Home Polarität und Gegensatz

                     Polarity and opposite, contradiction

                     Beschreibungen

 

Inhalt

Ptahhotep

Heraklit

Altes Testament

Neues Testament

Nikolaus von Kues

Goethe

Das Wort „Polarität“

Schelling

Dialektik

 

Siehe auch:   Literatur: Polarität/ Komplementarität/ Gegensatz (1804-2005)

                        Literatur: Konflikt

                        Einige Polaritäten im Altertum

                        Stichworte zum Zweiheitsproblem

                        Die philosophische Haltung

 

 

Die zwölf Zwillingseigenschaften

(bei den alten Ägyptern, ca. 2400 v. Chr.)

 

Am anderen Abend stehe ich wieder vor Ptahhotep.

 

«Die Zeit ist da», sagt Er, «dass du die zwölf Zwillingseigenschaften als nächste Übungen vornimmst. Bei der Einweihung wirst du darin geprüft werden. Höre also gut zu, und präge dir ein, was ich dir jetzt sage:

 

So wie Schweigen' und Reden' die zwei sich ergänzenden Offenbarungsformen derselben Kraft sind, so gibt es zwölf Eigenschaftspaare, die du zu beherrschen lernen musst. Von nun an wirst du nur vormittags im Tempel sein, dann gehst du in den Palast zurück und musst jede Gelegenheit benützen, so viel als möglich unter Menschen zu sein, denn es ist viel leichter, dieser Eigenschaften im Tempel Herr zu sein als in der Welt.

Hier begegnest du lauter dir ähnlichen, nach der göttlichen Einheit strebenden Neophyten sowie den schon in der göttlichen Einheit lebenden Priestern und Priesterinnen. In der Welt bist du aber den verschiedensten Versuchungen ausgesetzt. Du begegnest dort vielen, die körperbesessen sind und auch dich beeinflussen wollen. Die Gefahr zu fallen ist viel grösser. Wenn du alle Eigenschaften im Weltgetriebe meistern kannst, dann wirst du die Einweihungsprüfungen auch bestehen.

 

Die zwölf Zwillingseigenschaften sind:

 

Schweigen – Reden

Empfänglichkeit – Unbeeinflussbarkeit

Gehorchen - Herrschen

Demut – Selbstvertrauen

Blitzesschnelle – Besonnenheit

Alles annehmen - Unterscheiden können

Vorsicht - Mut

Nichts besitzen - Über alles verfügen

An nichts gebunden sein - Treue

Sich zeigen – Unbemerkt bleiben

Todesverachtung – Lebensschätzung

Gleichgültigkeit – Liebe.»

 

Aus Elisabeth Haich: Die Einweihung. 1954; Ausgabe München: Goldmann-Verlag, 1991, S. 205

 

 

Heraklit (um 500 v. Chr.), 10 fr. 10:

 

„Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles.“

 

25 fr. 8:

 

„Das Widerstrebende vereinige sich und aus den entgegengesetzten (Tönen) entstehe die schönste Harmonie, und alles Geschehen erfolge auf dem Wege des Streites.“

 

27 fr. 51:

„Sie begreifen nicht, dass es (das All-Eine), auseinanderstrebend, mit sich selber übereinstimmt; widerstrebende Harmonie wie bei Bogen und Leier.“

 

 

Altes Testament: Psalm 139, 8-12

 

“Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.”

(vgl. auch. Am. 9, 2-3)

 

Altes Testament: Prediger 3, 1-8 (3. Jh. v. Chr.)

 

„Alles hat seine bestimmte Stunde,

jedes Ding unter dem Himmel hat seine Zeit.

Geboren werden hat seine Zeit,

und Sterben hat seine Zeit.

Pflanzen hat seine Zeit,

und Ausreissen hat seine Zeit, usw.“

 

 

Jesus Sirach 33, 14-15 (180 v. Chr.)

 

“Neben dem Bösen das Gute, neben dem Leben der Tod, neben dem Guten der Frevler. Schau hin auf alle Werke Gottes: Alle sind sie paarweise geschaffen, eins entspricht dem andern.”

 

 

Neues Testament: Römerbrief 8, 38-39 (58 n. Chr.)

 

“Denn ich bin dessen gewiss, das weder Tod noch Leben, weder Engel noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, … weder Hohes noch Tiefes, noch irgendein andres Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unsrem Herrn.”

 

 

Nikolaus von Kues (1437)

 

„coincidentia oppositorum“; De coniecturis II, 1 und 2; De docta ignorantia (1440) I, 4.

 

 

Johann Wolfgang von Goethe

 

1792:

 

„Das Geeinte zu entzweien,

das Entzweite zu einigen,

ist das Leben der Natur;

dies ist die ewige

Systole und Diastole,

die ewige

Synkrisis und Diakrisis,

das ewige

Ein- und Ausatmen der Welt,

in der wir leben,

weben und sind.“

 

1805

 

„Wir und die Gegenstände,

Licht und Finsternis,

Leib und Seele,

Zwei Seelen,

Geist und Materie,

Gott und die Welt,

Gedanke und Ausdehnung,

Ideales und Reales,

Sinnlichkeit und Vernunft,

Phantasie und Verstand,

Sein und Sehnsucht.

 

Zwei Körperhälften,

Rechts und links,

Atemholen.

Physische Erfahrung:

Magnet.“

 

30.10.1808 an Zelter

 

Polarität ist aber auch Voraussetzung des Begriffes Gestaltung und Gestalt, die nach Goethe „höchste und einzige Operation der Natur und Kunst“.

 

1808/10: „Zur Farbenlehre“

 

„Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur.“

 

1816: Italienische Reise

 

„Wundersame Komplikation der menschlichen Natur, in welcher sich die stärksten Gegensätze vereinigen, Materielles und Geistiges, Gewöhnliches und Unmögliches, Widerwärtiges und Entzückendes, Beschränktes und Grenzenloses.“

 

1828 an den Kanzler von Müller

 

„Die Erfüllung aber, die ihm fehlt, ist die Anschauung zweier grosser Triebräder aller Natur: der Begriff von Polarität und Steigerung.“

 

 

 

Das Wort „Polarität“ im Deutschen erst um 1800

 

Paracelsus (um 1520) brauchte für das Wort polar „selbander“, „in ein Paar gestellt“;
in seiner „Astronomia magna“ (1537) geht er von einer polaren Einheit des Menschen aus.

 

Friedrich Christoph Oetinger („Theologia ex ideae vitae deducta“, 1765):

Systole und Diastole

 

Johann Gottfried Herder (“Vom Erkennen und Empfinden der Seele”, 1778):

Zusammenziehung und Ausbreitung

 

„polarisch“ bei Wieland, Goethe, Görres

 

 

 

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1798)

 

In seiner naturwissenschaftlichen Schrift „Von der Weltseele – eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus“ (1798) (hrsg. von Jörg Jantzen. Werke 6, Stuttgart: Frommann-Holzboog 2000) erklärt der Philosoph, immer im Zusammenhang des physikalischen Phänomens der Polarität:

 

„Hier hätten wir nun den ersten Anfang des allgemeinen Dualismus der Natur. Wir haben zwo Materien, die sich allgemein und durchgängig entgegengesetzt sind. Damit aber zwischen beyden reelle Entgegensetzung möglich seye, müssen sie Dinge einer Art seyn (100).

Es ist erstes Princip einer philosophischen Naturlehre, in der ganzen Natur auf Polarität und Dualismus auszugehen (151).

Es ist Zeit, den Begriff der Polarität genauer zu bestimmen. – Dass in der ganzen Natur entzweyte, reell-entgegengesetzte Principien wirksam sind, ist a priori gewiss; diese entgegengesetzten Principien in einem Körper vereinigt, ertheilen ihm die Polarität; durch die Erscheinungen der Polarität lernen wir also nur gleichsam die engere und bestimmtere Sphäre kennen, innerhalb welcher der allgemeine Dualismus wirkt (171).

Die erste Wirkung der Sonne auf die Erde war ohne Zweifel die, dass sie ihre magnetische Eigenschaft erweckte, und so ist wohl das Gesetz der Polarität ein allgemeines Weltgesetz, das in jedem einzelnen Planetensystem auf jeden untergeordneten Körper ebenso wirksam ist, als in unserem Planetensystem auf der Erde (179)“.

 

Schelling sah auch die Polarität in Gott. Diese Idee wurde von in unterschiedlicher Weise von Fechner, Whitehead, Przywara und Hartshorne weiterverfolgt.

 

 

Dialektik

 

Johann Gottlieb Fichte bestimmte (vor 1800) den dialektischen Prozess als bestehend aus Thesis, Antithesis und Synthesis. Dieser Dreischritt ist von Immanuel Kant, der gerne Dreiheiten verwendete, inspiriert. Er wurde von Georg Wilhelm Friedrich Hegel übernommen und weiter ausgebaut.

 

Maine de Biran (1813-22): In den Dingen besteht eine ursprüngliche Dualität.

 

Samuel Taylor Coleridge (1818): „the law of polarity“

 



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