Home Wo steht der Film heute?

 

Eine kurze Standortbestimmung vom 17. April 1961

 

Siehe auch:               Die neuen Wellen (1963)

Komödie und Satire im polnischen Film (1963)

                                   Das amerikanische „Cinéma Vérité“ (1964)

                                   Gibt es einen neuen Schweizer Film? (1964)

 

 

Zur Illustration:

Elmer Gantry, DVD 2001

The Apartment, DVD 2001

 

 

 

Von einigen wenigen bedeutenden Ausnahmen abgesehen scheint es, als ob der Film in diesen Jahren seinen Tiefpunkt an künstlerischem Gehalt, an Inhalt und Gestaltung erreicht hätte. Obwohl im allgemeinen nur die Laien, das Publikum, diese Tatsache feststellen, müssen auch die Leute vom Fach zugeben, dass es gerade in der jetzigen Zeit im Vergleich zu früher schlecht aussieht.

 

Woher rührt denn dieses Malaise?

 

Rückblick auf die Frühzeit des Films

 

Betrachten wir schnell rückblendend die Anfänge der Filmkunst um die Jahrhundertwende. Die Franzosen setzten schon bald nach der Erfindung von Lumière mit Massenproduktion von Filmen ein. In einem halben Tag wurde ein ganzer Streifen fertiggestellt. Aber wer möchte ihnen dies verargen? Der Film war damals etwas ganz Neues, Unentdecktes, eine Art eines Spielzeuges, mit dem die Produzenten ihre Talente, ihre Fantasie und ihr Können einmal ausprobieren mussten, wenn sie dabei auch in der ersten Begeisterung vielfach aufs falsche Geleise gerieten.

 

Filmklassik: Expressionismus und Avantgarde, Verismus und Neoverismo

 

Nachdem aber die Werke des Expressionismus und der Avantgarde, die miteinander die Zeit der Filmklassik darstellen, gezeigt haben, was die Sendung des Films ist, was die eigentliche Kunst ausmacht, dürfen die Produzenten und Regisseure heute nicht wieder in den alten Fehler der sinnlosen Filmherstellung zurückfallen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg breitete sich von Italien her der "Neoverismo", der Neorealismus, aus und konnte etwa zehn Jahre das Feld beherrschen. Die Filme dieser Epoche zeichneten in offener, realistischer Schwarzweissmanier den Menschen ohne Schminke und störende Beigaben in seiner alltäglichen Umwelt.

 

„Nouvelle Vague“

 

Aus dieser Schule und vom früheren französischen Verismus her entwickelte sich dann folgerichtig, wenn auch mit verschiedenen Brüchen und Veränderungen gegenüber dem Vorherigen, die "Nouvelle Vague“ in Frankreich, eine Darstellungsform, die die Werte verachtet, deren geistiges Weltbild in die Ungewissheit einmündet, die den Menschen nur noch vereinzelt in seiner Gebundenheit in den Alltag zu zeichnen wagt, die eine erzwungene Anarchie in der Gesellschaft vorstellt.

 

Dies ist die Entwicklung des künstlerischen Films bis heute. Wir meinen natürlich nicht, dass bis jetzt nach der Klassik ausschliesslich gute und wertvolle Filme gedreht worden seien. Nein, neben diesen wegweisenden Werken des Realismus, Neorealismus und der "Nouvelle Vague“ (die wir als Antirealismus bezeichnen können), wurden auch schlechte Streifen geschaffen. Aber die guten Stücke überwiegten und liessen das Gefühl von einer allgemeinen Standardisierung nicht in so starkem Masse auftreten, wie das heute der Fall ist, wo die Filme von seichtem Durchschnitt einfach die Oberhand behalten.

 

USA: „Gähnende Langeweile“

 

Ein Filmkorrespondent aus Hollywood schreibt: "Burt Lancasters 'Elmer Gantry', Wilders 'Apartment' und ein paar andere Grossfilme füllen die wenigen überalterten Kinopaläste, die aus der Glanzzeit des Filmes übriggeblieben sind. Die zahllosen kleinen Vorortstheater und Autokinos zeigen meist schnell zusammengehauenen Schund, der skrupellos an die Sensationslust der Halbwüchsigen appelliert. Wenn ein Theaterbesitzer diese Art von Filmen ablehnt, so muss er alte Schlager zeigen, die man meist kennt. Von der Atlantischen Küste bis zum Stillen Ozean gähnt die Langeweile …"

 

So steht es in den USA. Ein Kommentar ist überflüssig, und die Wahrheit beweist der Korrespondent u. a. mit der Tatsache, dass letztes Jahr dort etwa 100 Filme produziert wurden, gegenüber 500 pro Jahr in der Glanzzeit des Films vor 25 Jahren. Man kann sich also sehr leicht vorstellen, dass heute der asiatische Kontinent (Japan, Indien, Rotchina) weit mehr als die Hälfte aller Spielfilme der Weltproduktion herstellt.

 

Neue Ideen und Strömungen in Europa

 

Im Gegensatz zu Nordamerika, wo der Film als Kunst wie als Unterhaltungsmittel stagniert, ist es in Europa nicht ganz so schlimm bestellt. Das Malaise macht sich nur deshalb so stark bemerkbar, weil immer noch mehr als die Hälfte aller Spielfilme, die hier gezeigt werden, aus Amerika stammt und damit die unbefriedigende Situation der dortigen Produktion darlegt.

 

In den Filmländern Italien, Frankreich, England und Deutschland zeigen neue Strömungen, junge Kräfte und revolutionäre Ideen, dass es - neben der Durchschnittsproduktion - möglich ist, den Film zu retten, ihn mit einiger Anstrengung und tatkräftiger Verwirklichung dem guten Publikum wieder zugänglich zu machen.

 

Gerade weil der heutige Film nichts Neues mehr zu bieten hat, wandern viele Zuschauer zum Fernsehen ab. Dem möchten nun die Filmschaffenden in Europa entgegensteuern, indem sie sich bemühen, neue Aspekte, neue Ideen auf vorher noch nicht begangenen Wegen zu verwirklichen und dem Filmpublikum vorzulegen.

 

(erschienen in einer hektographierten Zürcher Kulturzeitschrift, 17.4.1961;

kursive Zwischentitel neu eingesetzt)

 



Return to Top

Home

E-Mail



Logo Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2016 / All rights reserved

Webmaster by best4web.ch

>