HomeNeurotiker oder Gentleman?

 

Unternehmer und Manager unter der Lupe der Psychologen

 

Literatur siehe separate Liste

 

Führungsstile und Managerverhalten sind zwei Bereiche, die von der Psychologie seit langer Zeit untersucht werden. Der Blick hinter die Kulissen oder gar in die Abgründe der Seele zeigt allerdings wenig Erfreuliches.

Knappe Skizzen einiger bestürzender Ergebnisse dienen als Hintergrund für positive Vorschläge, die freilich oft unbequem sind. Es gilt, den Realitäten nüchtern und selbstkritisch ins Auge zu sehen.

Die Zukunft erfordert "ganzheitliche Persönlichkeiten", die ihre blinden Flecken klären, ihre Schwächen überwinden und in "Kompetenz" verwandeln.

 

 

Um 1900 fingen die Wissenschafter an, die Hintergründe des Unternehmerverhaltens auszuleuchten, zuerst die Soziologen und Psychologen.

Die Thesen des Soziologen Max Weber ("Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" 1905) gerieten sofort ins Kreuzfeuer der Gelehrten. Neben unzähligen andern konterte Werner Sombart mit seiner "Geistesgeschichte des modernen Wirtschaftsmenschen" unter dem Titel "Der Bourgeois" (1913).

 

Was macht den erfolgreichen Führer aus?

 

Von 1880 bis 1940 versuchte man vor allem die Frage zu klären, welche Eigenschaften (traits) einen erfolgreichen von einem erfolglosen Führer oder überhaupt einen "Great Man" von den Geführten unterscheiden. Zuerst meinten die Forscher, fündig geworden zu sein, doch bald verloren sie den Boden unter den Füssen.

Die Qualitäten des "geborenen Führers" erwiesen sich je nach Umwelt und Situation als wirkungslos. Also begann man "Kommunikation" und soziales Geschehen miteinzubeziehen. Man konnte dabei seit 1950 Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung unterscheiden (z. B. Rensis Likert 1961), was sich auf dem Papier sehr schön als "Managerial Grid" (Blake/ Mouton 1964) darstellen liess. Doch auch dies brachte nicht die erhoffte Effektivität, so dass man aus der Not eine Tugend machte und den "situativen" Führungsstil propagierte.

 

Situative Führung = Es kommt darauf an ...

 

Diese Situationsorientierung ist freilich Ergebnis eines logischen Rösselsprungs: Da es auf Aufgabe und Situation, Führung und Geführte ankommt ("it all depends" lautet sogar ein Buchtitel von H. Sherman 1966), kommt es auf die Gruppe der Mitarbeiter wie die Person des Führers an. Einfluss haben Ausbildung und "Reife", Erwartungen und Entscheidungsspielräume aller Beteiligten sowie Betriebsklima, Arbeitserfordernisse, äussere Bedingungen usw.

Damit ist freilich der Willkür Tür und Tor geöffnet, auch wenn die Psychologen Fragebogen und Interpretationsmatrizen zuhauf zur Verfügung stellen Einzig wenn der "Leader" sich mit Offenheit und Selbstkritik ständig und ernsthaft um sein Unternehmen und seine Mitarbeiter bemüht, kann aus dem situativen Ansatz die Polarität bewältigt werden, nämlich Flexibilität bei gleichzeitiger Kontinuität.

 

1977 konnte Bernhard Wilpert aufgrund der Auswertung von Daten über 301 Manager aus 17 grossen Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland die These von der Situationsabhängigkeit des Führungsverhaltens bestätigen. Nur 1 % der Manager gab an, dass sie situationsunabhängig immer nur eine bestimmte Entscheidungsmethode wählen würden (W. Staehle 1983, 62).

Eine Umfrage unter europäischen Managern (Klaus Macharzina 1974) ergab allerdings, dass sich die Führungskräfte ausserstande fühlen, ihre Situation zu durchschauen und keinen rechten Zugang zu neuen Führungsmodellen finden. "Diese Unsicherheit führt in vielen Fällen zu einem passiven Reagieren und einer Zunahme an psychischen und dadurch bedingten physischen Erkrankungen" (Peter Nieder, 1980, 195).

 

Vorwärtsstürmer und Schläfer

 

Die wohl umfangreichste Studie der Verhaltensweisen von Unternehmern in einem europäischen Land wurde 1962-64 von der Institution "Political and Economic Planning" bei 47 Industriefirmen in England durchgeführt. Persönliche Interviews mit leitenden Angestellten bildeten die Grundlage für die Einteilung des Managements in drei Gruppen:

·        Vorwärtsstürmende (thrusters): Sie orientieren sich an Wandel und Wachstum, verachten die traditionellen Spielregeln, sind grosszügig bei Anstellungen und Beförderungen und betonen die objektiven Leistungskriterien.

·        Schläfer (sleepers): Sie sind nicht wachstumsbewusst, gehen keine Risiken ein, benutzen nicht die modernen Methoden des betrieblichen Rechnungswesens, werben ihren Konkurrenten nicht gute Leute ab und verhalten sich gegenüber Forschung und Entwicklung gleichgültig.

·        Die Mitglieder der dritten Gruppe nehmen zwischen diesen beiden Idealtypen eine Mittelstellung ein.

Die Zusammenhänge mit den finanziellen Leistungen der untersuchten Firmen sind eindeutig: Die "initiativfreudigen" Unternehmen verzeichneten die höchsten Kapitalzunahmen und -gewinne. Allerdings ist die Richtung der Korrelation nicht bekannt. Es könnte durchaus sein, dass die gewinnträchtigen Wachstumsindustrien ein progressives Management erzeugen, und nicht umgekehrt.

 

Führungstypen und -stile

 

1962 hat Robert Presthus "Typologien der Anpassung" von Menschen an bürokratische Organisationen unterschieden. Henry L. Tosi und Stephen J. Carroll (1976) haben sie zu verallgemeinern versucht. Die drei Typen sind:

·        Der Aufsteiger (Organizationalist)

·        Der Indifferente (Exernally-oriented)

·        Der Ambivalente (Professional).

 

William J. Reddin (1967/70) unterschied vier Führungsstile, die entweder effektiv oder ineffektiv genutzt werden können. Dementsprechend kann man 8 Managertypen unterscheiden:

·        Bürokrat und Kneifer (Deserter)

·        Förderer (Developer) und Gefälligkeitsapostel (Missionary)

·        Macher (Benevolent Autocrat) und Autokrat

·        Integrierer (Executive) und Kompromissler.

 

Henry Mintzberg beobachtete 1973 insgesamt 10 Rollen, die der Manager spielen muss, nämlich:

·        Vorbild, Integrator und Führer

·        Sender und Empfänger; Verteiler; Sprecher und Repräsentant

·        Unternehmer, Problembewältiger, Ressourcenzuteiler und Verhandlungsführer.

 

Manager sind sprunghaft und hören auf Klatsch

 

Als Henry Mintzberg 1975 zusammenstellte, "was Manager wirklich tun", stiess er auf Erstaunliches:

·        Sie springen von Problem zu Problem und reagieren dabei ständig auf momentane Erfordernisse. Sie fällen viele Entscheidungen ad hoc.

·        Sie unterbrechen viele Aktivitäten vorzeitig.

·        Wenn eine gute Idee auftaucht, setzten sie ein Entwicklungsprojekt in Gang. Sie müssen es aber strecken, damit sie es Stück für Stück in ihren gedrängten und ungeordneten Terminplan einbauen und lernen können, das Problem allmählich zu verstehen. Spitzen-Manager überwachen bis zu 50 solcher Projekte gleichzeitig.

·        Sie haben eine Abneigung gegen reflektierende Tätigkeiten.

·        Sie müssen viele Routineaufgaben, besonders Verhandlungen und Repräsentationspflichten wahrnehmen.

·        Sie stellen vorab auf mündliche Informationen ab, insbesondere Klatsch, Gerede und Spekulationen.

 

Fazit: Mintzberg fiel auf, "dass sich die Top-Manager (alle sehr kompetent) grundsätzlich nicht von ihren Vorgängern vor hundert Jahren (oder gar vor tausend Jahren) unterschieden."

 

"Sklaven tief verborgener Seelenmächte"?

 

Die psychoanalytische Betrachtung des wirtschaftenden Menschen hat eine lange Tradition, seit Sigmund Freud 1908 den "analen" Charakter des Geldes beschrieben hat.

 

Sándor Ferenczi stellte 1914 den "nicht rein praktisch zweckmässigen, sondern libidinös-irrationellen Charakter des Kapitalismus" fest und meinte, der kapitalistische Trieb enthalte "eine egoistische und analerotische Komponente". Beobachtungen von Unternehmern bestätigten diesen Standpunkt.

1922 beschrieb Freud in "Massenpsychologie und Ich-Analyse" das Verhältnis von Führer und Geführten.

 

1923 verfolgte der Zürcher Pfarrer und Psychoanalytiker Oskar Pfister den "seelischen Aufbau des klassischen Kapitalismus und des Geldgeistes". Er führt ihn auf rigorose Moral und eine lieblose Jugend zurück. Daraus ergeben sich zwei Typen von Geldmenschen:

·        Bei den Zwangsneurotikern (siehe Abb. Zwangsneurotiker) vertreten Geld und Leistung die Liebe oder Sexualbetätigung.

·        Die sittlich minderwertigen Egoisten gehen auf die Steigerung ihres Genusses, ihres Ansehens und ihrer Machtsphäre aus.

 

Seither hat die Psychologie über den Unternehmer nicht mehr viel Erfreuliches zu Tage gefördert. Freilich wird dabei selten zwischen Kapitalist, Unternehmer und Manager unterschieden.

 

Wirtschaftsstudenten leugnen ihre Schwächen

 

In den Jahren 1979/80 rückte Kurt Hemmer mit tiefenpsychologischen Tests und Fragebogen 605 Studenten zu Leibe, die entweder Pädagogik (70 %) oder Wirtschaftswissenschaften (30 %) belegt hatten. Er vermutete, dass sich angehende Lehrer und angehende Ökonomen in Persönlichkeit, Kindheits- und Schulerinnerungen unterschieden.

Als Hauptergebnis ergab sich:

·        "Lehrerstudenten unterscheiden sich von den Studenten der Wirtschaftswissenschaften durch eine grössere Ängstlichkeit, durch das Bedürfnis nach Sicherheit, Harmonie und mitmenschlicher Nähe." (276)

·        "Während die angehenden Lehrer eher zögernd und vorsichtig einer oft bedrohlichen Welt gegenüberstehen, gehen die angehenden Wirtschaftswissenschaftler mit Durchsetzungskraft, Führungsanspruch, Konkurrenzdenken an die Probleme heran, wobei ... sie versuchen, ihre Gefühle allgemein und besonders die Gefühle der eigenen Schwäche zu leugnen und über Leistung zu kompensieren." (276)

 

Im einzelnen haben die Wirtschaftsstudenten:

·        eine "Tendenz zur phallisch-narzisstischen Selbstdarstellung (H. E. Richter) oder zum phallisch-exhibitionistischen Imponiergehabe (J. Willi 1975)". Sie beschrieben sich als "wertvoll, wenig ängstlich, sehr daran interessiert, andere zu übertreffen, machen sich über Probleme keine Gedanken; sie möchten führen und gehen auf Distanz. Zugleich gehen sie jedoch davon aus", dass man sie als schwach einschätzt." (103)

·        im Kontaktverhalten und -erleben einen "analen" Modus. "Sie sind zurückhaltend, verschlossen, ernst, ungesellig." Zugleich betonen sie ihr soziales Image. Sie erleben sich als "attraktiv, beliebt, wertvoll, durchsetzungsfähig".

·        eine ausgeprägt "hypomanische" Grundstimmung. "Die Lebenshaltung ist entsprechend optimistisch, wenig ängstlich, kaum selbstkritisch und selten bedrückt."

·        eine wenig ausgeprägte Liebes- und Bindungsfähigkeit und der damit einhergehenden Bedürfnisse nach Nähe und Anschluss.

·        eine sehr geringe Kooperationsbereitschaft. "Sie sind schwierig in enger Kooperation, machen sich wenig Sorgen um andere, konkurrieren, rivalisieren, dominieren und fühlen sich den anderen fern" (114).

 

Der phallische Typ wählt einen depressiven Partner

 

Die psychoanalytische Deutung lautet:

"Die Leistung, die Verantwortung, das soziale Image werden benötigt, um Ohnmachtsängste und Ängste vor passiver Hingabe abzuwehren. Der innere Konfliktdruck wird innerhalb der formulierten Abwehrlage durch Verschiebung des Selbstbildes nach dem Ich-Ideal hin zu lösen versucht.

Die intraindividuellen Abwehrvorgänge begünstigen die Bildung eines psychosozialen Arrangements, in dem der phallische Typ einen schwachen, depressiven Partner wählt, der ihn einerseits bewundert (narzisstisch gratifiziert), und an den er die abgewehrten Seiten seiner Persönlichkeit (Schwäche, Passivität, Depression) delegieren kann." (115, vgl. 121-123)

 

Potenz demonstrieren, den Mitmenschen gering schätzen

 

Die Kindheitserinnerungen enthüllen:

·        "Auf der Basis einer subjektiven Wahrnehmung, die Gefährdung und Verängstigung, d.h. Ausgeliefertsein und Ohnmacht, betont, hat sich kompensatorisch das Ziel, die Fiktion der Stärke und Überlegenheit, entwickelt." (176) Die "soziale Potenzlabilität" wird über rollenhafte Selbstsicherheits- und Potenzdemonstrationen überspielt. (199)

·        Die Mutter ist als eher gleichgültig, sich wenig um das Kind kümmernd erlebt worden. Dieses Bild haben die Wirtschaftsstudenten internalisiert und müssen nun verstärkt ihre eigene Leistungsfähigkeit mobilisieren, um in der Welt bestehen zu können. (238)

·        Die Väter werden als bestimmend und fordernd, aber auch feindselig und ablehnend beschrieben. (249) Die Mutter wird bewundert, der Vater nicht, jedoch zum Vorbild genommen. (271)

·        Aus alledem ergibt sich, dass die angehenden (männlichen) Wirtschaftswissenschafter "dem Mitmenschen eher geringschätzend als wertschätzend gegenübertreten und sowohl für sich als auch für den anderen die individuelle Freiheit fordern und betonen". (260)

 

Dem "Spielmacher" gehört die Zukunft

 

Michael Maccoby hat Mitte der siebziger Jahre nach tiefenpsychologischen Konzepten 250 höhere Führungskräfte verschiedener amerikanischer Unternehmen mit fortgeschrittener Technologie auf ihre Probleme und Schwierigkeiten hin untersucht. Er konnte vier Charaktertypen unterscheiden:

·        Der Fachmann hat den Drang, das Beste zu bauen; er steht im Wettbewerb gegen sich selbst und das Material.

·        Der Dschungelkämpfer hat Furcht vor der Vernichtung und Freude, andere zu vernichten; er arbeitet nach den Devisen: "Töte oder werde getötet", "Herrsche oder werde beherrscht."

·        Der Firmenmensch hat Furcht vor dem Versagen und möchte von der Autorität anerkannt werden; seine Devise lautet. "Steige auf oder falle."

·        Der Spielmacher hat Freude an der Kontrolle des Spiels; nach der Devise "Gewinne oder verliere" erlebt er Triumph und Demütigung.

 

Diese vier Charaktertypen sind in den modernen, auf Wettbewerb aufbauenden Unternehmen unterschiedlich erfolgreich. Die Zukunft gehört dem "gamesman".

 

Geringe Förderung von Leistungsstolz, Aufgeschlossenheit und Ehrlichkeit

 

Die Schwierigkeiten, welche Konzernmanager in ihren Unternehmen erleben, sind erheblich:

·        Rund die Hälfte klagt über Ruhelosigkeit und Besorgnis.

·        60 % behalten ihre Gefühle für sich, und es fällt ihnen schwer zu sagen, was sie meinen.

·        Ebenfalls rund die Hälfte geben anderen zu leicht nach und wissen nicht, was sie wollen.

·        30-50 % schlafen schlecht und essen zuviel, haben nicht genug Energie zu tun, was sie möchten, haben Depressionen und neigen dazu, sich zu oft selbst die Schuld zu geben.

 

Bedenklich ist, dass Eigenschaften, die für die Arbeit als wichtig angesehen werden, in den Unternehmen nicht gefördert werden. Enorm wichtig halten die Manager Stolz auf die Leistung, Aufgeschlossenheit und Anpassungsfähigkeit, Sinn für Zusammenarbeit und Spass, etwas Neues zu lernen. Doch nur rund ein Drittel meint, solches werde durch die Arbeit stimuliert. 72 % halten Ehrlichkeit ("honesty") für wichtig, aber nur 12 % sind der Ansicht, dass Ehrlichkeit im Unternehmen gefördert werde.

 

Maccoby kommt zum Schluss, dass in den meisten Unternehmen, aber auch in Universitäten und Bürokratien, die erfolgreichen Manager als Sklaven ihrer Karrieren und als sich und andern Entfremdete leben. Sie zahlen einen hohen Preis für eine Illusion.

 

Der Narziss steigt auf

 

Die Heraufkunft des narzisstischen Spielmachers hat Christopher Lasch 1978 beschrieben. Er meint, dass der Narziss "nicht nur in kultischen Bewegungen, sondern auch in Wirtschaftsunternehmen und öffentlichen Bürokratien in bedeutende Positionen aufsteigt". Diese verhindern ja gerade die Bildung tiefer persönlicher Beziehungen, liefern aber dem Narziss die Erfahrungen, die er zur Bestätigung seiner Selbsteinschätzung benötigt. Es kommt weniger auf Leistung als auf äussere Erscheinung, Elan und gewinnendes Auftreten an.

Da nun, nach Lasch, das "Loyalitätszeitalter" in der amerikanischen Wirtschaft dem "Gewinnen um jeden Preis" weiche, müsse der Firmenmensch dem Spielmacher Platz machen, und dadurch komme der Narziss zu seiner Geltung.

 

Der Manager muss vertrauensvolle Beziehungen aufbauen

 

Manfred Kets de Vries hat das narzisstische Verhalten in Organisationen genau beschrieben, aber auch die Chancen hervorgehoben. Sie liegen im "richtigen Mass". Er sieht das als Herausforderung für Führer und Geführte.

"Die Aufgabe besteht darin, die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse anderer ohne Angst vor Abweisung und Erniedrigung einzugehen, zu verbessern. Dies erfordert die Herstellung eines sicheren Selbstwertgefühls, um das Bedürfnis nach Grösse und Idealisierung zu modifizieren.

Die Stützung eines zerbrechlichen Selbst wird schliesslich zu einer grösseren Kohäsion der inneren Vorstellungswelt führen. Daher wird diese dann ihren archaischen Inhalt verlieren und mehr mit der äusseren Realität übereinstimmen. Ein gefestigtes Selbstwertgefühl wird auch Gefühle der inneren Wut und des Neides im Zaume halten und zu Selbstsicherheit, Entschlossenheit und Schaffenskraft führen.

Die Herstellung vertrauensvoller Beziehungen wird zum Baustein für die Entwicklung von Empathie, Kreativität, Humor und Weisheit - Faktoren, die eine effektive Führung ausmachen. Wenn man in der Lage ist, das narzisstische Verhalten in diese Richtung zu lenken so wird der Narzissmus zum Motor, der jede Organisation antreibt."

 

Statussymbole dienen dem Aufbau der Identität

 

1982 haben Robert A. Wicklund und Peter M. Gollwitzer an der Universität von Texas in Austin Studien zur "symbolischen Selbstergänzung" vorgelegt. Nach der Theorie, die dahintersteht, benützen Personen besonders Statussymbole, wenn sie mit dem Aufbau oder dem Schutz einer "Selbstdefinition" oder Identität beschäftigt sind.

 

Gerade in der Aufbauphase einer Identität entspricht die objektive Leistung der Person noch nicht dem, was die Gesellschaft von ihr erwartet. Obendrein stellt, wer sich als Könner profilieren möchte, eine gewisse Arroganz, Verteidigungshaltung oder Voreingenommenheit zur Schau. Die "Perspektiven anderer", also deren Bedürfnisse, werden ignoriert. Diese defensive Haltung wirkt sich auf bestimmte Leistungen, welche die Gesellschaft erwartet, negativ aus. Daher ist eine Ergänzung der noch unsicheren Haltung durch Symbole notwendig. Werden diese von der Umwelt akzeptiert, so gewinnt der Identitätssucher zunehmend an Sicherheit.

Wicklund untersuchte ebenfalls Studenten der Wirtschaftswissenschaften in höheren Semestern, welche sich um die Selbstdefinition "Geschäftsmann" bemühten. Dabei zeigte sich tatsächlich, dass unsichere Studenten - etwa mit schlechten Prüfungsnoten - "verstärkt dazu tendierten, dinghafte Symbole der Geschäftswelt zur Schau zu stellen".

Sogar ganz allgemein kann man sagen: Die nach aussen gerichtete Darstellung einer spezifischen Selbstdefinition steht in negativer Beziehung zur tatsächlich relevanten Kompetenz.

 

Chefs betrügen die Mitarbeiter um ihre Erfolge

 

Unter dem Titel "Macht und Kommunikation" sind in den 70er Jahren einige Untersuchungen durchgeführt worden. So fand David Kipnis (1972) heraus, dass Vorgesetzte, die über viel Machtmittel verfügen und sie auch einsetzen, die Leistung ihrer Arbeitsgruppe nicht den verschiedenen Mitgliedern, sondern hauptsächlich sich selbst zuschreiben. Dazu tritt eine Tendenz, die Mitarbeiter abzuwerten, sich selbst positiver zu sehen und den Kontakt zur Basis zu reduzieren. Dadurch verschlechtert sich das Arbeitsklima und die Motivation.

Dahinter steckt ein allgemeiner Mechanismus: Erfolg wird eher den eigenen Fähigkeiten und Anstrengungen (sog. internale Faktoren) zugeschrieben, Misserfolg eher auf äussere Umstände zurückgeführt (z. B. Bernard Weiner 1970). G. W. Bradley (1968) sprach diesbezüglich von "selbstschützenden Attributionen".

 

Es gibt freilich auch das Gegenteil: Wer Misserfolg auf die eigene Unfähigkeit zurückführt, gelangt zu einer negativen Selbsteinschätzung. Geschieht dies häufig, spricht man von "gelernter Hilflosigkeit" (Martin E. P. Seligman 1967/75), die Depressionen auslösen kann.

 

Vorgesetzte kommunizieren lieber nach oben

 

Mauk Mulder (1977) beobachtete, dass Inhaber von Machtpositionen dazu tendieren, mit machthöheren Personen zu kommunizieren, und zwar umso mehr, je näher diese der eigenen Position stehen. Umgekehrt werden zu Personen unterhalb des eigenen Machtniveaus weniger Kontakte unterhalten, und zwar umso weniger, je weiter diese Partner entfernt sind.

Freilich verspüren Personen am unteren Ende der Machtpyramide ihrerseits wenig Interesse, mit der Spitze zu kommunizieren. Einzig wer Aufstiegshoffnungen hegt, spricht gerne mit höher gestellten Partnern. Die andern intensivieren vor allem die Kontakte zu Partnern auf dem gleichen Niveau (A. R. Cohen 1958).

 

Dass die Vorgesetzten autoritärer eingeschätzt werden, als sie sind (A. G. Jago, V. H. Vroom 1975) kommt hinzu. Die Untergebenen halten sich für partizipativer - die Vorgesetzten sich selber allerdings auch.

 

Meinungen und Einschätzungen prägen also nicht unwesentlich das Verhalten sämtlicher Mitglieder eines Unternehmens oder einer Organisation.

 

Angst treibt in die Höhe

 

Nach dem bekannten deutschen Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter zeigt das Studium von Karrieristen, dass sie ursprünglich meist eine besondere Angst haben, sich in eine Gruppe von Gleichgestellten zu integrieren und sich dort zu behaupten. Ihre Angst, gedemütigt und kleingemacht zu werden, ist masslos übersteigert. Nur wenn sie andere Menschen von oben kontrollieren können, fühlen sie sich einigermassen sicher.

 

Daher gilt:

"Überdurchschnittliche Aussichten zum Erklimmen von Führungspositionen haben diejenigen, die im Grunde mehr Ängste als andere Menschen haben, sich unbefangen in Gruppen zu integrieren, in denen sie nicht eine besonders verwöhnende Beschützung geniessen. Ihre angstbedingte Unfähigkeit zu einem solidarischen Verhalten lässt sie den Weg nach oben suchen und finden, wo es ihnen letztlich nur um die Machtmittel geht, sich die Mitmenschen vom Leibe zu halten, von denen sie sich auf gleicher Ebene zu sehr bedroht fühlen."

 

Warum leiden die Leitenden?

 

In einer umfangreichen Studie hat Helmut Hofstetter 1980 nach allen möglichen Gründen für "die Leiden der Leitenden" gesucht. Die "Helden" von Wirtschaft und Verwaltung leiden nämlich "unter Arbeitsunzufriedenheit, Angst- und Spannungsgefühlen, Mangel an Selbstachtung, Kontaktschwierigkeiten und psychosomatischen Störungen der verschiedensten Art oder gar darunter, nicht einmal (öffentlich) leiden zu 'dürfen'" (245).

 

Die Gründe dafür findet man auf vier Ebenen:

·        Jedes Individuum hat eine etwas andere Toleranz und Reaktion gegenüber Stress.

·        Erwerb und Halten von Positionen sind mit psychischen und physischen Kosten verbunden.

·        Unterschiedliche Ziele und Wertsysteme führen zu heftigen Interessenkonflikten.

·        An das Verhalten werden so viele widersprüchliche Erwartungen gestellt, dass nur noch Flucht oder Abwehr möglich ist.

Hofstetter hat sehr systematisch eine erdrückende Fülle von Anforderungen zusammengetragen, denen sich der "leitende Angestellte" gegenübersieht. Es ist ein Handbuch der Führung daraus geworden - mit umgekehrten Vorzeichen.

 

Führung in 14 Spannungsfeldern

 

Dasselbe gilt für die Schrift des Augsburger Psychologieprofessors Oswald Neuberger "Führung - Ideologie, Struktur, Verhalten" (1984). Er führt darin einen Rundumschlag sowohl gegen die Führungsideologien wie gegen die Erforscher und Theoretiker der Führung. Auch er fasst Führung als "widersprüchliches Handeln" auf und sieht den Vorgesetzten in nicht weniger als 14 Spannungsfeldern, z. B.

 

1.      Objekt und Subjekt
Betrachtet er den Unterstellten als Mittel oder Zweck, Kostenfaktor oder Mitmenschen und Partner?
In seiner Enzyklika "Laborem exercens" betonte Papst Johannes Paul II (1981), dass der Mensch "Subjekt der Arbeit" zu sein habe.

2.      Bewahrung und Veränderung
Konstanz schafft Verhaltenssicherheit, verhindert jedoch Anpassung.

3.      Zurückhaltung und Offenheit
Wer allzu offen ist, wird erpressbar.

4.      Sachlichkeit und Emotionalität
Der Vorgesetzte möchte nicht nur als tüchtig gelten, sondern auch beliebt sein.

5.      Einzelverantwortung und Gesamtverantwortung
Oft wird der Vorgesetzte für ein Versagen seiner Unterstellten - trotz Delegation - zur Verantwortung gezogen.

6.      Kontrolle und Vertrauen
Der Vorgesetzte sollte alles sehen und darf doch vieles nicht gesehen haben.

7.      Konkurrenz und Kooperation
Vance Packard (1962) sah, dass der Manager ein "kooperativer Tiger" sein müsste.

 

Widersprüchliche Anforderungen erzeugen Stress

 

Den Grund für diese Dilemmata sieht Neuberger in folgenden Widersprüchen:

·        Die Leistung wird meist kollektiv erstellt, aber individuell zugerechnet.

·        Mitarbeiter, die eine Vielzahl individueller Ziele verfolgen, müssen auf ein abstraktes Unternehmensziel festgelegt werden.

·        Es werden allgemeingültige Regelungen angestrebt, aber die Leistungsvorteile einzelner sollen durch Spezialisierung genutzt werden.

·        Positionen fixieren Machtvorsprünge, aber die Entscheidungen fordern sachbezogenes Fachwissen.

 

Weil die Führer-Rolle die Verantwortung für die Bewältigung solcher ungeklärter und gegensätzlicher Situationen personalisiert, ist es nicht verwunderlich, meint Neuberger, "wenn sich die Träger dieser Rolle unter einem besonderen psychischen Stress erleben". (59)

 

Erleichterung schafft zweierlei: Ab und zu darüber nachdenken und im übrigen versuchen, Handlungs- und Gestaltungs-Spielräume zu nutzen. Oder anders: Zumutungen oder Bedrohungen aufnehmen und mit sinnvollen Entwürfen kontern. (63-64)

 

Partizipative Führung erfordert "Kompetenz"

 

Früher sprach man von "partizipativer Führung" (z. B. Douglas McGregor 1960). James MacGregor Burns (1978) hat solche Bemühungen als "transformierende Führung" bezeichnet.

 

Was es dazu braucht, wird seit 1959 mit dem Schlüsselwort "Kompetenz" bezeichnet. Damit ist nicht die vom Chef dem Mitarbeiter zugeteilte Entscheidungsbefugnis gemeint - die zusammen mit der Übernahme von Verantwortung für die richtige Aufgabenerfüllung erforderlich ist -, sondern das Gegenstück dazu, über welches jeder Stelleninhaber, im weiteren Sinn jeder Mensch, verfügen muss, z. B.:

·        soziale Kompetenz (Chris Argyris 1962, Michael Argyle 1969)

·        Sprachkompetenz (Noam Chomsky 1965)

·        Kognitive Kompetenz (Jerry Alan Fodor 1966, Jürgen Habermas 1976)

·        Kommunikative Kompetenz (Jürgen Habermas 1968/71)

·        Handlungskompetenz (Werner Volpert 1973/74)

·        Interaktionskompetenz (Manfred Sader 1976)

·        Problemlösungs-"Kompetenz" (Dietrich Dörner 1976)

·        Kontrollkompetenz (Rainer Österreich 1981)

·        Begriffskompetenz (Kurt Fuerst 1982), d. h. die Kenntnis von Denkmethoden und Denkmodellen.

 

Diese "Kompetenz" hat vor allem in der arbeitswissenschaftlichen Forschung und Theorie zunehmend Bedeutung erlangt, allerdings eher als Ideal denn als Untersuchungsgegenstand.

 

Neurotische Organisationen und ihre Therapie

 

Manfred Kets de Vries blieb bei seinen Empfehlungen nicht stehen. 1984 schockte er - zumindest die Amerikaner - mit zwei psychoanalytischen Kahlschlägen: "The Irrational Executive" und "The Neurotic Organization".

 

Vorerst bietet er wenig Trost, wenn er - wie schon Karen Horney 50 Jahre zuvor - davon ausgeht, dass wir alle neurotisch sind: "Menschliches Verhalten ist ganz allgemein charakterisiert durch eine Mischung von neurotischen Stilen." Die individuelle Pathologie spiegelt sich in der "organizational pathology". Je nach Management lassen sich daher fünf kranke Organisationstypen unterscheiden:

·        paranoische mit Informations- und Kontrollwahn

·        zwangshafte mit rigorosen Vorschriften und Plänen

·        dramatische mit hyperaktivem, impulsivem und abenteuerlichem Verhalten

·        depressive, die mutlos und konservativ sind

·        schizoide, welche ihren Frust durch Tagträume kompensieren.

 

Gegen die selbstkritische Erkenntnis solch blamabler Verhältnisse praktiziert der Mensch effiziente "Abwehrmechanismen", die schon Anna Freud, ebenfalls 50 Jahre zuvor, zusammengestellt hat.

 

Also braucht es psychoanalytische Berater, welche dem Manager auf die Sprünge helfen. Sie führen ihn in drei Stufen zur Einsicht und Besserung, nämlich durch

·        Konfrontation und Klärung

·        Interpretation und schliesslich

·        Durcharbeiten.

Die letzte Stufe ist der "Trauerarbeit" zu vergleichen: Die Schlüsselpersonen des Unternehmens müssen nämlich lang gehegte und lieb gewordene Vorstellungen über Bord werfen und zu einem realistischeren Verhältnis zu ihren Mitarbeitern und zur Umwelt finden. Daraus kann man Kraft schöpfen. Patentrezepte allerdings  gibt es nicht. Doch Besinnung ist manchmal das Ergebnis wert.

 

Was braucht es für das kommende "unternehmerische Zeitalter"?

 

Gefragt ist Optimismus. Den bieten vor allem die Amerikaner. Voran gingen 1982 John Naisbitt mit "Megatrends" und Thomas J. Peters und Robert H. Waterman mit "In Search of Excellence".

Als ihre Nachfolger betrachten sich Fritz R. Dressler und John W. Seybold. Sie verkündeten 1985 nichts Geringeres als den Anbruch des "Entrepreneurial Age". Worauf beruht ihr Glaube? Auf "MKO convergence", das ist:

·        Motivation (global competition)

·        Knowledge (people productivity) und

·        Opportunity (silicon-based technology).

 

Dem kann man mit Klaus Schwab die FITness zur Seite stellen:

·        Flexibility (des Unternehmens und jedes Mitarbeiters)

·        Initiative (Investition in die Zukunft)

·        Toughness (Härte als Voraussetzung zur Selbstdisziplin).

 

Was lässt sich aus dem Berg der Kritiken und Utopien, der Studien und Empfehlungen für die Praxis herauslesen? Das ist die einfache Faustregel, welche dem einen banal erscheint, andere empört: Erfolgreiches Management erfordert drei Doppelfunktionen, nämlich:

·        partizipative und situative Menschenführung

·        markt- und technologieorientierte Geschäftsführung sowie

·        ehrenhafte und bescheidene Lebensführung.

 

Grundbedingung ist die Kontinuität sämtlicher positiven Bemühungen und eine Offenheit gegenüber anderen Möglichkeiten.

 

Wie sah denn der gewiefte Praktiker Heinz Wuffli in seinem gediegenen Werk "Herbst des Unternehmertums" (1982) den Unternehmer? Er ist "im Idealfall die ganzheitliche Persönlichkeit, die mit dem Wissen eine Generalisten, den Erfahrungen eines Menschenführers und den charakterlichen Eigenschaften eines Gentleman imstande ist, als Unternehmer zu überzeugen".

 

 

Literatur

siehe separate Liste

 

Zitate

 

Nur professionelle Verteidiger des Systems des freien Unternehmertums, Angehörige einer dürftigen, brotlosen Kunst, fordern noch den uneingeschränkten freien Wettbewerb."

John Kenneth Galbraith: Die moderne Industriegesellschaft; engl. 1967, dt. 1968.

 

 

"Nicht die Manager treffen die Entscheidung. Die wirkliche Entscheidung liegt viel weiter unten bei Planern, Technikern und anderen Spezialisten."

John Kenneth Galbraith: Die moderne Industriegesellschaft; engl. 1967, dt. 1968.

 

 

"Injelititis: Überall trifft man auf diesen besonderen Typ Organisation, im Staatsdienst, im Handel und in der akademischen Welt: Die höchsten Vorgesetzten sind muffige, schwerfällige Gesellen, ihre Untergebenen werden nur munter, wenn sie gegeneinander intrigieren und die Stuhlbeine des Nachbars ansägen, und die jüngsten Mitarbeiter wirken entweder zynisch oder enttäuscht."

C. Northcote Parkinson: Parkinsons Gesetz; engl. 1957, dt. 1958.

 

 

(Artikel, gekürzt erschienen

unter dem Titel: „Führungserfolge – der ‚Spielmacher’-Typ ist im Vormarsch“

in io Management Zeitschrift 57 (1988), Nr. 1, S. 36-40)

 




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