung selbst aufgelöst. Die Beseitigung des Kapitalisten mit seiner "privaten Verfügungsgewalt" kann nur zum Staatskapitalismus führen. Der Sozialismus und Kommunismus wollen ja nicht das Kapital, die Produktionsmittel abschaffen, sondern sie mehren, durch gesteigerte Planung von Plan zu Plan erhöhen.

 

Das Produktionsmittel, die Organisation der Arbeit und die zu ihr benötigte Apparatur bleiben, nur die Verfügung darüber geht in die Hände kapitalistisch denkender und handelnder Funktionäre über, die kollektiven Anweisungen gehorchen. Auch Präsident einer société anonyme - die Bezeichnung sagt schon, dass keinerlei personale Bindung mehr vorausgesetzt wird -, der Generaldirektor, Manager und hohe Beamte ist kein Eigentümer mehr. Sie alle besetzen die Leitung der Betriebe und sind weitaus stärker als der allfällige Eigentümer. Wer die Schlüsselstellungen des Kapitals besetzt, die Zentren von Energieversorgung und Speicherung, Verwaltung und Verkehr, der braucht kein Eigentum zu haben, da das Einkommen höher ist als die Rente, die der Eigentümer aus seinem Eigentum zieht.

Auch die Mechanisierung der Landwirtschaft führt zu zwangsmässigen oder vertraglichen Enteignungen, die schon beim Eisenbahnbau begonnen hatten: Der eigentums- und kapitallose Bauer wird zum Objekt der Planung.

 

Neues ist nicht in Sicht

 

Mit den "Grenzen des technischen Fortschritts" beschäftigt sich Max Himmelheber und fragt: Weshalb stossen die technischen Phantasien, die science fictions auf so grosse Glaubensbereitschaft? Man möchte sich gerne überzeugt wissen, dass Hoffnungen und Träume erfüllt werden können und die faktische Entwicklung schien diesen Glauben zu bestätigen, den Wunderglauben an den Erlösungscharakter der Technik zu vertiefen. Obwohl dieser Glaube in neuester Zeit sosehr enttäuscht wurde, hegt man doch noch Hoffnung auf weitere "unbegrenzte, Möglichkeiten" der Technik.

 

Himmelheber meint aber, dass das Zeitalter des technischen Fortschritts sich seinem Ende nähere. Es seien ihm unausweichliche Grenzen gesetzt, die in einigen Teilgebieten so gut wie erreicht seien, denn: kein exponentieller Vorgang kann ins Unendliche wachsen, da die ihm zur Verfügung stehende Materie endlich ist. Schon die lebendige Natur ist an technische Formgesetze und der Optimierung des Funktionsgleichgewichts gebunden, z. B. des grösstmöglichen Wirkungsgrades.

 

Die Grenzen der Natur können für die menschliche oder mechanische Technik nicht gleichgültig sein. Für jede technische Entwicklung gibt es Grenzen:

1. physiologischer Art (z, B. die Beschleunigungsfähigkeit des Organismus)

2. psychologischer Art (z. B. die Reaktionsgeschwindigkeit beim Autofahren)

3. ökonomischer Art

4. ökologischer Art (z. B. die Belastbarkeit der Umwelt durch giftige Abfallstoffe) und

5. naturgesetzlicher Art (z, B. die Fortpflanzungsgeschwindigkeit elektrischer Signale im Computer).

Diese Grenzen gelten grundsätzlich und sind im Maschinenbau und in der Elektrotechnik, im Strassen-, Wasser- und Luftverkehr sowie in der Nachrichtentechnik fast erreicht, ebenso in der Verfahrenstechnologie.

 

Nur noch Effektivitätssteigerungen und Spezialisierungen, Variationen und Kombinationen sind möglich. Qualitativ bedeutsame Weiterentwicklungen dürften nur noch in der Atom- und Computertechnik zu erwarten sein, quantitative in der Raumfahrt und Beobachtungstechnik. Die Lücken der Forschung beginnen sich also zu schliessen. Noch sind sie nicht ins Allgemeinbewusstsein getreten, dass sie aber gespürt werden, zeigt sich im Ausbleiben neuer technischer Träume. Es gibt keine rational begründete technische Utopien mehr.

"Neues ist nicht in Sicht. Damit aber enthüllt sich der Fortschrittsglaube als ein Glaube ohne jegliche Kraft! Was das bedeutet, dass eine Zeit in Ihren wesentlichsten Impulsen richtungslos, in ihren Erwartungen ohne fassbare Hoffnungen ist, muss uns erst noch verständlich gemacht werden“ (51).

 

Die bewusste und auch moralische Auseinandersetzung mit der Technik steht noch aus. Die Kenntnis der Grenzen der Technik zwingt uns jedoch heute dazu.

"Das selbstverständliche und rechthaberische Vertrauen in den Fortgang der bisherigen technischen Entwicklung muss, wenn es nicht zeitig belehrt wird, zu furchtbaren Verwicklungen, Verirrungen, Zusammenbrüchen, Entgleisungen führen. Das Ende des technischen Fortschritts fordert ein völliges Umdenken auf allen Lebensgebieten insbesondere in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht" (55).

 

Der Dichter als Diagnostiker der Zeit

 

Dass Robert Musils Werk nicht der Dichtung, sondern der Welt und der Zeit galt, versucht Renate Loosen In einem Essay nachzuweisen, indem sie eindrücklich schildert, wie das Idealbild des Dichters überhaupt in den letzten Jahrzehnten grauslich zerstört wurde. Nichts mehr vom "Mythos der Musen, die dem Dichter das Wort in den Mund legen, die ihm die Weltwahrheit zusprechen" (58).

Doch schon mancher Dichter der Antike und des Mittelalters hat nicht nur betulich Verse geschmiedet, sondern auch Zeitdiagnose betrieben. Walther von der Vogelweide fragte sich schon verzweifelt, "wie man zer welte solte leben“ (60).

 

Musils "Mann ohne Eigenschaften"

"ist die grösste, eindringlichste und perspektivenreichste Diagnose unserer Zeit. Dieses Buch ist nicht um der Dichtung, sondern um der Erkenntnis willen geschrieben. Und schön ist es nur im höchsten und herbsten Sinne des Wortes: weil es reich an Wahrheiten ist" (61-62).

Es setzt die Tradition fort,

"dass das Schöne nicht Schönheit, sondern Wahrheit erstrebt und gerade in diesem, nur scheinbar sachfremden Streben seine Schönheit besitzt" (61).

 

"Musils Dichtung erwächst aus dem moralischen Willen, das Leben zu prüfen, und sie ist für ihn der gegebene Weg, das zu tun ... Musil sucht in Ulrich seinen Weg durch die Zeit - oder besser: er probt in ihm die Erkenntnis der Zeit und das richtige Leben in ihr" (62, 63), Walther von der Vogelweides „rehtes leben" (60).

Und heute wiederum heisst es in einer richtungslosen Zeit: "Urlaub vom Leben zu nehmen", sich von der Strömung der Zeit abzusetzen, sich zurückzuhalten (vergleichbar auch etwa des Philosophen Edmund Husserls "epoché").

"Nur wer ‚auf Probe’ lebt, wer sich 'fallweise' anstatt ständig mit der Welt einlässt, kann hoffen, sie zu verstehen und einen Standpunkt in ihr zu gewinnen, der ein wahrhaft verantwortliches Handeln erlaubt" (64).

 

Eine Gesamtdiagnose der Zeit ist nie zu erreichen. Möglich sind nur "Beiträge zur geistigen Bewältigung der Welt" (Musil), orientiert an einzelnen kleinen, alltäglichen Begebenheiten.

"Der Dichter kann die Zeit (auch) nicht erfassen, aber er fasst mehr von ihr auf als die andern; denn er versteht das Grosse im Kleinen zu spiegeln" (66).

 

Besonders eindrücklich geschieht dies im 16. Kapitel des "Mannes ohne Eigenschaften" unter dem Titel "Eine geheimnisvolle Zeitkrankheit". Das Krankwerden der Zeit beruht auf einem Verfall der Ordnung. Und wo die Ordnung fehlt, wird die Welt zu einem Haufen von Tatsachen, der den Geist langsam erstrickt - obwohl er selbst unablässig an dessen Vermehrung arbeitet.

 

Das Ende ist absehbar

 

Über den kaum hundert Jahre alten Begriff und Gedanken des "Naturschutzes" äussert sich der Plöner Limnologe Gerhard Helmut Schwabe.

 

Die meisten Zeitgenossen haben ihren Standort - wie ihn etwa die Pflanzen besitzen aufgegeben, die dauerhafte Bindung an einen Ort verloren und bewegen sich, im Wunsch, alles Greifbare zu verändern, ja wohin denn? Woraufhin strömen sie als "Treibgut der Zeit" (79)?

 

Naturschutz setzt diesem ziellosen Veränderungsstreben der Weit Grenzen. Er will es hindern, sich schrankenlos anzueignen, was sich seinem auf Nutzung und Machtgewinn bedachten Zugriff darbietet. Naturschutz ist jedoch

"keine Sparbüchse für die Technik der Zukunft. Wir treiben nicht Naturschutz, um auch den Nachkommen noch etwas zur Verwüstung übrigzulassen, Aber tatsächlich ist für die meisten Fortschrittsplaner die Natur nur ein Rohstoffvorrat für die Erfordernisse von Morgen" (80).

 

Heute meint auch die Industrie:

"Die Welt soll sauber werden. Aber sind die Mittel und Methoden, die bisher zu diesem Ziele aufgeboten werden, mehr als kosmetische Massnahmen?" (82-83).

 

Fortschritt ist ein lineares, zielloses Geschehen, das den Kreisläufen und Wechselbeziehungen des Lebendigen nicht gerecht werden kann. Er vermag auch nicht, Lebensbedingungen zu schaffen:

"Der Fortschritt macht unaufhörlich bankerott. Er gibt immer mehr aus, als er einnimmt. Dem entspricht es, dass die massgebenden ökonomischen Theorien über alle ideologischen Fronten hinweg in einem wichtigen Satz übereinstimmen: Eine Wirtschaft muss an Umfang wachsen, wenn sie gesund bleiben soll. Dieses Prinzip ist ein Vernichtungsurteil über die Ökosphäre, denn sie ist bei der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit, die sie umfasst, quantitativ begrenzt und deshalb der Wirtschaftstheorie nicht gewachsen, Das Ende ist absehbar“ (86).

 

"Voraussetzung für die Wendung zum Besseren ist jedoch eine Rückbesinnung auf die biotische Natur des Menschen ... Einsicht in die Grundgegebenheiten des Lebens" (87, 86).

 

Diese muss auf jeden Fall dazu führen, dass jegliche Produkte des linearen "Weiterwachens" wieder dem natürlichen Kreislauf zugeführt werden, dass sich also der Produzent auf nur die Probleme der Beseitigung seiner Produkte nach dem Gebrauch durch die Menschen zuwendet. Die skrupellose Verwirtschaftung unseres Lebensraumes muss einer "kreislaufgerechten Industrie" Platz machen, die um ihre Verantwortung und den Fortbestand der Ökosphäre wie auch des Kulturmenschen weiss.

 

Die Gotteslästerung durch Papst Paul VI. Montini

 

Die erste Nummer der "Scheidewege" wird von einer Betrachtung von Franz Vonessen über "Die Botschaft des Papstes zur Mondlandung am 21. Juli 1969“ beschlossen. Am Ende der Fernsehvorführung der Mondlandung, die wohl die bisher grösste Zuschauermenge in der Geschichte vor die Flimmerkiste bannte, sollen innerhalb von fünf Monaten 157 000 Hektoliter Spülwasser durch die Klosettkanäle des Planeten Erde geflossen sein, "Dabei konnten die Völker, die nur Fernsehen, aber keine Wasseruhren haben, nicht mitgezählt werden" (98).

 

Unsere Ahnen verschliefen die "kopernikanische Wendung" um etwa hundert Jahre. Wie lange werden wir die historische Bedeutung der Mondlandung verschlafen?

 

Auch die Botschaft Pauls VI. an die Astronauten ist unbeachtet geblieben und wurde von der katholischen Presse gar unterdrückt - "genauso verständlicher- wie unverständlicherweise ... Auf jeden Fall war der Kampf gegen die Wahrheit, die man nicht wahrhaben will, zu allen Zeiten gleich gross; er kannte selten Bedenken" (100).

 

Dabei erschien diese Botschaft im "Osservatore Romano" im Namen der ganzen katholischen Kirche".

 

Mit grosser Bitterkeit spürt Vonessen den Gründen nach, weshalb es am 21, Juli 1969 "zur Gotteslästerung durch Papst Paul VI. Montini" (107) kam. Der Papst hat es bequem gefunden, dem Geist der Zeit(ung) - wie Vonessen sagt - zu willfahren. Er hat die unvergänglichen wahren Werte aufgegeben im Zeichen grenzenlos guten Willens aber von sehr wenig Kraft. Er buhlte um die Gunst der Öffentlichkeit, und "Petri Schifflein treibt wahrhaftig mit gebrochenem Ruder umher" (107). Das "Fest der Menschheit am Bildschirm" (108) sollte nicht mit falschen Tönen, strengen Worten der Mahnung, ja dem Hinweis auf Busse gestört werden, Der Papst entzog sich seiner Aufgabe, an Gottes Wort zu erinnern, Gott zu verkünden.

 

"Das Schweigen war ein Verrat" (109), meint Vonessen. „Musste er der Hure von Babylon“ - dem "Fortschritt" - "so öffentlich Anträge machen? ... In jener Nacht war der Papst kein Stellvertreter, sondern ein Mitläufer, der sich vor den goldenen Wagen der Zeit spannte ... Die Botschaft des Papstes bietet das grausame Schauspiel der Selbstzerstörung der ‚Kirche’, jener göttlichen Gründung, die zugibt, in ihren Gliedern sündig und fehlbar zu sein, aber als Ganzes beansprucht, unter Gottes Brautschutz und. irrloser Führung zu stehen" (109, 110).

 

Ohne Vertrauen öffnet sich kein Weg

 

Fünf verschiedene Autoren kommen auf den 115 Seiten zu Wort. Und doch macht diese Nummer einen durchkomponierten und systematisch aufgebauten Eindruck. Sind die ersten Beiträge gewissermassen eine Fortsetzung des schlichten, gediegenen aber grau-blassen Umschlags; so gewinnt die zweite Hälfte zunehmend an Farbe und Feuer: Raketenfeuer, Höllenfeuer?

 

"Skeptisches Denken" ist tatsächlich am Werk, lässt allerdings wenig Hoffnung übrig. "Verlass ist nur auf den Furchtlosen" heisst es im Vorwort, "ohne Vertrauen öffnet sich kein Weg" im "Programm".

Noch ist der Himmel nicht. ganz verstellt: Kultur (A. J. Toynbee, deutsch 1949) wie Wissenschaft stehen noch am "Scheidewege von Leben und Geist" (Festschrift zum 60. Geburtstag von Ludwig Klages, 1932).

 

Vor bald 3000 Jahren stand Herakles schon am Scheideweg. Ob wir heute noch so stark sind wie er?

 

Erschienen in den Basler Nachrichten, 22. August 1971

 


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