HomeDie Systemwissenschaft hat viele tiefe Wurzeln

                    1600-1950 - einige Stichworte

 

Siehe auch:                Vorläufer der Systemwissenschaft (Tabelle)

                                    Johann Heinrich Lambert und das "Systems Engineering"

                                    Geschichte des Systemdenkens und des Systembegriffs

                                    Systemwissenschaft - Herkunft und Grundprobleme

                                    Dazu: Literatur 1940-1960 englisch

                                                Literatur 1940-1960 deutsch

 

Siehe ferner               Ganzheitliches Denken - heute und im Laufe der Geschichte

                                    Ganzheitliches Denken und Handeln

 

 

 

Die heutige Systemphilosophie hat sowohl philosophische als auch technische und einzelwissenschaftliche Wurzeln, die viel weiter zurückgehen als man gemeinhin annimmt.

 

Heute gibt es in jeder Wissenschaft und jeder praktischen Tätigkeit einen System-Ansatz. Er bildet die Grundlage zur Erfassung komplexer Zusammenhänge.

 

Der System-Ansatz ist aber auch die methodologische und terminologische Basis für interdisziplinäre Arbeit. Er stellt eine Orientierungshilfe dar, vermittelt Denkhilfen und weckt das Problembewusstsein.

 

Wenn man die Fülle der historischen Strömungen etwas auseinanderdividiert und grob zusammenfasst, kann man sechs Gruppen bilden:

 

  • Systembetrachtung
  • Idee und Praxis der Regulation (in der Technik, in der Volkswirtschaft, in der Politik, in Biologie und Medizin)
  • Thermodynamik und Mathematik
  • Nachrichten- und Elektrotechnik
  • Forschungslogik und Vorgehensmethodik sowie
  • Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie.

 

Die meisten dieser Ideen und Erfindungen setzen erstaunlicherweise fast zur selben Zeit, nämlich etwa um das Jahr 1600, ein.

Im 20. Jahrhundert rücken diese Gruppen immer näher zusammen, insbesondere seit 1940.

 

 

I. Die Systembetrachtung

 

Frühe Werke

 

Einer der Pioniere der "Systems Analysis", C. West Churchman, empfiehlt in seiner "Einführung in die Systemanalyse" (engl. 1968) die Lektüre

  • von Platons "Politeia" - "ein ausgezeichnetes Buch über Systemwissenschaften"
  • der Vorsokratiker - "am Gesamtsystem interessiert"
  • von Thomas von Aquins "Summa Theologica" - "ein Monumentalwerk im Hinblick auf die System-Analyse"
  • von Thomas Hobbes' "Leviathan" - ein "Bericht über den Ursprung und die Struktur menschlicher Gemeinschaften"
  • von René Descartes "Abhandlung über die Methode"
  • von Spinozas "Ethik" und seiner "Abhandlung über das Verständnis"
  • von Leibniz' "Monadologie" - "eine sehr scharfsinnige Zusammenfassung darüber, wie ein 'Gesamtsystem' beschaffen sein soll"
  • von Jeremy Benthams "Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung", usw.

 

Sowohl der Begründer der modernen Systemphilosophie, der Österreicher Ludwig von Bertalanffy, als auch der deutsch Philosoph Heinrich Rombach (in seiner umfangreichen und grundlegenden Übersicht: "Substanz, System, Struktur", 1965/66) führen die Systembetrachtung auf den deutschen Kardinal und Bischof Nikolaus von Kues (1440-1464) zurück.

Er begründete laut Rombach den Funktionalismus: "Die Welt ist nichts anderes als der Funktionszusammenhang der Dinge." Gott hat "die Verhältnisse der Teile wechselweise aufs genaueste zusammengestimmt, dass überall die Bewegung der Teile zum Ganzen führt."

 

Die Philosophie von Cusanus blieb lange Zeit ohne Einfluss. Erst Giordano Bruno und Leibniz nahmen sie auf.

 

Der System-Begriff war den Alten Griechen bereits in der heutigen Breite und Vielfalt bekannt und wurde von ihnen viel benützt. Die Alten Römer verwendeten ihn nicht und das Mittelalter kaum. Erst nach 1500 taucht er zögernd auf, und genau seit 1600 erlebte er einen richtiggehenden Boom.

In die Nationalsprachen tritt er 1508 (italienisch), 1540 (deutsch), 1552 (französisch) und 1619 (englisch) ein.

 

1600-1800

 

Im allgemeinen zählt man die mechanistischen Auffassungen des 17. Jahrhunderts der Naturforscher Kepler und Galilei, Huygens und Newton und die Maschinentheorien der Philosophen Descartes und Gassendi, Hobbes und Leibniz (samt der "prästabilierten Harmonie") zu den Vorläufern der Systembetrachtung.

 

Laut Rombach bieten diese Auffassungen den "konkreten Funktionalismus". Bei Spinoza - der den Begriff aber nicht verwendet - tritt "System" an die Stelle der Schöpfung, und zwar unter dem Namen "Natur" (II, 29-97; vgl. auch 500-515).

Blaise Pascal praktizierte den konsequentesten Funktionalismus. Er formulierte um 1660: "Alle Teile der Welt haben einen solchen Zusammenhang und sind derart eines mit dem andern verkettet, dass ich es für unmöglich halte, das eine ohne das andere und ohne das All zu erfassen."

Leibniz sah dann die Welt als System von Systemen, als "Struktur" (II, 317-325; der Begriff "la structure" in der "Monadologie", 1714, § 17); die scientia generalis ist als Wissenschaft die "Ordnung von Ordnungen" (II, 313); und "das Fundament der Wahrheit liegt in der Verknüpfung".

 

Im 18. Jahrhundert vertraten die mechanistische Auffassung unter anderem die Ärzte Hermann Boerhaave und Friedrich Hoffmann, die Philosophen Wolff, La Mettrie, Condillac und Holbach, sowie die Kameralisten und Physiokraten.

 

Systembetrachtung findet sich auch bei Abbé Morelly (1755) und Jeremy Bentham (1789).

 

Die vom Mülhausener Johann Heinrich Lambert um 1780 entwickelte erste echte Systemtheorie blieb Fragment und wurde erst im Nachlass veröffentlicht ("Systematologie", 1887). Sie hatte wohl deshalb keinerlei Folgewirkung, obwohl sie verblüffend modern ist.

 

Neben den zahlreichen Systemen der Philosophie verdienen auch die klassifikatorischen Systeme der Biologie seit 1735 (Linné, Lamarck, Cuvier, de Candolle und Haeckel) und der Chemie seit 1775 (Lavoisier, Dalton, Berzelius, Döbereiner, Meyer und Mendelejeff) Beachtung.

 

Grundsätzlich zu beachten ist, dass sich in der Systembetrachtung Maschinen- oder Mechanismustheorien (z. B. La Mettrie und die Kameralisten), Ganzheits- (Herder, Goethe) und Organismustheorien (Spencer, Schäffle) sowie echte Ansätze von Systemtheorien (unter den Stichworten Kreislauf, Harmonie, Gleichgewicht, Regulation, Funktion) wechselseitig ablösen, bekämpfen und befruchten.

 

1800-1900

 

Systembetrachtung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts praktizierten die Ökonomen Say, Ricardo und Owen, Sismondi und St. Simon, Fourier, Blanc und Bastiat, von Thünen und List. Universelle Gestalten waren John Stuart Mill und Karl Marx.

 

Die Romantiker und Auguste Comte verglichen die Gesellschaft mit einem Organismus. Herbert Spencer baute diese Auffassung systematisch aus, und Albert Schäffle betitelte 1875 sein Buch mit "Bau und Leben des sozialen Körpers".

 

In der Sprachwissenschaft lösten sich in den 1850er Jahren Heymann Steinthal und Karl Wilhelm Ludwig Heyse von den Organismustheorien Wilhelm von Humboldts und Karl Ferdinand Beckers.

Eine Systemtheorie - mit System-C und System-R - entwickelte in Zürich der Philosoph Richard Avenarius ("Kritik der reinen Erfahrung", 1888, I, 35-39).

 

Ein "Système analysateur" führte Frédéric Paulhan zur selben Zeit in Psychologie und Medizin ein ("Analystes et esprits synthétiques", 1902).

 

1900-1939

 

Nach 1900 brachte Othmar Spann die Ganzheitsbetrachtung in die Volkswirtschaft ein (z. B. "Gesellschaftslehre", 1914) und Friedrich von Wieser entwickelte die "Theorie der gesellschaftlichen Wirtschaft" (1914). Der schwedische Nationalökonom Gustav Cassel stellte sein System in seinem Lehrbuch "Theoretische Sozialökonomie" (1918) vor.

 

Systemansätze in der Soziologie finden sich bei Emile Durkheim und Georg Simmel. Vilfredo Pareto (1916) definierte als einer der ersten ausführlich das "Soziale System" durch Elemente, Gleichgewichtszustand, Ordnung und interdependente Zyklen.

 

Der Ahnherr des modernen Strukturalismus, der Genfer Ferdinand de Saussure, hat den Begriff „Struktur“ gar nie verwendet, sondern stets von „System“ gesprochen. An seine Auffassung der Sprache als Zeichensystem sowie an die Kulturanthropologen Bronislaw Malinowski und Alfred Reginald Radcliffe-Brown (Funktionalismus der 20er Jahre) knüpfte der Strukturalismus von Claude Lévi-Strauss und die strukturell-funktionale Analyse von Robert King Merton und Talcott Parsons an.

 

Die Umweltlehre fand ihre Fortsetzung im "Gestaltkreis" Viktor von Weizsäckers (1927/1940), in der "Geopsyche" Willy Hellpachs (1923) sowie im sozialen Behaviorismus George Herbert Meads (ab 1922), insbesondere in seiner Rollentheorie (und Interaktionslehre).

 

Bereits in seiner "Traumdeutung" (1900) sprach Sigmund Freud von psychischen Systemen; die Gestalt- und später die Struktur- und Komplex- oder Ganzheitspsychologie verfolgten systemorientierte Ansätze (Struktur stand stets für System). Der deutsche Neurologe Kurt Goldstein begründete mit seinem "Aufbau des Organismus" 1934 eine ganzheitlich-organismische Theorie.

In der Psychologie stellte Jacob Levy Moreno sein Soziogramm vor und Kurt Lewin seine Feldtheorie.

 

1940-1950

 

Für die Entwicklung des Systemdenkens waren die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts die wichtigste Zeit. Wichtige Triebkräfte waren in der ersten Hälfte der Krieg, der fast die ganze Welt in Mitleidenschaft zog, in der zweiten Hälfte der langsame Wiederaufbau.

 

Die Deutschen entwickelten unter anderem Düsenflugzeuge und Raketentechnik, die USA elektronische Rechenmaschinen und Transistor. Helikopter bauten beide; ihnen folgten Frankreich und England. Ein militärischer Grossauftrag 1948 zur Herstellung von Rotorblättern brachte John T. Parsons in seiner Fabrik in Michigan zur Erfindung von NC (numerical control).

Methodologisch weitreichend waren Systemanalyse und Operations Research (bei den Engländern: Operational Research), Entscheidungs- und Spieltheorie, Informationstheorie und Massenkommunikationsforschung - fast alle in den USA entwickelt.

 

Zentrale Einzelperson war der Mathematiker Norbert Wiener von Massachusetts Institute of Technology (MIT), der interdisziplinäre Zusammenarbeit vermittelte. Beteiligt waren etwa die Physiologen Arturo Rosenblueth, Warren S. McCulloch und Jerome J. Lettvin, der Physiker Manuel Sandoval Vallarta, die Mathematiker Ronald Aylmer Fisher, Walter H. Pitts, John von Neumann, Claude Shannon und Warren Weaver, die auch mit dem Nachrichtentechniker Julian H. Bigelow, dem Elektroingenieur Yuk-Wing Lee und dem Rechenmaschinenspezialisten Vannevar Bush in Verbindung standen. Darüber gibt Wiener in der Einführung zu seiner Schrift "Cybernetics" (1948; dt. erst 1963) einen farbigen Bericht.

Im Jahr darauf bezeichnet er in seinem Buch «The Human Use of Human Beings» (1950; dt. 1952) die 1940er Jahre als " zweite industrielle Revolution" und malte das Bild eines "noch vollständiger automatisierten Zeitalters", mit programmgesteuerten, ja lernenden Maschinen für industrielle Prozesse (z. B. in einer «Automobilfabrik der Zukunft») und Massenproduktion von Hochgeschwindigkeitsrechenmaschinen.

 

Einen Markstein der philosophischen Anthropologie setzte 1940 Arnold Gehlen mit seinem Werk "Der Mensch", in dem er den Prozess der Kulturbildung auf biologischer Basis begründete und im Detail beschrieb.

Im selben Jahr publizierte Nicolai Hartmanns seinen umfangreichen "Aufbau der realen Welt"; zwei Jahre später gab er mit seiner kleinen Schrift "Neue Wege der Ontologie" eine Einführung in sein gesamtes System.

1941 publizierte der ungarische Psychologe Andras Angyal seine Grundlagen für eine ganzheitliche Persönlichkeitstheorie: "Foundations for a science of personality".

 

1945 erschienen die Schrift von Thure von Uexküll und Ernesto Grassi: "Wirklichkeit als Geheimnis und Auftrag - Die Exaktheit der Naturwissenschaften und die philosophische Erfahrung" und  Ludwig von Bertalanffys grundlegender Aufsatz "Zu einer allgemeinen Systemlehre" in den "Blättern für deutsche Philosophie".

 

 

 

II. Idee und Praxis der Regulation

siehe auch: Kleine Begriffschronik: Selbstorganisation, -regulation, Autopoiesis

 

II. 1. Regulation in der Technik

 

Frühe Werke

 

Die ersten Ideen zur Regelung finden sich bei Leonardo da Vinci. Sein Entwurf zur Mechanisierung des Feilenhauens wurde jedoch erst mit der Wiederentdeckung seiner technischen Handschriften zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt. Auch eine automatische Spinnmaschine, primitive Dampfturbinen und Dampfkanonen werden ihm zugeschrieben. Auch einen Bratspiess mit "selbstregelnder Eigenschaft" hat er konstruiert: "Wenn die Flamme schärfer brennt, dreht sich der Braten automatisch schneller" (Otto Kraemer, Karlsruhe, 1964).

Bald darauf bauten geniale Feinmechanikern in Augsburg und Nürnberg kleine Apparate und Automaten. Um 1525 konstruierte Hans Bullmann den ersten Androiden, 1589 Hans Schlottheim eine mechanische Weihnachtskrippe.

 

Seit etwa 1580 nahmen mit den mechanischen Werk- und Forschungsstätten - z. B. bei Stevin, Galilei und Gilbert - auch die chemischen und medizinischen Laboratorien einen Aufschwung.

 

1600-1800

 

Seit etwa 1600 gibt es neue Bemühungen um Regulierungen in technischer wie theoretischer Hinsicht.

Der holländische Tausendsassa Cornelius Drebbel baute den ersten alchemistischen Ofen mit automatischer Temperaturregelung (1610). Der französische Ingenieur Salomon de Caus stellte um die selbe Zeit (1613-20) im Garten des Heidelberger Schlosses Szenen mit beweglichen Figuren auf. Sie wurden durch Wasserräder angetrieben; die Bewegungen der Figuren wurden durch "Programme", d. h. Trommeln mit Nocken, ausgelöst.

 

Die Regulierung der Uhr wurde durch die Erfindung und Verbesserung der Pendeluhr (Galileo Galilei, Christian Huygens) wesentlich vorangetrieben.

 

Die Entwicklung der Rechenmaschinen erstreckt sich über drei Jahrhunderte, von den Philosophen und Mathematikern Napier, Schickard, Pascal und Leibniz (17. Jh.) über Johannes Polenius, Matthäus Hahn und Johann Helferich Müller (18. Jh.) bis zu Babbage, Boole und Hollerith (19. Jh.).

 

Um 1650 experimentierte in Rom der Naturforscher Athanasius Kircher unter anderem mit Regulationsvorgängen und baute verschiedene Automaten, auch Gartenszenen wie de Caus. Dreissig Jahre später entwickelte Denis Papin seinen Dampfkochtopf mit dem Überdruckventil; er verwendete ein solches Ventil 1707 auch für seine Dampfmaschine.

 

Im grösseren Stil wurde die Regulierung aber erst in 18. Jahrhundert vorangetrieben, man denke etwa an die Automaten des Franzosen Jacques Vaucanson und der Schweizer Pierre und Henri-Louis Jaquet-Droz oder an die Verbesserung der mechanischen Spinnmaschinen und Webstühle bis zur Lochkartensteuerung von Joseph-Marie Jacquard (1801) sowie an die Verbesserung der Thermostaten (Inkubatoren) durch Réaumur und Bonnemain.

Wichtige Errungenschaften sind auch die Selbstregulationsapparaturen bei den holländischen Windmühlen, Watts Fliehkraftregler (1786), der "Kornschüttler" (beschrieben in der "Encyclopédie",1751-1772) oder die automatische Getreidemühle mit Fliessband, welche Oliver Evans (1784) für Thomas Ellicott baute.

 

1800-1900

 

Erwähnenswert sind im 19. Jahrhundert die automatische Schiffszwiebackfabrik des britischen Marineversorgungsamts (1833), die ersten Fliessbänder in den Schlachthöfen von Chicago (1870), die Ruderbetätigung bei Schiffen mit Dampf oder Hydraulik (Joseph Farcot, seit 1859) sowie das "Gyroskop" von Jean Foucault (1852) und die Kreiselgeräte von Elmer A.Sperry (1896-1910).

 

Im Druckereigewerbe gab es die Zylinder-Schnelldruckpresse (Friedrich Koenig, 1812), die Rotationsmaschine (Hoe, 1846, Godchaux, 1860, Bullock, 1865) und die Zeilensetzmaschine (Ottmar Mergenthaler, 1884).

 

1900-1939

 

Fords Fliessband (1913) und Morris' Transferstrasse (1923) sowie die automatische Maschinenfertigung des Ford-Zulieferers A. O. Smith Corp. (1920) bilden weitere Merkpunkte.

Daneben entwickelten sich die Theorie der Servomechanismen (seit Harold Locke Hazen, 1934), Kontrolltheorie, Prozesssteuerung und nicht zuletzt Human Engineering.

 

Den ersten wissenschaftlichen Roboter baute 1938 der Amerikaner Thomas Ross. Es war eine kleine Maschine, die wie eine Maus, durch Versuch und Irrtum lernend, den Weg aus einem Irrgarten herausfand.

 

Der Wiener Bankangestellte Gustav Tauschek verbesserte in den 20er Jahren die Lochkartenmaschinen von IBM.

Ende der 20er Jahre entwarf Vannevar Bush am MIT den ersten "Differential Analyser", der ständig erweitert und verbessert wurde und jahrzehntelang Verwendung fand.

Ende der 30er Jahre begann Konrad Zuse in Berlin mit der Herstellung eines programmgesteuerten Rechenautomaten ("Z3"; vorgeführt 1941). Parallel dazu begannen Howard Hathaway Aiken an der Harvard University, unterstützt von IBM, mit der Entwicklung des "Automatic Sequence Controlled Calculators" (Mark I, fertiggestellt 1944), George Robert Stibitz in den Bell Telephone Laboratories mit derjenigen des "Complex Number Computers" (Model 1; 1940).

John Vincent Atanasoff baute ebenfalls, zusammen mit Clifford Berry, eine elektronische Rechenmaschine, doch gedieh sie nie über das Prototypenstadium hinaus (ABC; Atanasoff-Berry-Computer 1942). John William Mauchly besuchte Atanasoff 1941 für eine Woche.

 

1940-1950

 

1940 organisierte in Deutschland Hermann Schmidt ein Symposium von Technikern und Biologen an der TU Berlin zum Thema "Regelung als Grundproblem der Technik wie der Physiologie".

 

Kurz darauf erfolgte die Entwicklung von Kybernetik (Norbert Wiener), Stabilitäts- und Anpassungstheorie (W. Ross Ashby).

Norbert Wiener schrieb 1948: "Wenn ich nach Betrachtung der Wissenschaftsgeschichte einen Schutzpatron für die Kybernetik zu wählen hätte, so würde ich Leibniz nenne. Die Philosophie Leibniz' kreist um zwei engverwandte Begriffe - den einer universellen Symbolik und den eines Kalküls der Vernunft. Von ihnen sind die mathematischen Bezeichnungen und die symbolische Logik der heutigen Zeit hergeleitet."

 

Wiener pflegte seit 1940 mit zahlreichen Forschern, Technikern und Mathematikern eine enge Zusammenarbeit, unter anderem auch mit Vannevar Busch, der mit seinen Mitarbeitern Jay W. Forrester und Gordon S. Brown an einer Weiterentwicklung des "Differential Analyzer", einer elektro-mechanischen Integrieranlage, arbeitete.

Le Roy Archibald Mac Coll (1945) sowie Gordon S. Brown und Donald P. Campbell (1948) beschrieben die Theorie der "Servomechanismen".

 

Bereits 1944 berichteten in Deutschland Rudolf C. Oldenbourg und Hans Sartorius über die "Dynamik selbsttätiger Regelungen".

 

1943 konnte der Mathematiker Herman H. Goldstine von den Ballistic Research Laboratories der Army Ordnance den Physiker und Elektroingenieur John William Mauchly von der Universität von Pennsylvania und seinen Assistenten John Presper Eckert für die Entwicklung eines elektronischen Rechners gewinnen: Der ENIAC (Electrical Numeric Integrator and Computer) wurde 1946 in Betrieb genommen und tat seine Dienste fast 10 Jahre lang. Sofort begannen Mauchly und Eckert mit dem UNIVAC-System, doch erst fünf Jahre später konnten sie den ersten Computer ausliefern.

 

Eines der ersten Bücher über die neuen Maschinen stammt von Edmund C. Berkeley: "Giant Brains or Machines that Think" (1949). Er gab auch 1950 die erste Zeitschrift für Computer und Automation heraus. Von Jay W. Forrester stammt die Formel: "Digital Computers As Information Processing Systems" (1950).

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden elektronischen Schildkröten gebastelt. Legendär wurden "Elmer" und Elsie" des amerikanisch-englischen Gehirnforscher William Grey Walter (1948), der "Homöostat" des Engländers William Ross Ashby (1948) und die "machina labyrinthea" des Amerikaners R. A. Wallace (1952). Auch die sonst eher als Theoretiker der Kybernetik und Nachrichtentechnik bekannten Norbert Wiener (mit seinem Assistenten Jerome Wiesner), Claude Shannon, Heinz Zemanek und Albert Ducrocq konstruierten zu dieser Zeit einfache kybernetische Tierchen.

 

Die Bildung des Begriffs "automation" wird Delmar S .Harder, dem für die Produktion verantwortlichen Vizepräsidenten der Ford-Motor-Company (je nach Quelle: 1935 oder 1947) zugeschrieben. Er beschrieb damit zweckmässige Behandlungsverfahren von Werkstücken zur Vermeidung von Verzögerungen durch Handgriffe.

 

Seit 1942 hatte die Josiah Macy, Jr. Foundation interdisziplinäre Symposien in New York unterstützt. Seit 1946 wurden sie von Warren S. McCulloch geleitet; die erste trug den Titel: "Feedback Mechanisms and Circular Causal Systems in Biological and Social Systems".

Von 1949-55 gab Heinz von Foerster im Auftrag der Macy Foundation fünf Bände dieser nun unter dem Haupttitel "Cybernetics" jährlich durchgeführten Konferenzen heraus.

 

 

II. 2. Regulation in der Volkswirtschaft

 

1600-1800

 

In der Ökonomie lassen sich parallele Entwicklungen beobachten. Bereit um 1610 versuchte der Finanzminister von Heinrich IV., Maximilien de Béthune, Duc de Sully, die französischen Staatsfinanzen im Gleichgewicht zu halten. Dem Aussenhandelsgleichgewicht galten Traktate von Thomas Mun (1621/23) und die Kontroverse von Gerard de Malynes mit Edward Misselden (1622/23).

 

Seit Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Ökonomie zunehmend zu einer Lehre vom Markt, dessen "Gesetze" sie nach dem Vorbild der Naturwissenschaften zu erforschen trachtete. Dazu trat die Lehre vom Geld als Zirkulationsmittel (William Petty, 1676; Dudley North, 1691; J. H. G. Justi, 1755).

Um 1690 entwickelte sich in England (Nicholas Barbon, John Locke) die Idee der Regulation von Angebot und Nachfrage. Im 18. Jahrhundert befassten sich die Theroetiker mit der Regulierung der Volkswirtschaft, z. B. Isaac Gervaise und Jacob Vanderlint. David Hume beschrieb 1752 zum ersten mal einen logisch vollständigen und konsistenten wirtschaftlichen Regelkreis (siehe Peter Krausser: "Humes Problem in kybernetischer Perspektive", Philos. Nat. 7, 1961/62, 451-474).

 

François Quesnay beschrieb den Geldkreislauf (1758), Anne Robert Jacques Turgot den Güterkreislauf (1766) und Adam Smith, ein Freund von James Watt, die Selbstoptimierung oder Autoregulation der Volkswirtschaft (1776).

 

1800-1949

 

Der Funktionalist Antoine-Augustin Cournot (1838) gilt als Vater der mathematischen Wirtschaftstheorie.

 

Laut Jörg Baetge finden sich Kreislaufmodelle  im 18. Jahrhundert bei Ricardo und Karl Marx , im 20. Jahrhundert bei Cassel und Keynes. Ferner befassten sich Ragnar Frisch mit volkswirtschaftlichen Regelkreisen (1933) und Oskar Morgenstern mit dem wirtschaftlichen Gleichgewicht (1935).

 

1941 stellte Wassily W. Leontief die Input-Output-Analyse vor.

 

 

II. 3. Regulation in der Politik

 

1600-1800

 

Die Schrift "Mare liberum" (1609) des Holländers Hugo Grotius ist die erste zum internationalen Recht. Der selbe Gelehrte begründete mit der Schrift "De iure belli et pacis" (1625) nicht nur das moderne Völkerrecht - nach Vorarbeiten von Francisco de Vitoria (1539), Albericus Gentilis (1585) und Francisco Suarez (1612) -, sondern auch eine neue Eigentumstheorie und die moderne Vertragstheorie.

 

Letztere wurde von Thomas Hobbes (1651) und hundert Jahre später vom Schweizer Jean-Jacques Rousseau erweitert (1762).

 

1623 schlug der französische Mönch Emeric Crucé (Lacroix) in seiner Schrift "Le Nouveau Cyneée" die Bildung einer Weltorganisation vor, die auch alle Völker der afrikanischen und asiatischen Stämme umfassen sollte.

 

Auch für die Politik war der Finanzminister von Heinrich IV., Duc de Sully, massgebend. Sein Plan eines "grand dessein" der europäischen Politik, den er in seinen Memoiren (1638) beschrieb, bestand allerdings nur in der Phantasie. Weitere Ideen in dieser Richtung entwickelten William Penn (1693) und Abbé de Saint-Pierre (1712-14) sowie hundert Jahre später Jeremy Bentham (1789), Immanuel Kant (1795), Karl Christian Friedrich Krause (1814) und Claude-Henri de Saint-Simon (1814).

 

Im englischen Schicksalsjahr 1689 brechen sich gerade zwei wichtige politische Idee die Bahn:

  • die Gewaltenteilung beim Philosophen John Locke und
  • die Idee der "Balance of Power", d. h. die Erhaltung eines europäischen Gleichgewichts beim frisch gewählten König Wilhelm III. von Oranien.

100 Jahre später verfochten in Nordamerika die Federalists das System von "Checks an Balances".

 

Im Frieden von Utrecht (1713) erfolgte der Ausgleich der Gegensätze durch "Konvenienz", d. h. Übereinkunft der Kabinette.

 

Die Idee der Gewaltenteilung wurde durch den französischen Philosophen Montesquieu (1748), den Schweizer Juristen Jean-Jacques Burlamaqui (1748) und den deutsche Kameralwissenschafter Johann Heinrich Gottlob von Justi verfeinert. Burlamaqui war auch der erste, der die Formel "balance of power" für den innenpolitischen Bereich verwendete.

 

Der "balance of Power" widmete auch der Schotte David Hume (1742) einen Essay. Beim irischen Schriftsteller und Politiker Edmund Burke (um 1775) lassen sich ebenfalls zahlreiche Gleichgewichtsvorstellungen finden.

 

Kurz vor Quesnay verglich J. H. G. Justi den Kreislauf der Einnahmen und Ausgaben des Staates mit dem Blutkreislauf des menschlichen Körpers (1755) und den Staat mit einer Maschine (1764).

 

  1800-1900

 

Der Soziologe Auguste Comte (1830) sah die Gesellschaft als System politischer Kontrollen. Gemäss dem Soziologen Herbert Spencer (1862) ist die Gesellschaft nach ökonomischen Erfordernissen geregelt und die gesellschaftlichen Funktionen nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage gesteuert.

 

1834 beschrieb der vielseitige Physiker André Marie Ampère die "Cybernétique "als Untersuchung der Verfahrensweisen beim Regieren.

Im deutschen Sprachbereich wurde daraus ein Begriff der Theologie. Carl Adolf Gerhard von Zezschwitz verwendete ihn 1778 für das "Regiment der Kirche". Theodor Harnack publizierte kurz darauf einen Beitrag in Otto Zöcklers "Handbuch der theologischen Wissenschaften" (Bd. 4, 1885, 531-571) unter dem Titel "Kybernetik".

 

Gegen Ende des Jahrhunderts tauchen auch die generellen Ideen der "sozialen Technik" oder Sozialtechnologie, "Technik des Regierens" und "gesellschaftlichen Planung" auf.

 

1900-1939

 

Nach dem Ersten Weltkrieg breiteten sich Technokratie und praktische Sozialtechnologie aus. Interventionismus wurde dem "laissez-faire" gegenübergestellt.

 

1940-1950

 

1941 Beschrieb George Kingslely Zipf "National Unity and Disunity", 1947 Nicolas Rashevsky in seiner "Mathematical Theory of Human Relations" nicht nur soziale Gruppen, sondern auch die "Wechselwirkung von Nationen".

 

1944 beschrieb Karl Raymund Popper das Gegenteil der Systembetrachtung, nämlich die Realität des politischen (und wirtschaftlichen) Alltags, das "piecemeal engineering".

 

Eine wichtige Untersuchung lieferten der Psychologe Harold Dwight Lasswell und der Philosoph Abraham 1950 mit "Power and Society".

 

 

II. 4. Regulation in der Biologie und Medizin

 

1600-1800

 

Um 1616 entdeckte der Arzt William Harvey den Blutkreislauf, doch er veröffentlichte seine Forschungsergebnisse erst 12 Jahre später, und erst fast ein halbes Jahrhundert später baute der deutsche Arzt Salomon Reisel ein erstes hydrostatische Modell davon ("Statua humana circulatoria", 1674).

Physiologische Selbstregulationsphänomene entdeckte und beschrieb der Berner Arzt, Botaniker und Dichter Albrecht von Haller (1757-1766), die Regulationsvorgänge in einer Population die Pfarrer Johann Peter Süssmilch (1741) und Thomas Malthus (1798).

 

Nach Immanuel Kant ("Kritik der Urteilskraft", 1790, § 65) ist ein Kennzeichen der Natur die Selbstorganisation. Die Natur "organisiert sich ... selbst und in jeder Spezies ihrer organisierten Produkte, zwar nach einerlei Exemplar im Ganzen, aber doch auch mit schicklichen Abweichungen, die die Selbsterhaltung nach den Umständen erfordert".

 

1800-1900

 

Der Begriff der Homöostase und die organismische Auffassung gehen auf Claude Bernard ("fixite du milieu interne") zurück, der in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts bahnbrechende Forschungen auf dem Gebiet der Physiologie unternahm.

Carl Ludwig entwarf 1878 ein hydraulisches Modell der Blutzirkulation, und der Basler Friedrich Miescher befasste sich 1885 mit der Wärmeregulation.

 

1900-1939

 

Organische Regulationsvorgänge untersuchten in der Biologie Hans Driesch und Wilhelm Roux, und den Organismus ausdrücklich als System betrachteten der Arzt und Erkenntnistheoretiker Berthold Kern (1909) und der Philosoph Nicolai Hartmann (1912).

 

Hatte schon 1866 Ernst Haeckel den Begriff Ökologie geprägt und in den 1890er Jahren der Waadtländer François-Alphonse  Forel "Lebensgemeinschaften" von Organismen im Genfersee untersucht, so entwickelte 1909 Jakob von Uexküll seine Umweltlehre. Der britische Botaniker Arthur George Tansley gründete 1913 die "British Ecological Society" und redigierte 21 Jahre deren "Journal of Ecology".

 

Im 20. Jahrhundert wurden die Gedanken von Claude Bernard aufgenommen von Walter Bradford Cannon (1915-32), William Emerson Ritter ("The Organismal Conception of Life", 1919) und Alfred James Lotka ("Elements of Physical Biology", 1925). Steuerungsprobleme im Organismus untersuchten und beschrieben der Biochemiker Lawrence Joseph Henderson ("The Fitness of the Environment", 1913), ein Freund von Henderson, sowie die Ärzte Karl Spiro (1924), Curt Adam und Ferdinand Hoff, spezifische Regelungsvorgänge Richard Wagner (1925), Eberhard Koch und Otto Friedrich Ranke sowie die Schweizer Walter Rudolf Hess (1930) und Alexander von Muralt.

Lotkas mathematische Biophysik wurde fortgesetzt von Vito Volterra, Vladimir A. Kostitzin und Nicolas Rashevsky.

 

Der Wiener Gelehrte Ludwig von Bertalanffy entwickelte in den 1930er Jahren ebenfalls eine organismische Biologie. In seinem programmatischen Werk  "Theoretische Biologie" (1932) wies er auch auf Parallelen mit seiner Auffassung bei Bernhard Bavink, H. Lassen, F. Gessner H. Zimmermann, J. Needham,  John Henry Woodger ("Biological Principles", 1929) und H. Jordan hin.

 

1920 wandte der durch seine Schimpansenversuche bekannt gewordene Wolfgang Köhler die Gestalt-Theorie auf Erscheinungen im Bereich der Physik an und befasste sich bald darauf mit dem allgemeinen "Problem der Regulation" (1927).

 

1940-1950

 

1943 eröffneten die Untersuchung von Warren S. McCulloch und Walter H. Pitts über das Nervensystem sowie von Arturo Rosenblueth, Norbert Wiener und Julian H. Bigelow über das zielorientierte Verhalten von Lebewesen einen ganzen Reigen von Veröffentlichungen in diesem Bereich.

 

Obwohl der Mediziner und Psychiater W. Ross Ashby seit 1930 zahlreiche Artikel publiziert hatte, wurde er erst in den 1950er Jahren bekannt.

 

"Human Engineering" oder Ergonomie verfolgte zwei entgegengesetzte Ziele: "die Maschinen, an denen ein Mensch arbeitet, oder in denen er sich fortbewegt, für ihn geeigneter zu bauen (Nigel Calder in "Technopolis", 1971) oder den Menschen an die Erfordernisse beispielsweise der Weltraumfahrt anzupassen. Robert Jungk berichtete schon 1952 in seinem dokumentarischen Buch "Die Zukunft hat schon begonnen" über die Versuche, welche die Weltraummedizin seit 1947 an der Luftuniversität Randolph Field bei San Antonio (Texas) unternahm. Hier gab es auch die erste Abteilung für Biometrie.

 

 

III. Thermodynamik und Mathematik

 

1600-1800

 

Der Arzt Santorio Santorio gab durch seine Beobachtungen und Experimente bald nach 1600 einen ersten Anstoss zum Studium des (biologischen) Stoffwechsels und der Körperwärme.

Seit etwa 1650 experimentierten Ingenieure und Gelehrte mit Kraft- und Dampfmaschinen, darunter Denis Papin und sein zeitweiliger Assistent Christian Huygens.

Thomas Newcomens erste atmosphärische Dampfmaschine wurde nach vielen Jahren Versuchsarbeit 1712 gebaut.

Kurz darauf publizierte der Schweizer Mathematiker Jacob Hermann seine "Phoronomia", welche in mathematischer Form dynamische Probleme behandelte. Sein Landsmann Daniel Bernoulli begründete bald darauf (1738) die statistische Behandlung der kinetischen Theorie.

Neue Thesen über die Wärme publizierte der russische Chemiker und Schriftsteller Michail Wassiljewitsch Lomonossow 1744-1760. 1784 beschreiben Laplace und Lavoisier zusammen den gegenwärtigen Stand der Wärmelehre.

 

Die Reparatur eines Modells von Newcomen durch James Watt 1763/64 führte zum Siegeszug der Dampfmaschinen.

 

1800-1900

 

Von grosser Bedeutung für die Systemtheorie sind im 19. Jahrhundert die Entdeckungen und Erkenntnisse

  • der Thermodynamik (Sadi Carnot, 1824; Julius Robert Mayer: Energieerhaltung, 1842; William Thomson, 1850; Rudolf Clausius: Entropiebegriff, 1865; Ludwig Boltzmann: Wahrscheinlichkeitsbetrachtung, 1871),
  • der Mathematik und Geometrie (nach Lagrange und Laplace vor allem Fourier, Hamilton, Boole, Riemann, Maxwell, Heaviside, Cantor, Ljapunow, Hilbert).

 

Insbesondere seit der Einführung der Mengenlehre durch Georg Cantor (1873) und Richard Dedekind (1887) hat sich in der Mathematik eine breite Ausfächerung ergeben, die sich in drei Zweige zusammenfassen lässt:

  • intuitionistische (resp. konstruktivistische) Ansätze und
  • formalistische (resp. axiomatizistische) unterscheiden sich deutlich voneinander sowie von den
  • logizistischen.

 

1900-1939

 

Die Zeit nach der Jahrhundertwende brachte die "statistische Mechanik" von Josiah Willard Gibbs (1902) und Carl Vilhelm Ludvig Charlier (1927). Norbert Wiener behauptet in seiner Biographie, er habe etwa Mitte der zwanziger Jahre die Operatorenrechnung als harmonische Analyse eingeführt. Seit Alan Mathison Turings Aufsatz "On Computable Numbers" (1936) spricht man von einer Turing-Maschine.

 

Mit dem Namen "Nicolas Bourbaki" verbindet sich schliesslich eine ganze axiomatische Strukturtheorie.

 

Als weitere mathematische Vorläufer und Hilfsmittel der Systembetrachtung nennt Ludwig von Bertalanffy einerseits die Faktorenanalyse (Charles Edward Spearman, 1904, Felix Krueger, Louis Leon Thurstone, Joy Paul Guilford, etc.), anderseits die Graphentheorie (Dénes König, 1936) und Netzwerktheorie, die er beide unter Topologie (seit Felix Hausdorff und Luitzen Brouwer) subsumiert.

 

Seit 1929 wurde die Thermodynamik offener Systeme resp. irreversibler Prozesse  vorangetrieben: Leo Szilard, Raymond Defay, Archibald Vivian Hill, Lars Onsager, die "Brüsseler Schule". 1939 gab Alan Chadburn Burton eine Reihe von Prinzipien der Kinetik offener System an.

 

1940-1949

 

Die Auseinandersetzung um den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, die in den vierziger Jahren vor allem von Ilya Prigogine und Sybren Ruurds de Groot weitergeführt wurde, hat Bertalanffy  in seine "Theorie der offenen Systeme" aufgenommen.

 

 

IV. Nachrichten- und Elektrotechnik

 

1600-1800

 

Bereits 1620 entwickelte der Mathematiker Daniel Schwenter die Idee eines elektrischen Telegraphen (in seiner "Steganologia" oder in seinen "Deliciae", 1636), doch dauerte es über 150 Jahre bis dem Genfer Gelehrten George-Louis Lesage eine elektrische Zeichenübertragung gelang (1774).

Optische Telegraphen wurden von Robert Hooke (1684) und Guillaume Amonton (1690) und hundert Jahre später von Dupuis-Fortin (1788) und Claude Chappe (1792) entwickelt.

 

1800-1900

 

Für die praktische Entwicklung waren die Erfindungen des italienischen Physikers Alessandro Volta (um 1800) wegweisend. Es folgten der Elektromotor (1834) und der Dynamo (1866), in der Nachrichtentechnik Telegraph (1837) und Telephon (1876), die ersten Versuche mit dem Telephon-Selbstwählbetrieb in den USA (A. B. Strowger,1889) und die Funktelegraphie (1890er Jahre).

 

Für die theoretischen Entwicklungen im Bereich der Elektrotechnik sei auf die Arbeiten des Mathematikers und Physikers Fourier, von Ohm und Faraday, Kirchhoff, Maxwell, Heaviside, Hertz und Lorentz hingewiesen.

 

Thomas Alva Edisons Realisierung der Energieversorgung für die Stadt New York (1882) kann als erstes Beispiel angewandter Systemanalyse oder von Systems Engineering gelten.

 

1900-1939

 

Nachdem kurz nach der Jahrhundertwende Löschfunken- und Lichtbogensender in Betrieb genommen worden waren, erfanden Lee de Forest und Robert von Lieben (1906) die Elektronenröhre  und bald darauf mehrere Forscher unabhängig voneinander das Rückkopplungsprinzip (1913).

Weiterentwicklungen brachten in den zwanziger und dreissiger Jahren vor allem die Netzwerksynthese (Ronald Martin Foster, Karl Küpfmüller, Harry Nyquist, Yuk-Wing Lee, Sidney Darlington).

 

.Eines der ersten Grossprojekte war der Einsatz des Radars im Zweiten Weltkrieg.

 

1940-1950

 

Eine der wichtigsten Entwicklungen im Zweiten Weltkrieg war das Radar der Engländer. Die Funknavigation wurde von England (OBOE, Gee) und den USA (LORAN, Decca) parallel vorangetrieben.

 

1940 berichtete Adolf Leonhard - der 1936 an der Universität Stuttgart das Institut für Elektrische Maschinen gegründet hatte - über die "selbsttätige Regelung in der Elektrotechnik". Karl Küpfmüller stellte seine Vorlesungen, die er 1937-43 an der TH Berlin gehalten hatte, in erweiterter Form 1949als "Systemtheorie der elektrischen Nachrichtenübertragung" zusammen.

 

Der amerikanische Mathematiker und Elektroingenieur Claude Shannon legte zusammen mit dem mathematische Physiker Warren Weaver eine mathematische Fassung der "Informationstheorie" (1948) vor. Sie konnten dabei auf Vorarbeiten des Bio-Statistikers Ronald Aylmer Fisher (1921) und des Elektroingenieurs Ralph Vinton Lyon Hartley (1928) zurückgreifen. 1950 fand in London das erste Symposium über Informationstheorie statt.

 

Aus eher philosophischer und soziologischer Sicht analysierte Harold Dwight Lasswell, der von 1938-1970 an der Universität Yale Jus und Politische Wissenschaften lehrte, "The structure and function of communication in society" (1948) und berichtete der Lernpsychologe Carl Iver Hovland über die "Experiments in mass communication" (1949), die er mit seinem Team von Soziologen von Yale an amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg durchgeführt hatte.

Weitere wichtige Untersuchungen zur Massenkommunikation legten unter anderem vor: Hadley Cantril (1940), Robert King Merton (1946), Paul F. Lazarsfeld (1940, 1944, 1948) und mit Frank Nicholas Stanton (1940ff), Bernard Berelson (1941ff), Leo Lowenthal und Norbert Guterman (1948), Morris Janowitz (1948), Wilbur Schramm (1949) und Joseph T. Klapper (1949).

 

 

V. Forschungslogik und Vorgehensmethodik

 

1300-1800

 

Die "ars combinatoria", "ars magna" oder "scientia generalis" des spanischen Scholastiker Raymundus Lullus (um 1300) regte Leibniz fast 400 Jahre später zur Entwicklung einer "characteristica universalis", einer Art Begriffsschrift oder symbolische Logik, die zusammen mit der Mathematik und Mechanik die "Mathesis universalis" ergibt.

 

Kurz nach 1600 begründete Francis Bacon die wissenschaftliche Methode, den Empirismus.

 

1800-1900

 

Für die Methodik und Forschungslogik im 19. Jahrhundert sind die induktive Logik (John Stuart Mill, 1843), die Denkökonomie (Richard Avenarius, Ernst Mach), der Pragmatismus (William James) und die Verhaltenforschung (inklusive Lernforschung; Edward Lee Thorndike, 1898) bedeutsam.

 

1900-1939

 

Die Zeit nach der Jahrhundertwende brachte einerseits die Denkpsychologie (Oswald Külpe, "Würzburger Schule") und den Behaviorismus James Broadus Watsons (der auf den Funktionalismus James Rowland Angells und die Pragmatisten zurückgreifen konnte) und William McDougalls, anderseits das Taylorsystem, die Arbeitsstudien des Ehepaars Gilbreth und die "Allgemeinen Prinzipien der Betriebsführung" (1916) Henri Fayols.

Hugo Münsterberg verwandte in den USA in seiner "Psychotechnik" (1914) ebenfalls funktionalistisches und pragmatisches Gedankengut (vgl. auch "Psychology and Industrial Efficiency", 1913).

 

Weiterentwicklungen brachten in den zwanziger und dreissiger Jahren auf der einen Seite die "Human Relations"-Bewegung sowie die Managementtheorien von Oliver Sheldon (1923) und Chester Barnard (1938), auf der andern Seite

  • der Operationalismus (Percy W. Bridgman, 1927, Stanley S. Stevens, 1935 und Egon Brunswik) und
  • der daran anknüpfende Operativismus Hugo Dinglers und Eduard Mays,
  • die Transaktionsanalyse der Neo-Pragmatisten James Dewey und Arthur Fisher Bentley und
  • die Forschungslogik Karl Raymund Poppers (1935).

 

Von nicht zu unterschätzendem Einfluss sind schliesslich die Verhaltens-, insbesondere Lernforschungen von Edward Chace Tolmann, Clark Leonard Hull, Edwin Ray Guthrie, Edwin Bissell Holt und Burrhus Frederic Skinner.

 

1940-1950

 

Im Zweiten Weltkrieg wurden neue Ansätze in der Entscheidungstheorie und Spieltheorie entwickelt. Ferner bildeten sich "Operations Research" und Systemanalyse heraus.

 

Der amerikanische Ökonom Herbert Alexander Simon widmete sich lange Zeit dem Entscheidungsverhalten in Organisationen (1943-47). Weitere Begründer der Entscheidungstheorie sind seit 1945 William Spencer Vickrey; Louis Leon Thurstone und Abraham Wald.

Der ungarische Mathematiker John von Neumann und der deutsche Ökonom Oskar Morgenstern steuerten die Spieltheorie (1944) bei. Neumann konnte dabei auf eine eigene Arbeit aus dem Jahre 1928. zurückgreifen.

Der ungarische Mathematiker George Pólya instruierte das Lösen mathematischer Probleme (1945).

 

Der amerikanische Physiker Philip McCord Morse lehrte von 1931-1969 am MIT und leitete nach dem Kriegseintritt der USA die ersten "Operations Research"-Projekte für die Navy. Seine Erfahrungen fasste er 1951 zusammen.

Die wesentliche Pionierarbeiten auf dem Gebiet der "Systems analysis" wurden laut Helmut Krauch (1972) an folgenden Orten geleistet:

  • in den Bell Telephone Laboratories (George R. Stibitz; Claude Shannons Schaltalgebra; Shockleys Transistor),
  • in der RAND-Corporation (das erste Projekt startete Ende 1945; 1948 wurde RAND eine Nonprofit-Organisation)
  • in der System Development Corporation (eine Abspaltung der RAND Corp. Mitte der 50er Jahre)
  • am MIT (Norbert Wiener, Jay W. Forrester)
  • an der University of Pennsylvania (ENIAC) und
  • am Case Insititute of Technology in Cleveland (Ohio) (C. West Churchman).

Auch die Harvard University (Howard Hathaway Aiken), das Institute for Advanced Studies in Princeton (John von Neumann) und die Labors von IBM und Burroughs, Western Electric und General Electric, RCA und AT&T wären zu erwähnen.

 

Die amerikanischen Betriebwirtschafter C. West Churchman und Russell Lincoln Ackoff berichteten 1950 erstmals darüber. Im Jahr darauf beschreib Norman Norton Barish "Systems Analysis for Effective Administration".

 

Seither kommen für die Problemlösung vor allem der reichhaltige Methodenapparat von Zukunftsforschung, Führungstechnik und Projektmanagement, Planung und Kontrolle dazu, ferner der Einsatz von Computern, sei es nun zur Errichtung von Datenbanken oder für die Prozesssteuerung, sei es zur Einrichtung von Management-Informationssystemen oder für die Durchführung von Simulationsexperimenten.

 

 

VI. Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie

 

1600-1800

 

Hier sind erneut Francis Bacon und René Descartes, Galileo Galilei und Isaac Newton sowie John Locke (Sensualismus) und George Berkeley (Instrumentalismus), aber auch Leibniz, Wolff und Kant zu nennen.

 

David Hume (1748) gilt als Begründer des Positivismus. Er setzte sich als einer der ersten mit dem Problem der Induktion auseinander. Ihm folgten Jean le Rond d'Alembert (1759) und Anne Robert Jacques Turgot.

 

1800-1900

 

Wichtig in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert sind einerseits Ludwig Feuerbach, anderseits St. Simon, Comte und John Stuart Mill. Aber auch Wilhelm von Humboldt und William Whewell (1840) sind zu beachten.

 

Ansätze der neueren Wissenschafts- und Erkenntnistheorie finden sich dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, z. B. beim Chemiker Justus Liebig ("Induktion und Deduktion", 1865), bei Charles Sanders Peirce, dem Begründer des Pragmatismus (1868), Gottlob Frege, dem Begründer der Logistik (1879) und Eugen Dührig, dem Begründer der "Wirklichkeitsphilosophie" (1895).

 

Ausgeprägte Modellansätze finden sich bei Ernst Mach, Heinrich Hertz und im Fiktionalismus Hans Vaihingers.

Monismus (Wilhelm Ostwald, Ernst Haeckel) und später Holismus entwickelten sich als Weltanschauungen zu zeitweise breiten (und populären) Bewegungen.

 

1900-1939

 

Die zweite Phase verbindet sich mit den Namen David Hilbert, Henri Poincaré und Pierre Duhem (Konventionalismus), Ernst Cassirer, Bertrand Russell und Alfred North Whitehead ("Principia Mathematica", 1910-13).

Es folgten Hermann Weyl, Edgar Arthur Singer Jr. und Ludwig Wittgenstein, dann Moritz Schlick, Rudolf Carnap und Otto Neurath (Stichworte: "Wiener Kreis", "Logischer Empirismus", "Neo-Positivismus", "Einheitswissenschaft"), Hans Reichenbach und Charles W. Morris ("Semiotik").

 

1939 erschien Arthur S. Eddingtons "Philosophy of physical science".

 

1940-1950

 

Einen deutlichen Aufschwung erfuhren alle diese Strömungen - z. T. unter dem Namen Analytische Philosophie - ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem was Wissenschaftsforschung selbst und Probleme der Interdisziplinarität anbelangt (hierbei hat bereits 1920 Wolfgang Köhler mit dem Isomorphiebegriff den Modellansatz auf eine interdisziplinäre Basis ausgeweitet).

Als einziger Name sei hier sonst nur der Genfer Jean Piaget genannt.

 

1949 erschien von Philipp Frank: "Modern science and its philosophy".

 

Fazit

 

Wie sich aus dieser skizzenhaften Aufzählung deutlich ergibt, lassen sich die einzelnen Bereiche meist nicht sehr streng trennen. So ist etwa Systems Engineering oder der Einsatz von Computern sowohl Technik wie Methodik zuzuordnen oder leistet der moderne Empirismus Beiträge sowohl zur Forschungslogik wie zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie sowie zur Logik.

 

Der ungemein befruchtende Einfluss des Pragmatismus ist in vielen ganz unterschiedlichen Forschungs-, Wissens- und Anwendungsgebieten festzustellen, umgekehrt tauchen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als "funktionalistisch" bezeichnete Ansätze auf, ohne dass dabei von einer einheitlichen Doktrin gesprochen werden kann.

 

Ähnlich erfolgte seither eine zunehmende "Mathematisierung der Welt", sei es in der Verbindung der Mathematik mit der Logik oder Biologie, Psychologie oder "Unternehmensforschung".

 

(Anfang eines Manuskripts vom März 1977 - im Herbst 2003 ergänzt durch ein Manuskript aus dem Jahr 1975 sowie leicht korrigiert und anhand damaliger Notizen systematisch ergänzt)

 



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