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Steuern Meinungen unser Verhalten?

 

Siehe auch:               Ordnungsmodell für psychologische Modelle

                                   Tabelle: Steuerung/ Beeinflussung des menschlichen Verhaltens

                                   Was ist verhaltenswirksam?

                                   Triebe und ihre Folgen

                                   Der Kampf gegen Unwissenheit und Vorurteile

                                   Konfliktursachen

                                   Werbe-Morph-Logisches VII: Wo hakt Werbung ein?

 

 

 

Zwei ganz verschiedene Arten von Meinungen könnten unseren betrieblichen, aber auch den politischen und privaten Alltag bestimmen: Vorstellungen, die wir von andern Menschen haben, und Erwartungen, ob wir eine Aufgabe bewältigen können.

 

Unsere Ansichten über die Fähigkeiten von andern und von uns selber spielen eine grössere Rolle als die Realität. Es ist besser, wenn diese Ansichten positiv sind.

 

 

Meinungen quälen uns, nicht Dinge

 

Nach neueren Untersuchungen rührt Hilflosigkeit davon her, dass man erwartet, etwas nicht beeinflussen zu können. Man stellt sich also etwas vor und meint, man könne es nicht ändern.

Vor 200 Jahren stellte Goethe seiner «Metamorphose der Pflanzen» ein griechisches Zitat (von Epiktet) voran, das diesen Sachverhalt prägnant ausdrückt: «Nicht die Wirklichkeit beunruhigt und erregt die Menschen, sondern die Theorien (dogmata) darüber.»

 

Montaigne hatte um 1580 formuliert: «Die Menschen werden von den Meinungen gequält, die sie von den Dingen haben, und nicht von den Dingen selbst.»

 

Diese Behauptung wurde seit der Jahrhundertwende von der Vorurteils- und Einstellungsforschung - nicht «Meinungsforschung» - untersucht. Dabei ging es vorwiegend um Meinungen über andere Menschen.

 

Auch Vorurteile über Vorurteile stimmen nicht

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg liefen die Untersuchungen unter. dem Titel «Interpersonale Wahrnehmung». Letztere ergaben unter anderem vier erstaunliche Ergebnisse:

  • Da Vorurteile meist hartnäckig sind, hat man gerne angenommen, es stecke in ihnen ein «Körnchen Wahrheit». Zahlreiche Forschungsergebnisse lassen daran Zweifel aufkommen.
  • Auch die «Sündenbocktheorie» konnte nicht bestätigt werden, also die Behauptung, man verschiebe die aus Frustration herrührende Aggression auf andere.
  • Vorurteile werden irgendwie gelernt, aber sie sind kaum veränderbar, z. B. weder durch Information noch Kontakt - ausser in bestimmten Fällen.
  • Sowohl bei Gruppenvorurteilen wie bei individuellen spielen das Selbstbild und der soziale Status eine bedeutsame Rolle. Dazu kommt die spezifische Situation.

 

Obwohl es kaum stichhaltige Untersuchungen über die Zusammenhänge von Vorurteilen mit Verhaltensabsichten und von diesen mit dem tatsächlichen Verhalten gibt, ist eine Reihe von Thesen bekannt geworden, wonach «Menschenbilder», also Vorstellungen über den Menschen, das Verhalten von Managern und Organisatoren und darüber hinaus die Struktur von betrieblichen und andern Organisationen bestimmten.

 

Den Anfang machten

  • James G. March und Herbert A. Simon („Organizations“ 1958, dt. 1976)
  • Douglas McGregor („The Human Side of Enterprises” 1960; dt. 1970)
  • Rensis Likert (“New Patterns of Management” 1961, dt. 1972)
  • Amitai Etzioni (“Modern Organizations” 1964, dt. 1967)
  • Edgar H. Schein (“Organizational Psychology” 1965, dt. 1980).

 

 

«Wie man in den Wald ruft ...»

 

Bekannt geworden ist die Unterscheidung von McGregor: Er verurteilte die autoritäre Führungskonzeption (Theorie X) mit ihrem mechanistisch-ökonomischen Menschenbild als ineffektiv und inhuman. Vorgesetzte aber, die bereit seien, ihre Mitarbeiter als potentiell kreativ und selbstverantwortlich zu sehen (Theorie Y), erreichten, dass sich ihre Mitarbeiter im Arbeitsprozess engagieren, ihre Fähigkeiten einsetzen und dass sowohl Leistung wie Zufriedenheit steigen.

 

Auch hinter der Theorie Y steckt aber eine mechanistische Vorstellung: Wenn ich jemanden als kreativ einschätze, wird er auch kreativ handeln. Das läuft in der Soziologie unter «self-fulfilling prophecy» (Robert King Merton 1949), die ebenfalls von einem engen Zusammenhang zwischen Erwartung und Verhalten ausgeht.

Karl Raimund Popper hat es weniger dezent den Ödipus-Effekt genannt. Die Psychologen haben seit 1964 den Rosenthal-Effekt. Der Volksmund sagt: «Wie man in den Wald ruft, so tönt's heraus.»

 

Doch manchmal kommt es anders...

 

Nun lehrt aber die Erfahrung, dass es manchmal ganz anders aus dem Wald heraus tönt, dass ein Vorgesetzter von seinem Mitarbeiter schwer enttäuscht werden kann oder dass überhaupt nichts mehr funktioniert.

Manche hoffnungsvoll entwickelte und aufgenommene Management-Theorie hat sich vielfach als unrealistisch herausgestellt, so insbesondere die Vorstellung, die bisher ungenutzten Potentiale wie Eigeninitiative, Kreativität und Wissen liessen sich leicht entdecken, entwickeln und fördern.

 

Ernüchterung hat eingesetzt. Es sind nicht nur die finanziellen Restriktionen, welche in den letzten paar Jahren zu einem beträchtlichen Abbau des Besuchs von Seminarien und Kurs en geführt, haben. Sondern es ist auch die zunehmend lauter gewordene Frage: Was nützt es?

 

Hilflosigkeit lähmt

 

Gerade diese Frage ist aber ausserordentlich gefährlich. Aus Frustration über nicht eingetretene Verbesserungen oder Erfolge kann sich Hilflosigkeit entwickeln, die im schlimmsten Falle bis zur Depression geht.

Mit Depressionen haben sich die Mediziner und Psychiater seit Paracelsus (um 1530) und Johann Weyer (1563) oder seit 1870 Kraepelin, Janet und Bleuler befasst.

Vor allem in den 1920er und 1930er Jahren haben sich einerseits Sigmund Freud, Alfred Adler und Karen Horney mit Depression und Angst, Minderwertigkeitsgefühlen und Hilflosigkeiten auseinandergesetzt.

 

Verhaltensforscher erzeugten anderseits bei Tieren „experimentelle Neurosen“ (Pawlow 1928; Liddell 1934) und später angeblich „abergläubisches Verhalten“ (Skinner 1948). Seither widmeten sie immer mehr Untersuchungen der Hilflosigkeit.

Wie üblich, verwendeten sie zuerst Ratten. Ein drastisches Experiment unternahm Curt Paul Richter (1957): Er hielt wilde Ratten so lange fest, bis sie nicht mehr zappelten. Dann setzte er sie in einen Wasserbehälter ohne Fluchmöglichkeit. Sie ertranken innerhalb einer halben Stunde. Ratten, die vorher nicht festgehalten wurden, konnten 60 Stunden schwimmen.

Hilflosigkeit lähmt.

 

Hilflosigkeit wird gelernt

 

Martin E. P. Seligman, der 1975 über „Helplessness“ berichtete, fing Mitte der 1960er Jahre mit eigenen Experimenten an, hauptsächlich mit Hunden. Er setzte sie zuerst elektrischen Schlägen aus, welche von den Tieren auf keine Weise vermieden werden konnten, Als er sie nachher in einen Kasten setzte, aus dem sie weiteren elektrischen Schlägen entfliehen konnten, taten sie dies nicht.

Das brachte ihn auf die Idee, dass Hilflosigkeit gelernt wird.

Ähnliches liess sich auch bei Katzen, Fischen und sogar Küchenschaben nachweisen. Weshalb also nicht auch bei Menschen?

 

Seit 1971 konnte passives Verhalten nach vorangegangenem Hilflosigkeits-«Training» tatsächlich erzeugt werden: Wenn man gelernt hat, dass alles nichts nützt, unterlässt man es, etwas zu tun, auch wenn es nun plötzlich etwas bewirken würde.

 

Der blosse Glaube bewirkt etwas

 

Tiere und Menschen bilden also irgendwie Vorstellungen über mögliche Kontrollen aus. Wenn ich der Ansicht bin, ich könnte ein Ereignis oder eine Situation kontrollieren, dann tue ich etwas, andernfalls nicht.

Wie wichtig dabei nur schon der Glaube ist, etwas kontrollieren zu können, zeigte sich in einem Experiment über «Urban Noise» (Glass und Singer 1972). Versuchspersonen, die sehr lauten Geräuschen ausgesetzt waren, erbrachten nachher bessere Leistungen, wenn sie den Lärm mit einem Knopfdruck abstellen konnten, als diesbezüglich «hilflos» dem Lärm ausgesetzte.

Interessanterweise zeigten dieselben guten Leistungen auch Versuchspersonen, denen man gesagt hatte, sie könnten durch Drücken eines Knopfes den Lärm abstellen, man sähe es aber lieber, wenn sie es nicht täten. Keine der Personen benutzte dann die Möglichkeit, den Knopf zu drücken - es hätte auch nichts genützt. Also war es der blosse Glaube, den Lärm abstellen zu können, der sie zu guten Leistungen veranlasste.

 

Das erinnert an den älteren Mann, der Angst hatte, an einem Herzanfall zu sterben. Der Psychiater verschrieb ihm ein Beruhigungsmittel und erklärte, es sei ausserordentlich wirkungsvoll und würde die Angst selbst auf der Höhe eines Anfalls beenden.

Der Mann trug das Medikament fortan in seiner Brusttasche mit sich. Er hatte nie mehr einen Angstanfall; das Medikament hat er nie eingenommen.

 

Was bedeutet das? Auf die reale Kontrollierbarkeit unserer Umwelt kommt es gar nicht so sehr an. Wichtig ist wie wir dazu eingestellt sind. Ein gewisses Vertrauen in die Machbarkeit einer Sache und auf unser eigenes Können lässt uns die Probleme mutig anpacken.

Hilfreich dabei ist uns die Erfahrung, dass nicht alles über längere Zeit misslingt oder schief geht. Es kommt doch immer wieder vor, dass etwas gelingt. Der Volksmund sagt: «Nach ein Räge schint d’Sunne» oder: «Ein blindes Huhn findet auch ein Korn.»

Noch böser hat es vor 300 Jahren ein französischer Dichter formuliert: «Un sot trouve toujours un plus sot qui l'admire.»

 

Ein billiger Trost? Nein. Das ist Lebenserfahrung. Es ist nie alles zu Ende, nie alles sinnlos, nie alles wirkungslos.

Dass dies auch experimentell Hilflosigkeit verhindert, zeigen wiederum Tierversuche. Wenn die vorher erwähnten Ratten nicht nur festgehalten, sondern immer wieder losgelassen oder ab und zu aus dem Wasser genommen wurden, schwammen sie 60 Stunden lang.

Das abwechslungsweise Festhalten und „Retten“ vermittelt also der Ratte „ein Gefühl für potentielle Kontrolle über traumatische Bedingungen“ und „immunisierte“ sie gegen den plötzlichen Tod.

Aus der Lernpsychologie ist sein Skinner (1938; 1957) und Humphreys (1939) Ähnliches als „intermittierende Verstärkung“ bekannt. Dieses Verfahren erzeugt stabile und gleichmässige Verhaltensformen.

 

Lernen, mit Misserfolgen umzugehen

 

Ist Immunisierung gegen Hilflosigkeit auch bei Menschen möglich?

In einem Versuch teilte Dweck (1973) Schulversager in zwei Gruppen ein. Die einen erhielten 25 Tage lang immer nur Rechenaufgaben, welche die Schüler erfolgreich bewältigen konnten, die anderen aber zweimal pro Tag auch solche, die über ihren Fähigkeiten lagen. Wenn letztere versagten, schalt man sie aus und sagte: «Du hättest dich mehr anstrengen sollen!»

Stellte man später der Nur-Erfolgs-Gruppe unlösbare Aufgaben, gab sie nach einem Misserfolg auf. Die Schüler der anderen Gruppe hingegen zeigten keine Beeinträchtigung nach einem Misserfolg, sondern verbesserten sogar ihre Leistungen. und zeigten weniger Prüfungsangst.

 

Trotzdem Ja sagen

 

Zu viel Erfolg, zu viel «Verwöhnung» machen junge Menschen – aber auch etwa Tauben - hilflos. Wer aber Erfahrungen mit der Bewältigung von Angst und Frustration sammeln konnte, wird Misserfolg, Langeweile und Schmerz in entscheidenden Situationen bewältigen. Selbstvertrauen entsteht nur in der Konfrontation mit Schwierigkeiten, ein Selbstwertgefühl nur durch die Messung an einem hohen Massstab und an klaren Normen.

 

«Ein Gefühl für Wert, Bewältigung oder Selbstwert wird nicht geschenkt. Es kann nur verdient werden», schliesst Martin Seligman sein Buch «Erlernte Hilflosigkeit».

Wie wird es verdient? Durch die Einstellung: «Trotzdem ja zum Leben sagen.» (so eine kleine Schrift von Viktor E. Frankl 1946). Egal, ob die Lage tatsächlich kontrollierbar ist, wir müssen etwas tun. «Das Prinzip Hoffnung» (Ernst Bloch 1954-57) und «Die Kraft positiven Denkens» (Norman Vincent Peale 1952) haben noch lange nicht ausgespielt.

 

 

(leicht gekürzt erschienen in Schweizerische Kaufmännische Zeitung, 20. 12. 1985, 11)

 

 

Literatur

 

Curt Paul Richter: On the phenomenon of sudden death in animals and men. Psychosom. Med. 19, 1957, 191-198.

Martin E. P. Seligman: Helplessness. On depression, development, and death. San Francisco: Freeman 1975; mehrere ed. bis New York: Freeman 1996;
dt.: Erlernte Hilflosigkeit. München: Urban und Schwarzenberg 1979, 5. ed. 1995; als Beltz-Taschenbuch Weinheim, Basel : Beltz 1999.

Judy Garber, Martin E.P. Seligman (Ed.): Human helplessness. Theory and applications. New York, London: Academic Press 1980.

Martin E. P. Seligman: Learned Optimism. New York: Knopf 1991; New York: Pocket Books 1998;
dt.: Pessimisten küsst man nicht. Optimismus kann man lernen. München: Droemer Knaur 1991, Taschenbuchausgabe 1993.

Christopher Peterson, Steven F. Maier, Martin E. P. Seligman: Learned helplessness. A theory for the age of personal control. New York: Oxford University Press 1993.

Martin E. P. Seligman:  What you can change and what you can't. The complete guide to successful self-improvement. New York: Knopf 1994.

Martin E. P. Seligman: The optimistic child. Boston: Houghton Mifflin 1995;
dt.: Kinder brauchen Optimismus. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.

Jane E. Gillham (Ed.): The science of optimism & hope. Research essays in honor of Martin E. P. Seligman. Philadelphia: Templeton Foundation Press 2000.

Martin E. P. Seligman et al. (Gast-Ed.): Positive psychology. Special issue on happiness, excellence, and optimal human functioning. American Psychologist; 55, 1, 2000.

 

Menschenbilder in der Wirtschaft

 

weitere Titel bei: homo oeconomicus

siehe auch:         Menschenbilder in Staat und Wirtschaft

                             Die Psychologie der Menschbilder

                             Menschenbilder

 

Edgar Henry Schein: Das Bild des Menschen aus der Sicht des Management. In Erwin Grochla (Ed.): Management. Düsseldorf: Econ 1974, 69-91
(aus Edgar Henry Schein: Organizational Psychology.
Englewood-Cliffs, N. J.: Prentice-Hall 1965, 47-63).

Günter Hartfiel: Wirtschaftliche und soziale Rationalität. Untersuchungen zum Menschenbild in Ökonomie und Soziologie. Stuttgart: Enke 1968.

P. Moldenhauer, G. Grunwald: Menschenbild. In: Personalenzyklopädie, Bd. 2, München 1978, S. 577-582.

Rolf Wunderer, Wolfgang Grunwald: Führungslehre. Bd. 1: Grundlagen der Führung. Berlin: De Gruyter 1980, 75-111: Kapitel D: „Theorien über den Menschen (Menschenbilder)“.

Wolfgang H. Staehle: Menschenbilder in Organisationstheorien. In Erwin Grochla (Ed.): Handwörterbuch der Organisation. Stuttgart: Poeschel, 2. ed. 1980, Sp. 1301-1313.

Hans-Georg Lilge: Menschenbilder als Führungsgrundlage. Zeitschrift für Organisation, Heft 1, 1981, 14-22.

Helmut Woll: Menschenbilder in der Ökonomie. München: Oldenbourg 1994.

Rolf Oerter: Menschenbilder in der modernen Gesellschaft. Konzeptionen des Menschen in Wissenschaft, Bildung, Kunst, Wirtschaft und Politik. Stuttgart: Enke 1999.

 




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