HomeVariationen über Umweltschutz

 

Artikel, erschienen auf einer Doppelseite

"Wissenschaft" der "Basler Nachrichten" am 25./26. September 1971

(leicht ergänzt anhand eines Durchschlags des Manuskripts)

 

siehe auch:                Chronologie Naturschutz und Naturbewegung

                                    Sensibilisierung auf Umweltschutz (1948-1973)

Die 7 "goldenen Jahre" der Visionen und Initiativen (1972-1978) - Wirkungslos verpufft?

                                    Umweltschutzreminiszenzen I, II, III

 

 

Inhalt

Wie alt ist der Naturschutz?

Heute nur hohles Gewäsch?

Gedanken und Rezepte aus der ersten Schweizer Umweltschutz-Bibel

Vom 10. bis 12. November 1970 fand das ETH-Symposium "Schutz unseres Lebensraumes" in Zürich statt

Zusammenfassung der Ansprachen und Vorträge der 55 namhaften Referenten:

Kritik der Wachstumsideologie

Generelle Abhilfemöglichkeiten

Autoschlacht - Autos schlachten

Abfälle

Nasse oder trocken Kühltürme?

Erhaltung von Pflanzen- und Tierwelt

"Luft! Luft! Clavigo!"

"Wasser ist zum Waschen da"

Zusammenfassung der Seminar-Ergebnisse

Und die Rechtsordnung?

Keine raschen Erfolge

Revolutionierung der Ethik

Wer soll das bezahlen?

Was soll man lesen?

 

 

 

Abgesehen von der Gesamtsituation der Menschheit heute, die wohl keine Präzedenzfälle in der Weltgeschichte hat, gilt die Weisheit: So neu ist denn manches auch wieder nicht. Das ist ja das Betrübliche an der gesamten Umwelthysterie: die fehlende historische Dimension in bezug auf Naturzerstörung, kulturgeschichtliche Hintergründe und den Kampf gegen Auswüchse.

 

Das der Ruf nach Masshalten etwa zweieinhalb Jahrtausende alt ist und bei den alten Ägyptern nochmals zwei Jahrtausende früher Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit, Bescheidenheit und Selbstbeherrschung gefordert wurden, verwundert uns heute vielleicht. Ebenso, dass sich Platon über die Abholzung der Mittelmeerwälder aufregte und Franz von Assisi über den Überfluss, den sein Vater ihm zukommen liess. In Merry Old England untersagte einst ein Gesetz das Verbrennen minderwertiger Kohle. Missachtung konnte mit Todesstrafe geahndet werden, und man weiss [?] von König Edward I. (1272-1307), dass er die Strafe auch vollziehen liess.

 

 

Wie alt ist der Naturschutz?

 

Dem Lexikon können wir aber immerhin entnehmen, dass der Naturschutzgedanke auch schon seine hundert Jahre auf dem Buckel hat. Das erste Schutzgebiet wurde 1864 im Tal des Yosemite River errichtet; 1872/89 folgte der Yellowstone-National-Park.

 

In Deutschland, England und Massachusetts begann man sich über Hygiene und Wasserversorgung in der Stadt (Pettenkofer) Gedanken zu machen; Pasteur und Koch trugen das ihre dazu bei.

In Köln wurde 1877 ein 'Verein, zur Reinhaltung der Flüsse, den Bodens und der Luft" gegründet.

 

Über Strassenlärm hatten schon der römische Satiriker Juvenal (60-130 n. Chr.) und der Philosoph Schopenhauer geklagt, über die verschmutzte Themse 1855 Michael Faraday (21 Jahre später trat das erste britische Gewässerschutzgesetz in Kraft.)

 

Bereits kurz nach 1900 entstanden die ersten Antilärmvereine in den USA und in Deutschland. Theodor Lessing verfasste 1908 eine fast hundertseitige "Kampfschrift gegen die Geräusche unseres Lebens" und 1914 Herrmann Hasse "Die internationale Lärmschutzbewegung".

 

Die Lüneburger Heide wurde 1910/21 zum ersten deutschen Natur(schutz)park erklärt.

 

Bemühungen in der Schweiz

 

Die Burgunderblutalge trat erstmals 1825 Im Murtensee auf. 1864 wurde in Basel ein Sodbrunnen vergiftet, 1910 der gesamte Fischbestand in der Birs.

 

Schon in den 1870er und 1880er Jahren wurden in der Schweiz ein Jagd-, Forst- und Fischereigesetz aufgestellt, erste kantonale Pflanzenschutzgesetze erlassen und der Verband für Vogelschutz gegründet.

 

1902/5 wurde die Schweizerische Vereinigung für Heimatschutz, 1909 der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) gegründet, wobei zahlreiche Basler Persönlichkeiten massgeblich beteiligt waren. 1909 war ein internationaler Kongress für Landschaftsschutz, und 1913 fand in Bern die erste internationale Naturschutzkonferenz mit staatlichen Delegierten aus 18 Ländern statt, wie der SBN vom Basler Paul Sarasin initiiert, dessen etwas früheres Pendant in Deutschland Ernst Rudorff, der Begründer des Natur- und Heimatschutzes, war.

 

Mit Bundesbeschluss vom 3. April 1914 wurde dann im Bündnerland der Schweizerische Nationalpark geschaffen. (Seit 1870 bestand übrigens schon ein kleines Reservat im Creux du Van.).

Erstaunlich ist, dass bereits im Zivilgesetzbuch von 1907 der Artikel 702 darauf hinweist, dass es dem Bunde, den Kantonen und den Gemeinden vorbehalten bleibt, Beschränkungen des Grundeigentums zum allgemeinen Wohl aufzustellen, wozu ausdrücklich auch die Sicherung der Landschaften und Aussichtspunkte vor Verunstaltung genannt wird.

 

Schon 1919 erschien ein Projekt des Ingenieure Salis für Engadiner Kraftwerke an Inn und Spöl. Ab 1962, nach den langwierigen Streitereien in den 50er Jahren - genau wie um das Gebiet Rheinfall/ Rheinau - tönte Baulärm durch die stillen Täler.

 

Seit 1912 zunehmende Besorgnis

 

im Ersten Weltkrieg schliefen die Naturschutzbemühungen verständlicherweise wieder etwas ein; Menschenschutz war vordringlicher.

 

Nach der Besorgnis über den "Niedergang unserer Tier- und Pflanzenwelt" (F. Knauer, 1912), "Our Vanishing Wild Life" (W. T. Hornaday, 1913), das Verhältnis von "Mensch und Erde" (L. Klages, 1913), den "Konflikt der modernen Kultur" (G. Simmel, 1918) und den 'Untergang des Abendlandes" (O. Spengler, 1918/22) sowie über "Weltpolitik und Weltgewissen" (F. W. Foerster, 1919), "Kultur und Tierwelt - Eine Tragödie unserer Zeit" (K .Guenther, 1914/17/20) und "die verfluchte Kultur" (Th. Lessing, 1921) begann das "Unbehagen in der Kultur" (S. Freud, 1930) nach der Weltwirtschaftskrise manifest zu werden; eine Analyse der "Geistigen Situation der Zeit" (K. Jaspers, 1931) drängte sich auf.

 

Sogleich nach dem Zweiten Weltkrieg flossen dann die weit verstreuten ,Rinnsale der Kulturkritik und skeptischen Betrachtung von Fortschritt und Technik reichlicher und erlaubten es Interessierten sich daran zu laben.

 

Heute nur hohles Gewäsch?

 

Vertieft man sich ein bisschen in die Geschichte der Umweltschutzbewegungen (z. B. Wilhelm Vischer, 1946 - eine erschütternde Fundgrube - und K. Buchwald et al.., 1968), so mutet einen das, was heute geschrieben wird, oft wie hohles Gewäsch an, obwohl wir heute Atombomben und -Reaktoren, Kunststoffe, DDT, Detergentien und andere Chemikalien, Öl und Jets, Skilifte und Bevölkerungsexplosion, Transistoren, Computer und Fernsehen haben.

 

Macht es nicht nachdenklich, wenn man in vergilbten Heftchen oder Büchern liest, dass bereits 1886 in Canada Gesetze zum Schutze der Robben erlassen wurden und bald danach das afrikanische Grosswild offiziell von den Kolonialmächten unter Schutz gestellt wurde. Oder dass schon vor 73 Jahren das Projekt einer Ostalpenbahn (Paris-Bombay) bestand. Oder dann der erste Schoggitalerverkauf in der Schweiz vor 25 Jahren dem Schutz des Silsersees galt, der schon 1905 und 1918 durch Kraftwerkpläne bedroht wurde.

 

Bezeichnend ist auch, dass im bekannten Buch von H. Kahn und A. J. Wiener "Ihr werdet es erleben" (1967) von 135 uns bevorstehenden (allerdings "nur" technischen) Möglichkeiten - abgesehen von der "Modifizierung des Sonnensystems" - ein einziger Punkt sich mit der Umwelt-"veränderung" (Radioaktivität und CO2 in der Atmosphäre) befasst und die "Beschmutzung des eigenen Nestes" auf einer von 400 Seiten erledigt wird.

 

Nun gut, 1968 fand eine Unesco-Konferenz zur Rettung. der Biosphäre statt; und hatte Europa 1970 sein Naturschutzjahr so Amerika seinen "Earth Day".

 

Vor mehr als einem. Dutzend Jahren wurde "Gesamtplanung" als ein Gebot der Stunde (Alpenclub) und die Lage im Gewässerschutz als "zu ernst" betrachtet, "als dass wir uns wegen der Zuständigkeitsfrage ein langes Zuwarten noch gestatten könnten" (Wasserwirtschaftsverband).

 

Gedanken und Rezepte aus der ersten Schweizer Umweltschutz-Bibel

 

Vom 10. bis 12. November 1970 fand das ETH-Symposium "Schutz unseres Lebensraumes" in Zürich statt. Die Ansprachen und Vorträge der 55 namhaften Referenten (wo keine Angabe, sind es Dozenten an der ETH) - darunter eine einzige Frau und ein einziger Welschschweizer - sind nun in einem vom Prof. Dr. Hans Leibundgut herausgegebenen über 520seitigen Band im Verlag Huber Frauenfeld, erschienen.

 

Über 3000 Besucher, vor allem viele Studierende beider Zürcher Hochschulen, haben an der Veranstaltung teilgenommen.

 

Verantwortung kraft Berufskompetenz

 

Prof. H. Mislin (Mainz) leitete mit der Forderung ein, die zerstreuten Wissenschaften an unseren Hochschulen und Forschungszentren seien zu einer Überlebenswissenschaft zusammenzuführen.

Wie alt ist jedoch dieser Ruf nach interdisziplinärer Kooperation und Koordination, Grundlagenforschung sowie Information, Aufklärung der Bevölkerung und Erziehung? Mindestens so alt wie der genau so formulierte Aufruf des "Office international de documentation et de corrélation pour la protection de la Nature" (1928 in Brüssel gegründet seit 1940 in Amsterdam). Auch damals schon sah man die Notwendigkeit gesetzlicher Bestimmungen und die Kontrolle ihrer Einhaltung durch die Exekutive.

 

Mislin meint, "nicht zwar unbedingt aus böswilliger Aggressivität und blinder Zerstörungswut, wohl aber aus lamentabler Unkenntnis, Sorglosigkeit ökologischer Zusammenhänge haben die Menschen in die zahlreichen natürlichen Gleichgewichte ihres Lebensraumes eingegriffen und diese Gleichgewichte empfindlich gestört und zerstört...

Unsere Vitalsituation wird … durch eine geradezu hemmungslose Verschwendung und Abnahme aller unserer Vorräte an Kulturland, Trinkwasser, Luft und anderer, natürlicher Hilfsquellen im Lebensraum überhaupt weiter gekennzeichnet" (22-23).

 

Gesinnungswandel heisst also die heilbringende Maxime: "Eine neue Umweltmoral und Umweltverantwortung wäre zu fordern!" (23). Es gibt aber keine kollektive Verantwortung, sondern nur je solche kraft besonderer Berufung und Qualifikation, kraft besonderer Berufspositionen in der Gesellschaft. Dabei sind präzisierte ökologische Kenntnisse mit solidestem ökonomischem Können zu verbinden, und dies bei entschlossenster biopolitischer und technischer Tatkraft.

 

Gesinnungswandel muss Gemeinschaft überzeugen

 

Prof. Gerhard Huber stösst als Philosoph in die gleiche Richtung vor. Technik gehört wesentlich zum Menschen. Er muss, um überhaupt Mensch, sein zu können, die vorgefundene Natur bearbeiten, verändern: Kultur schaffen.

Dass das aber auch einen Abbau, eine Zerstörung zur Folge hat, sehen wir heute. Dafür waren einerseits die Entscheidung des Abendlandes zur Rationalität wissenschaftlicher Naturerkenntnis (seit Galilei und Newton) beteiligt, anderseits die Ausrichtung auf grösstmöglichen Nutzen, Steigerung und Maximierung den Produktions- und Konsumptions-Potentials sowie drittens die Entscheidung nicht nur zur Eroberung, sondern auch zur Herrschaft über die Natur, zu ihrer beliebigen Verfügbarkeit.

 

Heute nun wird die Rationalität des Mess- und Zählbaren und der mechanischen Abläufe durch einen Hang zur Irrationalität, zu Ausbrüchen von Aggression und Sexualität auspolarisiert. Die wirtschaftliche Ausrichtung der Technik führt zu immer grösserem Tempo (Leistungsprinzip), und sogar die Freizeit gerät in den Sog der Betriebsamkeit, wird ins Ökonomisch-technische verstrickt. Die in der Technik wirksame Bemächtigungstendenz schliesslich wird zerstörerisch, wenn sie sich nicht in Schranken hält.

Ein Gesinnungswandel drängt sich also auf: Die weltweite Verantwortung für das Ganze muss die partikulären Egoismen überwinden. Das Wohl der Gemeinschaft muss über allem stehen - es wird gerne auch im Unterschied zum quantifizierbaren Wohlstand "allgemeine Wohlfahrt" genannt.

Was aber, wenn die Meinung von Streikenden weiter verbreitet wäre: "We want our jobs, not welfare!"?

 

Es geht um die kritische Überprüfung der oben genannten drei abendländischen Entscheidungen, um die im Handeln dann auch zu verwirklichende Einsicht, "dass nur das Zugleich der tätigen Sinnesänderung der einzelnen und der organisatorisch wirksamen [rechtlichen und politischen] Massnahmen der Gemeinschaft die Rettung der Menschheit vom schmählich selbst gewirkten Untergang bringen kann" (123).

 

Gerade hier hakt Prof. Hans Würgler ein und stellt fest: "Auf der politischen Ebene sind besondere Anstrengungen vonnöten, die Prozesse kollektiver Entscheidungen in Richtung einer frühzeitigen Erfassung längerfristiger Zusammenhänge effizienter zu gestalten. Es müssen spezielle demokratische Institutionen entwickelt werden, um die Individuen zur Klarlegung ihrer Präferenzen zu befähigen" (100).

Dann wird es möglich seine meint Prof. G. Huber, dass die Gemeinschaft allen - den Unternehmer wie den Verbrauchern - wirksam verbietet, was von der Mehrheit als Umweltschädigung - Schädigung von Natur, Leben und Gesellschaft - erkannt wird.

 

Wenn die ganze vielzerredete Bewusstwerdung allerdings dabei stecken bleibt, dass man den schwarzen Peter neuerdings den Hausfrauen, Töfflifahrern und Sonntagsausflüglern zuschiebt, kann es nicht soweit her sein damit.

 

Kritik der Wachstumsideologie

 

Prof. F. Korte (Bonn) meint: "Die Faktoren, die das Leben auf der Erde beeinflussen, sind hauptsächlich die explosive Zunahme der Weltbevölkerung, die steigende Urbanisierung sowie die billiger werdende Energie zusammen mit technologischem Fortschritt und Steigerung der Güterproduktion.

Gegenwärtig beträgt die Weltbevölkerung bereits mehr als 3,5 Milliarden, pro Sekunde kommen 2 bis 3 Menschen hinzu…

Gegenwart und Zukunft werden - ob wir es wollen oder nicht, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht - wesentlich von dem kalkulierten Risiko beeinflusst, das unsere technologische Aktivität immer mehr beherrscht" (240-241).

 

 

Zahlen über die Schweiz

 

· Vom Gesamtareal der Schweiz ist ein Viertel unproduktiv, ein Viertel Weideland und ein Viertel Wald.

· Das letzte Viertel von 12/11 000 km2 produktivem "Kulturland" - vorwiegend im Mittelland (wo über 62 % der Bevölkerung leben) - wird jährlich um etwa 10 bis 12 km2 durch Bauten, Verkehrs- und Deponieflächen vermindert.

· Die Hälfte der Landesbevölkerung lebt heute schon im städtischen Ballungen.

· Der Wasserbedarf pro Person beträgt 500 bis 200 Liter (samt Industrie), gegenüber 50 Liter zu Beginn des 20. Jahrhunderts und 2 Liter physiologisch benötigten.

· Der Sauerstoffbedarf bemisst sich auf 330 kg jährlich. Technische Verbrennungsvorgänge (Autos, Heizung, Hochöfen, Flugzeuge) benötigen in der Schweiz soviel Sauerstoff wie 81 Mio. Einwohner. Umgekehrt könnte sich der CO2-Gehalt der Luft bis im Jahr 2000 um 25% erhöht haben. Fördert dies das Pflanzenwachstum und erwärmt es die Erdatmosphäre?

 

· In den letzten hundert Jahren ging der Anteil der bäuerlichen an der erwerbstätigen Gesamtbevölkerung in der Schweiz von 60% auf etwa 10 (oder 7) % zurück, umgekehrt nahm der sekundäre Sektor von 30 auf 50 %, der tertiäre (Dienstleistungen) von 10 auf 40 % zu; der Prozentsatz der Selbständigerwerbenden sank von 30% auf 14%.

 

· Der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung sank von 39 auf 31 %, die Altersstufe über 50 Jahre stieg von 18 auf 28 %.

· Der Anteil der Bürger der Wohngemeinden schliesslich sank von 59 % auf unter 25 %.

 

 

Prof. Pierre Tschumi (Bern) geht ebenfalls auf die mannigfaltigen Ursachen und Motive der naturgefährdenden Entwicklungstendenzen der heutigen Menschheit ein:

 

"Eine fragwürdig gewordene Individualethik, die ohne Rücksicht auf die Belange der Gesamtpopulation und ihrer Umwelt in erster Linie Wohl, Würde und Überleben einzelner Individuen anvisiert, sowie althergebrachte Tabus, die noch heute einer weltweiten Geburtenregelung im Wege stehen, tragen zunächst die Hauptschuld am Zustandekommen der Bevölkerungsexplosion sowie an unserem Unvermögen, sie unter Kontrolle zu bringen. Rücksichtslose Macht- und Gewinnsucht sowie das Dogma, Wirtschaft müsse wachsen, ansonst sie unter Stagnation leide, sind die unmittelbaren Motive des heutigen wirtschaftlichen Booms" (363).

Mangelnde Um- und Einsicht ist die tiefere Wurzel dieser Übel, was vielleicht Resultat einer überholten Bildungskonzeption ist, welche überhaupt nicht auf die Lösung der grossen Gegenwartsprobleme vorbereitet. Prof. Tschumi nennt diese Konzeption "hoffnungslos veraltet und gegenwartsfremd" (364).

 

In der Maturitätsanerkennungsverordnung von 1968 gibt es noch kein Fach Biologie, sondern nur eine Naturgeschichte, die sich jahrhundertelang auf die Vermittlung von Systematik und Anatomie beschränkt hat.

Solange eine auf die Realitäten ausgerichtete Bildungskonzeption "unsere Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Bildungspolitik nicht durchdringt und solange im besonderen die demographische und wirtschaftliche Expansion als unabwendbar, ja sogar als notwendig hingenommen werden, ohne Rücksicht auf ihre Wirkungen auf Mensch und Natur, wird das Ringen um die Rettung oder die Erhaltung unserer Gewässer trotz unseren besten Kläranlagen lediglich Symptome eines unbehandelten Übels mildern und daher nur temporäre Erfolge zeitigen" (364).

 

Prof. Herbert Grubinger sieht als Gründe für die Störung des Gütehaushaltes der Gewässer: "Ignoranz, Sorglosigkeit und wohl auch Rücksichtslosigkeit der Menschen" (159).

 

Prof. Karl Wuhrmann sieht deshalb etwa für das Jahr 1980 schwarz, Der Zwang zu laufender Fortentwicklung der Gewässer-Schutzmassnahmen ist gross. Man wird zu der biologischen Reinigung chemische und physikalische Adsorptionsprozesse ein- oder nachschalten müssen. Vor allem das Problem der zunehmenden Restverunreinigungen erlaubt keine Halbheiten mehr. "Man wird sich zum Beispiel auch ernsthaft überlegen müssen, ob man dem Wasser unverändert die komfortable Transportfunktion für alles 'Abgehende' übertragen will oder ob es, technisch und volkswirtschaftlich gesehen, günstigere Lösungen gäbe" (374).

 

Was hat zur enormen Zunahme von Wegwerfpackungen, Kunststoffen und Altautos geführt? Prof. Rolf Meyer-von Gonzenbach sieht die Ursache in der enormen Bevölkerungszunahme sowie in der Steigerung des Lebensstandards, die wir uns durch Technisierung und Wirtschaftswachstum erkämpfen. Es ginge nun darum, dieser Wachstumsmentalität, den kurzfristigen und kurzsichtigen Gewinnstreben und der dem quantitativen und materiellen verhafteten Denkweise den Kampf anzusagen (75-76).

 

Über Naturverschandelungen, Raubbau, Siedelungszerstörungen und Umweltvergiftungen sind wir in letzter Zeit durch Artikel und Bücher wohl bis zum Überdruss aufgeklärt worden. Befassen wir uns nun mit mit konkreten Abhilfemöglichkeiten.

 

Generelle Abhilfemöglichkeiten

 

Dr. Ernst Basler gelangt nach historischen Wachstumsbetrachtungen von Wissenschaft, Technik und Bevölkerung zu den Forderungen:

 

"1. die weitere weltweite Bevölkerungsvermehrung zum Stillstand zu bringen;

 

2. den Güterkonsum zu drosseln, also weniger materielle Güter verbrauchen, dafür mehr Gewicht auf Kunstgenuss, Bildung, Sport, Freizeitgestaltung (allerdings ohne Motoren) und andere umweltsunbelastende Tätigkeit legen;

 

3. den Wirkungsgrad unserer zivilisatorischen Tätigkeit in bezug auf die Umweltbeanspruchung verbessern: beispielsweise durch Abbau und Neutralisation unserer Abfallprodukte, haushälterischen Umgang mit Boden, Luft und Wasser, sparsamen und vorsichtigen Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln, Entwicklung und Zwang zu wirksameren Verbrennungsmotoren, sinnvollere Nutzung des verfügbaren Lebensraumes mittels planerischer Massnahmen in Bereichen der weiteren Besiedlung, Industrialisierung, Verkehrserschliessung und Energieerzeugung, aktivere Landschaftspflege und anderes mehr" (86-87).

 

Prof. Gian Töndury (Universität Zürich) empfiehlt als Prophylaxe zum Herzinfarkt eine "gesunde und. ausgeglichene Lebensführung", einen "geordneten Wechsel zwischen körperlicher Leistung und Entspannung" (104). Ferner müssen "Ärzte und Patienten viel grössere Zurückhaltung bei Verschreibung und Verwendung von Medikamenten" (107) üben; das ist vor allem bei schwangeren Frauen zu beachten.

 

 

Autoschlacht - Autos schlachten

 

Prof. Martin Rotach kommt aufgrund der Betrachtung des künftigen Verkehrs, das heisst der Transportbedürfnisse dazu, die zahlreichen vorgeschlagenen Massnahmen zur Beeinflussung der Gefahren und Bedürfnisse kritisch zu betrachten: Die gezielten Einzelmassnahmen wie Reduktion des Bleigehaltes im Benzin, der schädlichen Auspuffbestandteile und des Lärms wie auch Entwicklung neuer Autos mit Dampf-, Elektro- oder Hybridantrieb oder Konstruktion aus Materialien, die sich nach definierter Zeit selbst auflösen, sind kein Mittel weder gegen Verkehrsunfälle noch gegen das Verkehrschaos.

Spezifische Fahrverbote und Beschränkung der Autozahl oder "indirekte" Massnahmen wie Besteuerung der Fahrzeuge nicht mehr nach Hubraum, sondern nach Abgas- und Lärmproduktion (wie zu kontrollieren?), Erhöhung der Benzinpreise sowie prohibitive Tarife für Parkplatzbenützung und attraktive Tarife für Benützer des Park-and-Ride-Systems und der Massenverkehrsmittel lösen weder das Transportproblem, noch sind sie gerecht für alle Betroffenen und Begünstigten zu fassen, noch sind die Nebenwirkungen (z. B. Abwälzung der Kosten) abzuschätzen.

 

Auch der Einsatz von neuen Transportsystemen (Kabinen, Luftkissenzüge, Hoch-, Tief- und Schnellbahnen) kann nur Teilbedürfnisse befriedigen, stellt das Problem des technischen, wirtschaftlichen, städtebaulichen und psychologischen Überganges und beeinträchtigt vielleicht unser Leben, unsere Sicherheit, unsere Umwelt auf neue Art.

 

"Diese Schwierigkeiten führen wieder zum Grundsätzlichen zurück, nämlich zur Frage: Sollen wir nicht besser die Transportbedürfnisse der Zukunft ändern, statt uns mit Einzelmassnahmen abzuplagen?

Transportbedürfnisse ändern heisst einerseits durch Planung unnötige Bedürfnisse vermeiden und anderseits die Wünsche des einzelnen am Interesse der Allgemeinheit messen. Vielleicht müssen wir lernen, als Individuen anders zu denken und zu handeln. Die verkehrsbezogene Wertskala mit Prestige, Geschwindigkeitsrausch, Individualismus könnte von innen heraus einer vernünftigeren Skala Platz machen, ohne dass man den Wandel mit Verboten und Sachzwängen ertrotzen müsste.

In Indien verehrt man weisse Kühe, bei uns das neue Auto" (48).

 

Nach Prof. Rotach besteht die einzige Lösung auf dieser Voraussetzung in einem differenzierten Einsatz voneinander verschiedener Verkehrsmittel, z. B.:

  • "Förderung des Massenverkehrs in Agglomerationen;
  • Förderung des Individualverkehrs in Entleerungsgebieten;
  • Förderung der Fussgänger und Radfahrer im. Nahbereich und Erholungsgebiet;
  • Förderung rascher, leistungsfähiger (eventuell neuer) Verkehrsmittel zur weiträumigen Verbindung von Gebieten dichter Nutzung" (49).

 

 

Abfälle

 

Prof. Rudolf Braun erwähnt, dass die Kosten für Einsammlung und Verarbeitung der schweizerischen Haushaltabfälle jährlich über 100 Mio. Franken betragen; ebensoviel diejenigen für Gewerbe- und Industrieabfälle sowie Klärschlamm; dazu kommen noch die Kosten der Abwasserreinigung.

Grundlagenforschung muss "neben Toleranzgrenzen für die einzelnen Schadstoffe … auch die summierenden bzw. potenzierenden Wirkungen dieser Stoffe auf Lebewesen und Bauwerke" abklären (178).

Ein grösserer Anfall von PVC soll nicht verbrannt, sondern geordnet deponiert werden. Überdies sollte die Industrie Kunststoffe mit möglichst geringen Halogen-Gehalt produzieren und die Möglichkeit der Wieder- und Weiterverwendung prüfen, im Hinblick auch auf die Ökonomie der Rohstoffe.

 

 

Nasse oder trocken Kühltürme?

 

Die vielfältigen Gefahren den Erdöls für Grundwasser und Luft (durch Schwefeldioxyd und Russ) können durch grossen finanziellen Aufwand, strenge Vorschriften und ständige Überwachung gebannt werden.

Dr. Hans Rudolf Siegrist, Direktor des Eidgenössischen Amtes für Energiewirtschaft, schlägt deshalb einerseits Fernheizungen, anderseits die Umstellung auf Erdgas vor; Errichtung weiterer oberirdischer Übertragungsleitungen für Elektrizität wird sich aber nicht vermeiden lassen.

 

Atomkraftwerke bezeichnet er als ''Paradepferde der Energiewirtschaft" (62), bei denen die Sicherheits- und Strahlenschutzmassnahmen extrem weit getrieben worden sind. Die unschädliche Lagerung der Rückstände stehe vor der Lösung. Immerhin kann die Kühlung der Restwärme durch Nasskühltürme Nebelschwaden erzeugen und im Winter möglicherweise zur Bildung von Glatteis führen.

 

Punkto Grösse dieser Gebilde: Erinnern Sie sich an Photos der Montagehalle für Mondraketen in Kap Kennedy (im Bildband "Alle Wunder dieser Welt", 1968, sinnigerweise gerade hinter dem Yellowstone-Nationalpark)? Laut Zeitungsberichten nehmen übrigens Zahl, Höhe und Durchmesser der erforderlichen Kühltürme z. B. für das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst laufend ab (von 5 Stück zu 140 m Höhe und 120 m Durchmesser auf 2 zu 115 und 92 m). Wenn das - mit der Information oder den Kühltürmen - so weitergeht …

 

Stromerzeugung durch Wärmekraftanlagen stellt des Problem der Vermeidung unzulässiger Temperaturerhöhungen des Kühlwassers. Den Wärmeanfall zur Beheizung einer Stadt zu verwenden, scheitert erstens an der geringen Temperatur von etwa 25 Grad sowie an der Verwendungsfrage in der warmen Jahreszeit.

Die Lösung mit feuchten Kühltürmen stellt aber das Problem des Ersatzes von verdunstendem Wasser, für Beznau immerhin ein Bedarf von über 2000 m3 pro Stunde.

 

Prof. Walter Traupel setzt sich deshalb für den trockenen Kühlturm ein. Die Höhe solcher Türme liegt zwischen 100 bis 160 Meter, reduziert sich aber bei Verwendung von Ventilatoren, die aber wiederum einen grossen Leistungsverbrauch aufweisen und Lärm erzeugen.

Leichtwasserreaktoren sind in bezug auf Abwärme überhaupt das Ungünstigste, was man sich vorstellen kann. Gasgekühlte Hochtemperaturreaktoren wären hier die Lösung, eventuell auch Gasturbinen. Die Stromverteuerung betrüge für diesen Fall etwa 10%, bei den trockenen Kühltürmen 30%. "Dies ist also der Preis, den wir zu bezahlen haben" (421).

 

 

Erhaltung von Pflanzen- und Tierwelt

 

Erhaltung der Vielfalt

 

Prof. Jean-Georges Baer (Neuenburg) betont, dass schon lange vor dem Auftreten des ersten Menschen zahlreiche Wirbeltierarten infolge zu schneller Umweltveränderungen ausgestorben waren.

Seit dem Sesshaftwerden des Menschen geriet sein eigenes Gleichgewicht mit der Umwelt ins Wanken. Tiere rottete er einerseits in der Jagd aus, anderseits durch Zerstörung der labilen ökologischen Gleichgewichte, was auch zu Erosion, Verkarstung, Versteppung und Verödung führte und des Menschen eigene Ernährung gefährdete. In Naturschutzreservaten können wir heute Ökosysteme erforschen und Konsequenzen daraus ziehen.

 

Prof. Konrad Buchwald (Hannover) schliesst an mit der Feststellung, dass seit der industriellen Revolution vor 200 bis 100 Jahren die naturnahen Kulturlandschaften in naturferne umgewandelt wurden. Unsere natürliche wie bebaute Umwelt werde zunehmend lebensgefährdender und -feindlicher, uniformer und monotoner, meint er. Sie müsse aber so vielfältig und abwechslungsreich wie nur möglich erhalten und gestaltet werden. "Schutz und Entwicklung unserer Umwelt für die Ansprüche einer sich schnell wandelnden Gesellschaft" (138) ist also vonnöten; das ist Landespflege. Sie gliedert sich in Landschaftspflege, erhaltenden Naturschutz und Grünordnung in Verdichtungsräumen sowie pflegliche und sparsame Bewirtschaftung (Betreuung und Nutzung) natürlicher Hilfsquellen.

 

Zielvorstellung und Massstab dieser Arbeit wäre das seelisch-geistige, körperliche und soziale Wohlbefinden des Menschen und seine Möglichkeiten zur genetischen, phänotypischen und kulturellen Weiterentwicklung. Ein dynamisches oder fliessendes, harmonisches ökologisches Gleichgewicht zwischen der Menschheit und den einzelnen Komponenten der Biosphäre wäre herzustellen, wobei also der Veränderung beider Seiten - infolge wechselseitiger Beeinflussung - Rechnung zu tragen ist.

 

Angesichts dieser Forderung mutet wohl auch den Automobilsportfreund die Fällung von über 10 000 Bäumen am Nürburgring etwas makaber an.

 

 

 

Vorschläge für ein Umweltschutzprogramm

(nach Prof. Konrad Buchwald, Institut für Landschaftspflege und Naturschutz, Technische Universität Hannover, 141-148), der sich wiederum auf die Vorschläge des hannoverschen Stadtdirektors Martin Neuffer ("Städte für alle", 1970) stützt)

 

Ein grosses, zeitlich gestaffeltes Programm wird da umrissen; erwähnen wir die konkretesten Vorschläge:

· Lärmschutzgesetz (1972)

· Verabschiedung eines Städtebauförderungsgesetzes (1971/72)

· Enteignungsgesetz (1972/73)

· Gesetz zur Neuordnung des Eigentums (1980-82)

· Verbot von Kohle- und Ölfeuerung (1982)

· Verbot des Verbrennungsmotors (1985)

· Verbot des kontinentalen Flugverkehrs (1992)

· Sanierung von Stadtteilen, historisch wertvoller Viertel

 

· Planung, planmässige Sicherstellung durch Pacht, Entschädigung und Kauf sowie Einrichtung von ausreichenden Naherholungsgebieten in und um die Städte (Grünflächen- und Erholungsprogramm)

· Grossforschungsprogramm Stadtentwicklung bis zum Jahr 2000

· Experimenteller Städtebau in den 80er und 90er Jahren, technischer (besser: humaner!) Städtebau darauf aufbauend, etwa um die Jahrtausendwende einsetzend

· Dorfneugestaltung in den agrarischen Vorranggebieten, mit Grossflächenlandwirtschaft und Kooperation

· Flurbereinigung, Umlegungen, Enteignungen, Nutzungsbeschränkungen, einschliesslich der Gewährung von Entschädigungen

· Entwicklung und Verwendung umweltfreundlicher Pflanzenschutzmittel

· Forschung in Richtung "Entwicklungsmodelle agrarischer Problemgebiete"

· Pflanzungen zur Gestaltung und Gliederung von Grünfläche als Lärm- und Staubschutz, als Sichtkulissen, als Wind- und Kaltluftschutz

· Lebendbau zur Ufer- und Hangsicherung, Rekultivierung von Halden

· Erhaltung oder Neuschaffung von Regenerationszonen für die freilebende Tierwelt

· Ausweisung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten, Sicherung von Naturdenkmälern

· Objekt-, Struktur- und Prozessplanung, Detail-, Rahmen- und Gesamtplanung

 

 

 

Druck auf die Industrie

 

Dr. Theodor Keller von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für das forstliche Versuchswesen packt die Industrie recht unsanft am Schopf: Ohne Schwung habe sie am Problem der Emissionen gearbeitet und nur ungenügende Massnahmen getroffen. "Es bedarf daher eines international koordinierten Druckes auf die Industrie, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden" (160).

Gegenmassnahmen der Urproduktion, Immissionsschäden zu vermeiden, liegen im Pflanzen von Laubbäumen (die aber keinen Reinertrag abwerfen und daher nicht gepflegt werden), in Auslese und Züchtung widerstandsfähiger Pflanzensorten (zeitraubend) und drittens in Düngung (wobei aber die Pflanze mehr Schadstoffe aufnimmt und die Gewässer leiden).

 

Hat der Biologe Stoffwechselstörungen, tolerierbare Grenzkonzentrationen und Ursachen pflanzlicher Resistenz zu erforschen, so müssten Chemiker und Ingenieure Abgasreinigungsanlagen und fluorlose Schmelzmittel für metallurgische Prozesse entwickeln und fossile Brennstoffe entschwefeln. Architekten und Landesplaner hätten sich mit Grün- und Trenngürteln zwischen Industrie und Siedlungen, zentralen Heizanlagen und richtiger Dimensionierung der Kamine zu befassen und Juristen mit der Frage der solidarischen Haftung. Die Politiker sollten sich um internationale Einigungen auf einheitliche Normen bemühen.

 

Kleingehölze und Biotope

 

Ein fast unbeachtetes Dasein fristen heute die Kleingehölze (Waldanhängsel, Lebhäge, Gebüsche), deren totale Randlänge in der Schweiz auf immerhin 40 000 km zu schätzen ist. Sind 60 % der Wälder reine Nadelbaumwälder, so bestehen die Kleingehölze zu 66 % nur aus Laubbäumen.

 

Kleingehölze sind äusserst "wichtige biologische Puffer …, Stützpunkte und Horte von Flora und Fauna, die befähigt sind, wichtige Ausgleichsfunktionen biologischer [und mikroklimatischer] Art in ihrer weiteren Umgebung zu übernehmen" (185). Prof. Fritz Fischer schlägt zur Erforschung die Einrichtung von "Versuchslandschaften" vor, die stichprobenweise und periodisch untersucht werden.

 

Dasselbe fordert Prof. Elias Landolt: Biotope sollten als Schul- und Forschungsobjekte erhalten werden. Planer und Kulturingenieure sind gebeten, in der Melioration und bei Baulandausscheidungen nicht allzu perfektionistisch vorzugehen. Gerade an Verkehrsbauten könnten neue Biotope geschaffen werden, z. B. Trockenwiesen und Wechseltrockenwiesen; Orchideen, Nelken, Küchenschellen, die sonst vom Aussterben bedroht sind, könnten sich da wieder einfinden (191-192).

In Parkanlagen und Erholungsgebieten könnten Teiche ausgehoben, Riedwiesen geschaffen und alte Kulturen (Lein, Dinkel) mit entsprechenden Unkräutern angelegt werden. Genaue Unterhalt- und Pflegevorschriften, v. a. Mähen gehören dazu, und die Öffentlichkeit muss den Privaten und Freiwilligen beispringen, wobei den Kantonen die gesetzliche Regelung und den Gemeinden die Pflege obliegt.

 

Futterbau und "integrierter Pflanzenschutz"

 

Dass die Futterbauforschung heute nach Wegen sucht, statt mit Herbiziden durch angepasste Düngung und Schnitttechnik eine hohe Futterqualität zu erreichen sowie resistente Pflanzenpopulationen zu züchten, betont Prof. Rudolf Koblet. Nicht einseitige Anbaumethoden und Massnahmen dürfen ergriffen werden. Sie müssen einem Gesamtplan eingeordnet werden.

 

Bei der Tierzucht muss die Anwendung medikamentöser (bakteriostatischer) Stoffe unter eine strenge Kontrolle gebracht werden. Eidgenossenschaft und kantonale Heilmittelkontrollstelle haben hier zusammenzuarbeiten. Neue Arzneimittel, welche dem Futter als nutritive oder therapeutische Zusätze beigemischt werden, sind von einer Fachkommission zu begutachten, fordert Prof. Alfred Schürch.

Was die verarbeitende Lebensmittelindustrie zu beachten hat, sagt Prof. Hans Neukom: hygienisch einwandfreie Betriebsführung und strenge Qualitätskontrolle der Rohstoffe und Fertigprodukte; auch die amtliche Lebensmittelkontrolle hat eine nicht zu unterschätzende Aufgabe.

 

Zur Sicherstellung hoher und regelmässiger Flächenerträge sowie Qualität muss der landwirtschaftliche Produzent unter anderem Pestizide verwenden, als "notwendiges Übel" meint Dr. Robert Fritzsche, Direktor der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau (Wädenswil). Solche Mittel dürfen nur dort eingesetzt werden, wo alle übrigen Pflegemassnahmen und biologischen Bekämpfungsmethoden nicht ausreichen.

Die Prüfungs- und Bewilligungspflicht für Pflanzenschutzmittel in Verbindung mit Forschung sowie intensiver Beratung und Schulung der Betriebsleiter sorgen für einen wirkungsvollen Einsatz. Jede Verkaufsbewilligung für ein chemisches Präparat kann überdies jederzeit zurückgezogen werden, wenn Erkenntnisse der Wissenschaft oder der Praxis dies für notwendig erachten lassen.

 

Präparate, Rückstände und ihre Kontrolle

 

Die Postulate von Dr. Fritzsche lauten (226-227):

1. Intensivierung der wissenschaftlichen Forschung auch in der Schweiz.

2. Auch die bisher nicht bewilligungspflichtigen Präparate für den Zierpflanzenbau sind als registrierpflichtig zu erfassen.

3. Schwarzbezug und -anwendung von Pflanzenschutzmitteln ist zu unterbinden.

4. Holz- und Vorratsschutzmittel, Haushaltungssprays, usw. sind einer ebenso strengen gesetzlichen Prüfungs- und Bewilligungspflicht zu unterstellen.

5. Importprodukte sind den selben Massstäben wie die Inlandware zu unterstellen.

6. Die Kantone sollten ihre Zentralstelle für Pflanzenschutz ausbauen und die Zahl der Berater erhöhen können, damit die Landwirte und Gemüsegärtner mehr und mehr in den "integrierten Pflanzenschutz" eingeführt werden können.

7. Viel mehr Proben in Lagern und an der Verkaufsfront sollten entnommen und auf Rückstände untersucht werden.

 

Über "Möglichkeiten und Grenzen der biologischen Schädlingsbekämpfung" äussern sich Prof. Georg Benz und Prof. Vittorio Delucchi.

Als Hauptaufgabe der heutigen Toxikologie sieht Prof. Franz Borbély die Festsetzung von Toleranzwerten für Giftstoffe. Die toxikologische Beurteilung von Umweltstoffen, also auch von Rückständen beruht auf dem Satz des Paracelsus: "Dosis sola facit venenum" und auf der qualitativen und quantitativen Extrapolation vom Tier (versuch) auf den Menschen, die aber bei der karzinogenen Wirkung unsicher, bei der teratogenen ungenügend ist.

 

Da fast jeder Umweltstoff bei Unfällen, Selbstmorden oder kriminellen Vergiftungen in massiven Dosen aufgenommen werden kann, ist die Sammlung und Auswertung humantoxikologischer Erfahrungen sehr wichtig. Ein Eidgenössisches Toxikologisches Institut sollte geschaffen werden.

 

Der Berner Kantonschemiker Dr. Erich Baumgartner schildert, wie spät man erst mit Rückstandsanalysen begann. Als die USA im Sommer 1968 den Schweizer Käse beanstandete, setzten erst genauere Untersuchungen ein. Viel Milch musste deshalb vernichtet, d .h. in die Jauchegrube geleert oder verbrannt werden. Das geschah zumindest bis im Herbst 1970. Das Problem konnte nicht gelöst werden.

 

Die Zürcher Stadträtin Dr. Emilie Lieberheer stellt vom Standpunkt des Konsumenten her fest: "Der Charakter des Angebots ist heute mehrheitlich von den ertragswirtschaftlichen Wunschvorstellungen der Anbieter geprägt" (264).

Konsumentenpostulate sind: Intensivierung der Grundlagenforschung, vermehrter Erlass von kantonalen Vorschriften, regelmässige Kontrolle, vermehrte Pflege des biologischen Anbaus und sparsame Verwendung der Spritzmittel sowie Warendeklaration.

 

Wenn allerdings die Kontrolle so extensiv gehandhabt wird, wie das unlängst die amerikanische Food and Drugs Administration beim Gesuch um Verkaufsbewilligung eines Präparates eines Basler pharmazeutischen Industrieunternehmens tat, indem sie nämlich nicht weniger als 470 000 Seiten Unterlagen verlangte, kann man da die Frage nach Sinn und Verhältnismässigkeit wohl mit Recht anbringen.

 

 

"Luft! Luft! Clavigo!"

 

Wie wenig wir über die ungewollten und gewollten Beeinflussungen der Erdatmosphäre wissen, beklagt Prof. Hans Ulrich Dütsch. Auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis etwa bei der Hagelbekämpfung und Nebelauflösung auf Flugplätzen ist noch eine fragliche Angelegenheit.

1970 stellte die 1961 vom Bundesrat ins Leben gerufene Eidgenössische Konsultativkommission für Lufthygiene (314ff) in Fortsetzung ihres zweiten Berichts von 1967 "Grundsätze zur Beurteilung lufthygienischer Probleme" auf. Die Zielsetzung lässt sich aus den ersten Punkten entnehmen:

 

"1.Im Interesse der Volksgesundheit, des Schutzes von Tieren und Pflanzen und der Erhaltung von Bauwerken, Fahrzeugen usw. soll die Atmosphäre so rein wie möglich gehalten werden.

 

2. Es ist praktisch nicht mögliche die Luft völlig rein zu halten. Gewisse Verunreinigungen können. aus technischen Gründen nicht völlig beseitigt werden, oder der Aufwand für ihre Beseitigung würde in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Verunreinigung stehen. Solange die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen gewährleistet bleibt, Belästigungen nur sporadisch und in geringfügigem Ausmass auftreten und die Sachschäden unbedeutend bleiben, muss man sich mit dieser Sachlage abfinden.

 

3. Die Aussenluft ist in den meisten Gebieten der Schweiz heute noch verhältnismässig rein, Dieser Zustand soll wenn immer möglich erhalten bleiben. Eine weiter zunehmende Verunreinigung,; wie sie an verschiedenen Orten droht, muss verhindert werden, und wo immer sich die Möglichkeit bietet, soll die bestehende Verunreinigung vermindert werden" (317).

 

"Ob eine Massnahme zur Luftreinhaltung technisch möglich und wirtschaftlich tragbar ist, soll durch Vergleich mit Fällen ähnlicher Art beurteilt werden. Eine Massnahme, die sich unter ähnlichen Verhältnissen als durchführbar erwiesen hat, kann als technisch möglich und wirtschaftlich tragbar betrachtet werden.

Dem Stande der Technik ist dauernd Rechnung zu tragen: wenn sich auf einem bestimmten Gebiet neue, verbesserte technische Möglichkeiten zur Reinhaltung der Luft ergeben, so sind Sie auch bei bereits bestehenden Anlagen schrittweise einzuführen" (318).

 

Dr. Arnold Sauter, Direktor das Eidgenössischen Gesundheitsamtes (Bern), betont, dass der Bund eine besondere Stelle für die Ausarbeitung der Vollzugsgesetzgebung zum eben angenommenen BV-Artikel 24septies für die Durchführung der dem Bund und für die Aufsicht über die Durchführung der den Kantonen übertragenen Aufgaben schaffe.

 

 

"Wasser ist zum Waschen da"

 

Nach Prof. Werner Stumm, Direktor der EAWAG, muss der Wasserfachmann der Tatsache Rechnung tragen, dass der Verbrauch von Energie und Rohmaterialien schneller ansteigt als die Bevölkerungsdichte und somit die Belastung der Gewässer durch industrielle Nebenprodukte, Wärmeabgabe, Düngstoffe im Vergleich zu häuslichem Abwasser immer bedeutender wird.

 

Prof. Hermann H. Hahn (Karlsruhe) stellt drei Thesen für den Ingenieur der Siedlungswasserwirtschaft auf, die vor allem systemgerechte Betrachtung und eine Orientierung zur Optimierung fordern.

Letztere beinhalten folgende Momente:

1. Zusammenbringen von wissenschaftlichen Grundlagen aus verschiedenen Disziplinen (Informationssammlung),

2 Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis und in eine Modellierung der Umwelt (Simulation) zum besseren Verständnis unseres natürlichen Lebensraumes,

3. Bewertung verschiedener Lösungsmöglichkeiten und Auswahl der optimalen Lösung unter Anwendung der "Branch and Bound'-Methode (377).

 

Gewässerschutz

 

Dass durch innerbetriebliche Massnahmen in der Industrie:, also gewissermassen an der "Quelle", Abwasser- und Schmutzmenge drastisch gesenkt werden können, stellt Prof. Richard Heierli fest.

Die Massnahmen zur Verhinderung und Beseitigung von Emissionen beginnen schon bei der Entwicklung einen Verfahrens. Dazu gehört auch die Einführung von Verfahren, welche ohne oder mit wenig Wasser auskommen, und die innerbetriebliche Rezirkulation, das heisst die Aufbereitung und. Wiederverwendung des Wassers.

 

Heierli plädiert weiter für regionale Grosskläranlagen, die gegebenenfalls mit Anlagen zur weitergehenden Abwasserreinigung - die dritte Reinigungsstufe nach mechanischer und biologischer - ausgebaut werden können. Die Kanalisation sollte nach dem Mischsystem funktionieren.

 

Von Bedeutung ist ferner die Behandlung und Beseitigung des Klärschlamms und die Phosphatausfällung zur Verminderung der Entrophierung. Die Forschung für die dritte Reinigungsstufe ist zu intensivieren.

 

Dass der Gewässerschutz aus seiner bisherigen "Feuerwehr"-Funktion, also aus dem blossen Symptome-Kurieren herauswachsen muss, erläutert Friedrich Baldinger, Direktor des Eidgenössischen Amtes für Gewässerschutz (jetzt: Umweltschutz).

Stieg der Wasserverbrauch in der Schweiz in den letzten hundert Jahren auf das 40fache, so sank der Grundwasserspiegel infolge von Gewässerkorrektionen, Pumpen, Ausdehnung der Baugebiete und Verkehrsflächen sowie rasch ableitenden Kanalisationen mancherorts um mehrere Meter.

 

Es ist heute billig, den Behörden Versagen und mangelnde Voraussicht vorzuwerfen, wenn man neu einzuführenden behördlichen Bewilligungen, Vorschriften und Verboten ablehnend gegenübersteht. "Deshalb sind die rechtlichen und materiellen Grundlagen für behördlich gelenkte Schutz- und Koordinationsvorkehren stets zu spät geschaffen worden ... Die Kantone waren stets sehr darauf bedacht, ihre Gewässerhoheit nicht allzusehr beschneiden zu lassen.

So entstanden in der Bundesverfassung als Grundlagen entsprechende Bundesgesetze:

  • 1897 die noch geltende Fassung des Artikels 24 betreffend die Wasserbau- und Forstpolizei (Hochwasserschutz);
  • 1908 der Artikel 24bis über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte
  • 1919 der Schifffahrtsartikel 24ter,
  • erst 1953 der Artikel 24quater über den qualitativen Gewässerschutz.

 

Dagegen fehlt dem Bund auch heute noch im Wasserversorgungsbereich die verfassungsmässige Gesetzgebungs-, Aufsichts- und Koordinationskompetenz" (425).

 

Fazit: "Eine ganzheitliche Wasserwirtschaft tut not" (426). Unter Leitung des Eidgenössischen Amtes für Gewässerschutz sind nun Vorarbeiten für einen gesamtschweizerischen Sonderplan "Wasserversorgung" im Gange, wozu unter anderem die Erstellung eines schweizerischen Wasserversorgungs-Kataster gehört.

 

Teilmassnahmen genügen heute nicht mehr. Das Raumplanungsgesetz - gestützt auf die BV-Artikel 22ter und 22quater -, der Immissionsschutzartikel 24septies und das neue, revidierte Gewässerschutzgesetz haben einen engen inneren Zusammenhang - eine "späte, jetzt aber doch imponierende Aktivität" (428-429).

Das Teilleitbild "Siedlungswasserwirtschaft" des ETH-Instituts für Orts-, Regional- und Landesplanung umfasst Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz und stellt sie in den Rahmen einer auf weite Sicht gerichteten Siedlungspolitik aber auch Erhaltung der Volksgesundheit. Aus diesem Grund muss der Bund ermächtigt werden, Vorschriften zu erlassen. Der Vollzug dieser Vorschriften wäre unter Aufsicht des Bundes den Kantonen zu übertragen.

 

Friedrich Baldinger steckt einen breiten Katalog von Zielen ab, zu deren Erreichung er

1. Rechtsgrundlagen,

2. Lehre an Berufs-, Mittel- und Hochschulen,

3. Forschung,

4. Wasserwirtschaftliche Planung,

5. Gewässerkunde (eine aussagekräftige Grundwasserkarte) und

6. Gewässerschutzmassnahmen auf Grund ständiger Überwachung der Gewässergüte fordert (433-435).

 

Die bisherige Sorglosigkeit unseren reichlichen Wasserschätzen gegenüber muss überwunden werden. "Dazu bedarf es aber einer positiven Einstellung der breiten Öffentlichkeit und die Bereitschaft der Behörden, von den zur Verfügung stehenden Mitteln den dem Gewässerschutz gebührenden Anteil freizugeben" (435).

 

 

Zusammenfassung der Seminar-Ergebnisse

 

Die Ergebnisse der fünf verschiedenen Seminare werden wie folgt zusammengefasst:

 

Umweltwandel verstehen

 

Prof. Albert Hauser hält fest: Wir stehen vor der Tatsache, dass der kulturelle Reifungsprozess hinter dem ökonomischen, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt zurückgeblieben ist" (439). Die Kausalzusammenhänge der Umweltverschlechterung sind für den einzelnen nicht oder kaum sichtbar, und an feststellbare Schäden ist oft eine grosse Zahl von Urhebern beteiligt. Um den Umweltwandel bestehen zu können, muss man ihn verstehen; das geschieht durch Aufklärung, Aufdecken der Ursachen, Situation erblicken.

 

Umerziehung unserer Generation

 

Prof. Albert Frey-Wissling sieht als dringendste Aufgabe die Erhaltung genügend grosser Grünflächen (Wälder und Weiden) und die Umerziehung "unserer Generation mit ihrer Mentalität des gewinnstrebigen Eigennutzes zu einer allgemeine Belange beherzigenden Denkweise" (441).

Die Grünzonen müssen durch gesetzliche Massnahmen der Verfügungsgewalt der öffentlichen Hand entzogen werden. Produktionseinbussen in der Landwirtschaft müssen entschädigt, nicht subventioniert werden. Wenn Grüngebiete statt durch den Steuerzahler durch den Naturschutz aufgekauft werden, müssen die Mittel dazu von den Gewinnen der Industrie abgezweigt werden, eventuell zusammen mit einer "Lebensraum-Schutzsteuer" beim Erwerb von Industrieland. Auch die Schaffung eines wissenschaftlichen Instituts für Landschaftspflege wird angeregt.

 

Multidisziplinäre Zusammenarbeit

 

Prof. Hugo Aebi (Bern) fasst die Postulate seines Seminars in vier ausführlich kommentierten Punkten zusammen (444-448):

 

1, Intensivierung der Forschung auf allen dem Umweltschutz dienenden Fachrichtungen unter den Zielvorstellungen "Laboratorium Schweiz" und "multidisziplinäre Zusammenarbeit".

 

2 Verschärfung der gesetzlichen Vorschriften bzw. vermehrte Durchsetzung der erlassenen Gesetze und Verordnungen (z. B. vom 3.März und 19. Mai 1969) im Sinne einer "nationalen Gesundheitspolitik".

 

3. Gezieltes Vorgehen bei der Schädlingsbekämpfung.

 

4. Vermehrte Information und Aufklärung des Konsumenten, wie Punkt 2 im Sinne einer Partnerschaft von kantonalen Laboratorien, Industrie, Behörden, Experten, Hochschulinstituten und Konsumentenvertretern.

 

Gesetzgebung nicht hinausschieben

 

Reduzierung der Immissionen auf ein Minimum war die Forderung des Seminars IV, wie Prof. Etienne Grandjean berichtet. Eine Anpassung des Menschen an Luftverunreinigungen ist unwahrscheinlich; beim Lärm findet sie überhaupt nicht statt. Die Forschung soll weiter intensiviert werden, doch darf die Lückenhaftigkeit unserer wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse, das mangelnde Verständnis für die Naturvorgänge und die fehlende Einsicht in. die komplexen Wechselwirkungen zwischen Organismus und Umwelt, im besonderen zwischen Zivilisation und Natur, "unter keinen Umständen ein Vorwand für das Hinausschieben gesetzgeberischer Massnahmen sein" (453).

 

"Ganz allgemein ist in der Diskussion gefordert worden, dass sowohl Planer wie Behörden in Zukunft Fragen wie autofreien Innenstädten, Fernheizungen oder Elektrizität als alleinige Energieträgerin für Verkehr und Heizungen vermehrte Beachtung schenken müssen" (453).

 

 

Und die Rechtsordnung?

 

Juristische Gesamtbetrachtung

 

Den "Schutz der Umwelt durch die Rechtsordnung" beleuchtet anschliessend Prof. Riccardo Jagmetti:

Schon der römische Corpus iuris civilis befasste sich mit der "immissio"! Heute fordert der Jurist, dass in der schweizerischen Rechtsordnung einerseits Lücken zu füllen, anderseits die Schutzmassnahmen durch den Erlass strengerer Vorschriften zu verstärken und drittens die Regeln in ein umfassendes und einheitliches Gesamtsystem einzuordnen sind.

Eine konsequente Handhabung durch die rechtsanwendenden Behörden gehört dazu.

 

Das Problem Umweltschutz darf auf keinen Fall auf die Antinomie von individueller Sorglosigkeit oder privatem Gewinnstreben und Gemeinwohl reduziert werden. "Ein so enger Blickwinkel schliesst weite Bereiche aus der Betrachtung aus und führt zu blossen Teillösungen" (458). Deshalb muss heute auch die klassische Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Recht relativiert werden.

 

Das privatrechtliche Immissionsverbot stützt sich auf den ZGB-Artikel 684, in dessen Anwendung Bundessgericht und kantonale Gerichte eine reichhaltige Praxis unter den Ideen des Umweltschutzes entwickelt haben. Der Haken ist hier nur die nachbarrechtliche Konzeption, d. h. die Voraussetzung des Grundeigentums oder der Berechtigung an Liegenschaften, also die Sachherrschaft. Würde die Persönlichkeit des Menschen - z. B. des Mieters - Schutzobjekt, verlagerte sich die. Sache auf das Persönlichkeitsrecht.

 

Da heute .ein Geschädigter den Urheber der Schädigung meist nicht ausfindig machen und ihm nur ausnahmsweise zivilrechtlich beikommen kann, gewinnt der öffentlich-rechtliche Umweltschutz immer grössere Bedeutung. Dass die nationale Regelung schliesslich noch durch multilaterale Staatsverträge zu erweitern ist, versteht sich von selbst.

 

Raumplanungsgesetzgebung

 

Abwehrmassnahmen, sogenannte "defensive Vorkehren", genügen heute zur Lösung des Umweltproblems nicht. Unser Lebensraum muss nicht nur geschützt, sondern auch gepflegt und positiv gestaltet werden. Letzteres ist Aufgabe der Orts-, Regional- und Landesplanung.  Prof. Theophil Weidmann befasst sich. deshalb folgerichtig mit dar 'Lenkung der Umweltveränderung durch die Planung".

Die Raumplanungsgesetzgebung muss trotz den bestehenden Rangfolgen der Zielsetzungen ganzheitliche Lösungen ermöglichen und auch durchsetzen können. Landumlegungen sind nach den Richtplanzielen der Regionalplanung und Güterzusammenlegungen in Koordination mit der Ortsplanung zu realisieren. "Die Berücksichtigung der Verkehrswerte bei der Entflechtung des Eigentums nach Nutzungszonen bietet eine bessere Garantie für die Eigentumswahrung" (475).

 

Als staatliche Aufgabe betrachtet auch Nationalrat Prof. Leo Schürmann (Olten) die Raumordnung - als Ergebnis der Raumplanung. Eine grosse Komplikation hierfür ergibt sich aus dar bisher ungebrochenen Herrschaft der ökonomischen Wachstumsideologie sowie der Eigentumsideologie.

Zudem gibt es "auf Bundesebene kein Planungsbewusstsein" (483). Seit alters ist die Zonierung eine gliedernde Planungsmethode. Sie' bewirkt unter anderem die Segmentierung des Landes in Märkte. Ein rechtliches Instrumentarium ist deshalb vonnöten: Die kantonalen Richtpläne "sind in für den Eigentümer und Bürger rechtsverbindlichen Nutzungsplänen der Gemeinden und Regionen in die Wirklichkeit umzusetzen" (485).

Noch wichtiger sind "Förderungsmassnahmen des Bundes, nämlich auf dem Gebiete der Forschung, Lehre und Ausbildung, und die Beiträge an die Erschliessung und Ausstattung von Bauland im Sinne des Gesetzes ... In organisatorischer Hinsicht steht die Planungspflicht von Bund und Kantonen an der Spitze" (485-486).

 

Worum geht es denn? "Die Zivilisationslandschaft muss wiederum vergeistigt werden, und sei es auch nur, indem man sie mit natürlichen Elementen durchsetzt … Wir streben nicht eine heile, wohl aber eine humane Welt an …, an der - um Jacob Burckhardt zu nennen - Herz und Auge Wohlgefallen finden" (486).

 

 

Keine raschen Erfolge

 

Keine Silberstreifen am Horizont

 

Die drei abschliessenden Referate diesen Mammut-Umweltschutzbandes, der wohl in bisher einzigartig dastehender Weise sämtliche nur denkbaren Probleme dieses einen Menschheits-Problems - neben Entwicklungs-, Rassen- und Minderheiten-, Sozial-, Arbeitsplatz- und Gesundheits-, Bildungs- sowie wirtschaftlichen, politischen und militärischen Fragen - aufgreift, befassen sich wie die einleitenden mit grundsätzlichen Überlegungen.

 

Nationalrat Jakob Bächtold (Muri) beklagt, dass die Natur- und Heimatschützer vor fünfzig und mehr Jahren als Schwärmer belächelt und die warnenden Wissenschafter nicht ernst genommen wurden. Bächtold macht sich als Praktiker heute keine Illusionen über rasche Erfolge im Umweltschutz; wir können nur mit Bangen in die Zukunft blicken; nicht einmal Silberstreifen zeichnen sich am Horizont ab.

 

Wo bleiben die Hochschulen?

 

Überall fehlen die Fachleute auf dem Gebiet der Ökologie, der menschenwürdigen Umweltgestaltung, der Landschaftspflege. Die längst überfällige Frage taucht hier endlich auf: "Wo sind, die Hochschulen und wo die Institute, die den angehenden Technikern, Wirtschaftsführern und Politikern das Wissen um die grossen Zusammenhänge … vermitteln?" (495-496)

 

Der Präsident des Schweizerischen Wissenschaftsrates, Prof. Karl Schmid, knüpft hier an ("Über die Verantwortung der Hochschule"):

An einer technischen Hochschule hält sich die Diskussion "nicht bei denjenigen sogenannten Folgen der Technik auf, die der puren Nachlässigkeit und Unanständigkeit der Menschen zuzuschreiben sind" (497). Es geht nicht mehr an, den Schwarzen Peter statt den Politikern nun Industrie und Technik, welche die Naturwissenschaften anwenden, zuzuschreiben, denn es besteht auch eine "grenzenlose Nachfrage nach industriellen Gütern" (498).

 Was soll die Hochschule tun? Freie Grundlagenforschung und breite Ausbildung betreiben. Schmid glaubt aber nicht an moralische Ausbildung von Ingenieuren, Chemikern und Architekten. Die Hochschule kann die jungen Menschen nicht gleichzeitig in die Wissenschaft und den Verzicht auf ihre Anwendung einführen, denn "prinzipiell … beruht unsere ganze neuzeitliche Zivilisation auf Erkenntnis, Aktion, Energie, Tätigkeit - nicht aber auf Kontemplation und Verzicht" (499).

Letzteres müssen die Absolventen nach Verlassen der Schule selber leisten. Auf Grund wovon? lässt sich da fragen. Schmid meint, "ob Expansion und Zuwachsrate tatsächlich so imperativ das politische und wirtschaftliche Denken und Handeln bestimmen müssen, wie es jetzt offenbar geschieht, das ist eine Frage an die Gesellschaft, an den Staat, an die Wirtschaft" (500). Woraus aber bestehen diese?

 

Schmid` empfiehlt als Lösung, neben Grundlagenforschung um des Fortschrittes der 'Erkenntnis willen und an wirtschaftlichen Möglichkeiten orientierter angewandter Forschung, eine Forschung mit neuer Motivierung und Zielsetzung: gesellschaftspolitische Forschung, z. B. Umweltforschung und Sozialmedizin. Da winken aber "keine Nobelpreis-Lorbeeren". Und da sich auch die Industrie wenig dafür interessiert, hat der Staat, als Anwalt der Gesellschaft, die Rolle nicht nur des Förderers, sondern auch des Initiators zu übernehmen.

 

Das soll aber kein Alibi sein; "die Wissenschaft muss wecken" (502). Der Wissenschafter, der sich der Problems bewusst ist (woher?), muss in der Sprache der Wissenschaft, d. h. quantifizierend, definierend und sachlich, die Öffentlichkeit darüber über informieren, und zwar vor allem über die physischen Grenzen unserer Ressourcen und die biologische Unumkehrbarkeit.

 

Auch der Präsident des Schweizerischen Schulrates, Minister Dr. Jakob Burckhardt {Zürich), meint, dass "die rettenden Taten ausserhalb der Hochschule vollbracht werden müssen, in der Politik, durch die Behörden, durch den Bürger" (505). Seiner Ansicht nach muss die heutige Devise lauten: "Kein Wachstum mehr auf Kosten des GIeichgewichts in unserem Lebensraum!" (506).

 

 

Revolutionierung der Ethik

 

Die Abschlussvorlesung von Prof. Otto Jaag anlässlich des ETH-Tages am 14. November 1970 setzt einen würdigen Schlusspunkt unter dieses Symposium.

 

Die Chronik der Menschheit besteht aus einer nicht abbrechen wollenden Kette von Fehlern und Katastrophen. Not tut heute: eine weise, ganzheitliche und möglicherweise sogar europäische Wasserbewirtschaftung. Meerwasserentsalzung kann helfen, trockene oder gar Wüstengebiete zu bewässern. Der Missbrauch unserer Gewässer muss mit allen zulässigen Mitteln bekämpft werden. Ganz verwerflich scheint Jaag die behördlich sanktionierte Ablagerung von Atommüll und giftigen Stoffen am Meeresgrund.

 

Erziehung zu möglichster Geräuschlosigkeit in allen Lebensbetätigungen, ja überhaupt die Kontrolle der Vernunft durch das Gewissen ist zu fördern. Wir müssen alle geistigen und seelischen Kräfte zusammennehmen, um die Menschheit vor dem Untergang zu retten.

Das militärische wie wirtschaftspolitische Streben nach Eroberung und Unterwerfung und die Suche nach Erfolg, Ruhm, "grandeur" und Unsterblichkeit muss etwas anderem weichen. Wenn 40 Millionen Menschen jährlich Hungers sterben und sich die Weltbevölkerung in den nächsten 30 Jahren verdoppelt, drängt sich das Problem Nahrung und Familieplanung von selbst in dien Vordergrund. Eine ausgiebigere Nutzung des - reingehaltenen - Meeres drängt sich unter anderem auf.

 

"Wo liegt die Rettung?" Wir müssen an den Verstand appellieren, um die Menschheit zur Vernunft zu bringen (Was würde Kant dazu sagen?) "Um dies zu erreichen ist … eine völlige Umkehr, ein radikales Umdenken, eine machtvolle, revolutionäre Kraftanstrengung aller verantwortungsbewussten Menschen notwendig.

Die unerlässliche Grundlage für eine solche geistige Revolution muss auf einer ethischen Lebensgestaltung orkanartig die Menschheit in ihrer ganzen Tiefe erfassen. Sie muss auf gegenseitige Achtung und gegenseitiges Vertrauen gegründet sein.

Vertrauen ist aber nur möglich zwischen Menschen, die guten Willens sind. Davon aber sind wir heute weiter entfernt als je zuvor" (520).

 

Es gibt nach Jaag nur einen Weg: "die kompromisslose Erfüllung des Gebotes 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst'. Diese Haltung allein vermag uns Menschen über die Natur des Tieres, wo nur die Kraft des Stärkeren wirksam ist, emporzuheben" (520-521).

 

 

Wer soll das bezahlen?

 

Jaag ist einer der wenigen, die immer wieder auf die "unermesslichen finanziellen Opfer" hinweisen. Die Abwasserreinigung samt der dazugehörigen Kanalisation hat die Schweiz bisher etwa 5 Milliarden Franken gekostet.

Dass der bisherige Umweltschutz - als Sektion Natur- und Heimatschutz beim Oberforstinspektorat untergebracht - einschliesslich Subventionen an kantonale und private Aktionen ein Jahresbudget von 1,5 Mio. Fr. (Nationalrat J. Bächtold) aufweist und der neue Forschungsfond für die Gesundheit im Rahmen des Nationalfonds mit 2 Mio. Fr. jährlich dotiert ist (Dr. A. Sauter), mutet recht bescheiden an, wenn man das beispielsweise mit dem Subventionsgesuch von zwei deutschen Firmen "von bis zu 1 Mia. DM" vergleicht - für Entwicklung und Bau eines Grosscomputers.

 

10 Jahre konzentrierteste Forschung und 400 Mia. Fr. haben die USA in das Unternehmen "Mondlandung" gesteckt, mehr als doppelt soviel, nämlich etwa 900 Mia. Fr., in den Vietnamkrieg.

 

 

Was soll man lesen?

 

Es ist kaum anzunehmen, dass jemand nach der Lektüre dieser Zusammenfassung oder gar des ganzen Bandes "Schutz unseres Lebensraumes" Zweifel über die Grösse dieser Aufgabe hegt.

Sollte dies wider Erwarten doch der Fall sein, empfiehlt sich vielleicht das Studium des deutschen "Umweltrechts" (3100 Seiten), oder gar des "Wasserrechts" (5640 Seiten), weiter: der drei Bände "Air Pollution" (2300 Seiten), der Loseblattsammlung "Müll- und Abfallbeseitung" (3000 Seiten), der "Rohrleitungen" ("Piping Handbook", 1650 Seiten), des "Handbuchs des Lärmschutzes" (1400 Seiten) und des "Taschenbuchs der Wasserwirtschaft" (1300 Seiten) oder von "The Analytic Toxicology of Industrial Inorganic Poisons" (940 Seiten), "Industrie-Abwässer" (740 Seiten) und "SchädIiche Gase" (650 Seiten).

 

Das dreibändige "Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung" (1970) umfasst 4000 Spalten, das vierbändige "Handbuch für Landschaftspflege und Naturschutz" (1968/69) 1270 Seiten, und schliesslich verzeichnet der deutsche "Schrifttumnachweis - Bau-, Wohnungs- und Siedlungswesen" samt Landesplanung und Naturschutz allein für das Jahr 1967 weit über 4000 Publikationen.

 

Auf die verschiedenen Jahrbuch- und Schriftenreihen hinzuweisen, erübrigt sich, umfassen sie doch mindestens

  • 10 Bände ("Strahlenschutz in Forschung und Praxis")
  • 18 Bände ("Münchner Beiträge zur Abwasser-, Fischerei- und Flussbiologie")
  • 19 Bände ("Ordnungssystematik zur Dokumentation Wasser")
  • 21 Bände ("Schriftenreihe der Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen")
  • 26 Bände ("Jahrbuch für Wasserchemie und Wasserreinigungstechnik")
  • 33 Bände (Schriftenreihe des Vereins für Wasser-, Boden- und Lufthygiene")
  • 68 Bände plus 39 Supplementbände ("Archiv für Hydrologie").

 

Bleibt angesichts dieser erschütternden und erdrückenden Fülle von Informationen und Problemen nur noch der betrübliche Schluss übrig, der schon in den 1930er Jahren auftauchte: "Das ganze System ist falsch!", oder heisst die Lösung: "Zehn Jahre Pause!", was Richard Katz in den "Drei Gesichtern Luzifers" (1934) verzweifelt vorschlug und was 1963 im Titel eines Theaterstücks eine unübertreffbare Formulierung fand: "Stop the World - I Want to Get Off"?

 

Am Schluss steht also ein Fragezeichen.

 




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